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Foto: Sarah Kossmann/Universitätsmedizin Magdeburg
Interview über die Innovationen und Herausforderungen von Neuralinks Hirn-Chip

Was halten Sie von Elon Musks Hirn-Chip, Herr Prof. Heinze?

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jochen Heinze spricht im Interview über Neuralinks Fortschritte bei der Entwicklung eines Hirn-Chips, der das Leben von Patienten mit neurologischen Erkrankungen verbessern könnte.
Gehirn erforschen

Quick Read: Worum es geht

Das Start-up Neuralink von Elon Musk setzt neue Maßstäbe in der Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen, indem es Patienten mit neurologischen Erkrankungen die Möglichkeit bietet, Computer mittels Gedanken zu steuern. In einem vielbeachteten Versuch wurde einem gelähmten Patienten ein drahtloses Computer-Chip-Implantat ins Gehirn eingesetzt, wodurch dieser nun in der Lage ist, eine Computermaus allein durch Denken zu bewegen. Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jochen Heinze gibt Einblicke in die Funktionsweise, das Potenzial und die Risiken dieser Technologie sowie in die ethischen Bedenken, die mit der fortschreitenden Entwicklung verbunden sind. Während die Technik vor allem für Menschen mit schweren neurologischen Beeinträchtigungen Hoffnung bietet, betont Heinze die Wichtigkeit einer sorgfältigen ethischen Abwägung, insbesondere in Bezug auf die Privatsphäre und die Anwendung bei gesunden Menschen.

Ein Smartphone oder den Computer mittels Gedanken steuern – was klingt wie Science-Fiction, soll künftig für Patientinnen und Patienten mit neurologischen Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer oder auch Rückenmarksverletzungen Wirklichkeit werden. Das Start-up-Unternehmen Neuralink von Tesla-Chef Elon Musk hat Ende Januar erstmals einem Menschen einen drahtlosen Computer-Chip ins Gehirn eingesetzt. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hatte dem Unternehmen im vergangenen Jahr grünes Licht für eine erste Studie mit dem Implantat am Menschen gegeben.

Der Patient, dessen Arme und Beine komplett gelähmt sind, soll sich gut erholt haben und mittlerweile nur durch sein Denken eine Computermaus über den Bildschirm bewegen, ließ Musk wissen und sorgt seitdem für ziemlich viel Wirbel: „Das Tor zum Gedankenlesen ist nun geöffnet“, befürchten Kritiker. Immerhin träumt Tech-Milliardär Musk schon seit Jahren davon, die Menschheit mit einem Super-Chip auszustatten, um in Zukunft mit den Fähigkeiten künstlicher Intelligenz mithalten zu können. Wie revolutionär ist Musks Hirn-Chip namens „Telepathy“ wirklich? Werden wir künftig Gedanken lesen können? Und wie profitieren Menschen mit neurologischen Erkrankungen von dem Chip im Hirn? Eine Einordnung in das Thema gibt uns Neurowissenschaftler Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jochen Heinze, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Magdeburg und Kuratoriumsvorsitzender am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen.

" Die grundsätzliche Idee des Brain-Computer-Interface (BCI), die dem Neuralink-Chip zugrunde liegt, ist nichts Neues."

Herr Prof. Heinze, wie funktioniert dieser Hirn-Chip von Neuralink?

Zunächst muss man sagen: Die grundsätzliche Idee des Brain-Computer-Interface (BCI), die dem Neuralink-Chip zugrunde liegt, ist nichts Neues. Ein BCI, also eine Gehirn-Computer-Schnittstelle, ermöglicht eine Verbindung zwischen dem Gehirn und einem Computer ohne die Aktivierung des peripheren Nervensystems wie zum Beispiel die Nutzung von Armen oder Beinen. Erste Ansätze dafür gab es schon in den 1980er Jahren. Damals hat man allerdings noch nicht invasiv gearbeitet, sondern mit Elektroden, die auf die Kopfoberfläche geklebt wurden, wie man es heute vom EEG kennt. So konnte man mit Patienten kommunizieren, die wegen einer schweren Erkrankung wie zum Beispiel der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) nicht mehr in der Lage waren zu sprechen. Man hat diesen Patienten verschiedene Buchstabenkombinationen auf dem Bildschirm angeboten und sie aufgefordert, sich auf einen Buchstaben, den sie für wichtig halten, zu konzentrieren. Wenn dann in solchen Kombinationen dieser Buchstabe erschien, löste er ein spezifisches Hirnpotenzial aus. Auf diese Weise konnte man ermitteln, welche Buchstaben für den Patienten wichtig sind. Das waren dann zwei bis drei Buchstaben pro Minute und man konnte theoretisch mit dem Patienten kommunizieren.

Warum löst etwas, worauf ich mich gedanklich konzentriere, ein „Hirnpotenzial“ aus und wird auf dem Computerbildschirm sichtbar?

Das Gehirn zeigt eine spezifische elektromagnetische Aktivität in Bezug auf alle seine Leistungen. Wenn ich etwas denke, fühle und tue, gibt es eine elektromagnetische Signatur dafür. Und wenn ich diese Signatur entdecke, dann kann ich sie nutzen, um zum Beispiel Maschinen zu steuern. Das ist der Grundgedanke. Die entscheidende Frage dabei ist: Wie extrahiere ich diese elektromagnetische Aktivität? Denn wenn ich einfach Elektroden irgendwo auf der Kopfoberfläche platziere, beobachte ich eine Überlagerung vielfältiger elektromagnetischer Aktivität, die aber wenig oder gar nichts mit der speziellen Aufgabe zu tun hat.. Daher hat man bereits 2004 Implantate genutzt und die Elektroden statt auf den Kopf direkt auf die Hirnoberfläche implementiert. Dann brachte man den Patienten bei, zum Beