07. Juni 2020











 
Liebe Leserinnen und Leser,
Logo – Gemeinnützige Hertie Stiftung
Foto: Demonstranten (zu sehen von hinten) mit Bannern und einem
mit einer Mischung aus Entsetzen und Sorge blicken viele von uns gerade auf die USA. Vor den Augen der ganzen Welt bebt die amerikanische Gesellschaft. Erst die Corona-Pandemie mit mehr als 100.000 Toten, nun landesweite Unruhen, nachdem der Schwarze George Floyd von einem Polizisten in Minneapolis erstickt worden war. Das alles mit einem Präsidenten, der nicht auf Deeskalation und Ausgleich setzt, sondern hofft, von dem tiefen Riss im Land bei den Wahlen im November profitieren zu können. In der deutschen Öffentlichkeit wird seitdem vor allem über Rassismus im eigenen Land gestritten, mit vielen selbstkritischen Einlassungen.

Darauf versuchen wir im Demokratie-Bereich der Hertie-Stiftung zu reagieren. Zum Beispiel mit einem neuen Gesprächsformat, das wir gemeinsam mit unserer Tochtergesellschaft, der START-Stiftung entwickelt haben: Wir wollen Redaktionen besuchen mit START-Stipendiaten und Alumni. Dort wird ja schon länger über mangelnde Diversität in den eigenen Reihen diskutiert. Es ist klar, dass viele Medienhäuser allzu male and pale sind. Nur ist das nicht so leicht zu ändern in Zeiten, in denen viele Medien Kurzarbeit ankündigen und Stellen streichen. START unterstützt jährlich mehrere hundert Schüler mit Migrationserfahrung mit dreijährigen Bildungsstipendien. Bundesweit gibt es rund 3000 Ehemalige. Wir wollen Stipendiaten und Ehemalige gut vorbereitet in Redaktionen begleiten, damit sie dort etwas übernehmen, was Printjournalisten „Blattkritik“ nennen: Eine kritische Bilanz der jüngeren Produkte, egal ob sie gedruckt, als Audiodatei oder in Bewegtbildern verbreitet werden. Die Corona-Pandemie wird uns noch eine Weile davon abhalten, solche Besuche vorort zu organisieren – aber die Kollegen von START und wir in der Stiftung verabreden uns jetzt schon gern mit den Journalisten unter Ihnen!
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Die Corona-Pandemie setzt Deutschland weiter zu, trotz aller Lockerungen. Masken beim Einkaufen, Distanz im Restaurant, kein funktionierender Schulunterricht: das bleibt bis auf weiteres die neue Normalität. Nun scheint, rechtzeitig zum Ferienbeginn, zumindest die Corona-App endlich fertig zu sein. Ostern wurde sie versprochen. Wie groß das Potenzial ist, hängt davon ab, wie viele Menschen sich überzeugen lassen, die App zu nutzen – und davon, dass Behörden und die Polizei nicht in Versuchung geraten, die Daten für andere Zwecke zu nutzen. Immerhin erfolgte die Programmierung mit größtmöglicher Transparenz, der gesamte Quellcode wurde veröffentlicht, wer etwas vom Programmieren versteht, kann ihn überprüfen. Als vertrauensbildende Maßnahme war das ein guter Anfang.

Im Grunde funktioniert die App entfernt so wie das örtliche Gesundheitsamt: Sie ermittelt die Kontaktpersonen eines Corona-Identifizierten. Im Idealfall nur viel schneller. Die Corona-App verbindet Smartphone-Nutzer via Bluetooth und ermittelt, wie lange die beiden Nutzer in Kontakt standen und in welchem Abstand. Die Daten werden auf den Smartphones anonym und ohne den Ort der Begegnung gespeichert. Im Infektionsfall kann der Betroffene eine Warn-Nachricht an alle App-Nutzer schicken, mit denen er in der Inkubationszeit in Kontakt stand. Nur gibt es, anders als beim Gesundheitsamt, keinen zentralen Ort, an dem die Daten abgelegt werden – und damit auch wenig Angriffsflächen für Hacker.

Aber nur wenn möglichst viele Menschen mitmachen, macht die Corona-App Sinn, hilft sie bei der Bekämpfung der Pandemie. Modellrechnungen des Epidemiologien Christophe Fraser von der Universität Oxford zeigen unter welchen Voraussetzungen eine App helfen kann, die Verbreitung des Virus effektiv einzudämmen.

Um es mit den Worten von Christian Drosten zu sagen: Die Verbreitung des Virus ließe sich mit der App dann eindämmen, „wenn 60 Prozent der Bevölkerung so eine App installieren würden und wenn dann wieder ungefähr 60 Prozent derjenigen, die informiert werden, dass sie zu Hause bleiben sollen, auch wirklich zu Hause bleiben“. Es geht hier also einmal mehr darum, dass in einer Demokratie Freiheit und Verantwortung nicht nur in Sonntagsreden zusammengehören. Wer möglichst schnell wieder die Freiheiten aus Vor-Corona-Zeiten geniessen will, kann mit seinem Smartphone einen Beitrag leisten und auf diese Weise sich selbst und andere schützen.

Herzlich grüsst
Ihre Elisabeth Niejahr
 
Zitat:
George W. Bush, Republikanischer Ex-Präsident der USA
 
Pinnwand
Tipps aus dem Demokratie-Team
Podcast
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In seiner Gesprächsreihe „ABC der Demokratie“ widmet sich das Stadttheater Hannover seit drei Jahren politischen Begriffen. Im Mai sprach der Journalist Ijoma Mangold mit dem Historiker Herfried Münkler über „M wie Macht“.
Lektüre
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Die EU steht vor einer Zerreißprobe. Wirtschaftlich ist sie gespalten, nationale Antworten sind populär. Ausgerechnet jetzt übernimmt Deutschland im zweiten Halbjahr 2020 die EU-Ratspräsidentschaft. „Europäische Baustellen“ analysiert dazu die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“.
Ausstellung
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Friedrich Engels war Textilunternehmer und Philosoph. Zusammen mit Karl Marx verfasste er 1848 das Kommunistische Manifest. Anlässlich seines 200. Geburtstags widmet ihm seine Geburtsstadt Wuppertal bis zum 29. September die Ausstellung „Friedrich Engels – Ein Gespenst geht um in Europa".
 
Für Sie gelesen
Fake Facts
In der Corona-Pandemie haben Verschwörungstheorien neuen Zulauf und vor allem große öffentliche Sichtbarkeit erhalten. Da kommt das Buch „Fake Facts“ von Katharina Nocun und Pia Lamberty zur rechten Zeit. Die beiden Autorinnen beschäftigen sich nicht nur mit den Hintergründen populärer Verschwörungserzählungen. Sie versuchen zudem zu erklären, was der Glaube daran mit dem Gefühl von Unsicherheit in einer komplexen Welt zu tun hat sowie mit der Angst vor Kontrollverlust. Dazu beschreiben sie, wo die Trennlinie zu gesundem Misstrauen verläuft. Stark ist das Buch dort, wo psychologische Hintergründe betrachtet werden, bis hin zu der allgemeinen Neigung von Menschen, keinen Widerspruch gegen eigene Überzeugungen zuzulassen. Schwächer ist es dort, wo Verschwörungserzählungen linker politischer Bewegungen, denen die Autorinnen nahestehen, betrachtet werden. Ihren Hinweis, „problematische Tendenzen sollten nicht nur bei anderen, sondern auch im eigenen Denken analysiert werden“, befolgen sie nicht mit jeder Konsequenz. Am Ende hält das Buch einen wichtigen Rat bereit: Nicht Fakten überzeugen die Verschwörungsgläubigen. Stattdessen hilft nur das beharrliche Bemühen, die innere Logik von Verschwörungstheorien zu hinterfragen und auf Ungereimtheiten aufmerksam zu machen. cse
Abbildung des Buchs: FAKE FACTS von Katharina Nocun und Pia Lamberty
 
Drei Fragen an...
Verena Pausder
Wem hören sie gern zu, obwohl er politisch ganz anders tickt als sie?

Sahra Wagenknecht, weil sie häufig klug, direkt und mutig das Scheinwerferlicht auf Missstände lenkt, die Andere lieber unter den Teppich kehren würden und mit konkreten Lösungsvorschlägen aufwartet. Selbst wenn man ihre Meinung oder ihr Weltbild nicht teilt, fordert sie einen zu besseren Argumenten und einer differenzierteren Betrachtungsweise heraus.
Welches Demokratie-Projekt verdient mehr Beachtung?

Unser bundesweiter Schulhackathon #WirfürSchule. Es ist der erste und größte Versuch, die Veränderungsbereitschaft, die gerade in Schulen und bei den Eltern vorhanden ist zu nutzen, um die Schule von Morgen neu zu denken und konkrete Lösungen umzusetzen.
Hat ein bestimmtes Ereignis Ihren Blick auf Demokratie- themen geprägt?

Ich hatte schon immer ein besonderes Faible für den Demokratie-Kernwert Meinungsfreiheit oder auch Meinungsverschiedenheit. Um so erschreckender fand ich die Allensbach Studie letztes Jahr nach der 78% der Befragten angaben, man könne seine Meinung zu bestimmten Themen nicht oder nur mit Vorsicht frei äußern. Das hat mich nochmal mehr darin bestärkt, Haltung zu zeigen, mich öffentlich zu äußern und den Gegenwind auszuhalten.
Portraitfoto Verena Pausder
Verena Pausder ist Gründerin der Firma Fox & Sheep in Berlin, Geschäftsführerin der bundesweiten HABA Digitalwerkstätten und Initiatorin von StartupTeens, einer digitalen Bildungsplattform für Unternehmertum und Coding.
 
Die Autorinnen
Portraitfoto Elisabeth Niejahr
Elisabeth Niejahr ist seit Anfang 2020 Geschäftsführerin des Bereichs „Demokratie stärken“ der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Vorher arbeitete sie als Journalistin u.a. für ZEIT, SPIEGEL und Wirtschaftswoche. niejahrE@ghst.de
Portraitfoto Andrea Römmele
Andrea Römmele ist Professorin für politische Kommunikation an der Hertie School in Berlin, sie forscht vor allem zur Zukunft der Demokratie und verantwortet in der Hochschulleitung den Bereich Executive Education. roemmele@hertie-school.org
  
Redaktionelle Mitarbeit: Christoph Seils (cse)
 
H aus dem Logo der Gemeinnützigen Hertie Stiftung
Gemeinnützige Hertie-Stiftung
Büro Berlin
Friedrichstr. 183
10117 Berlin

Tel. +49 30 22 05 603-0
Fax +49 30 22 05 603-99
www.ghst.de

 
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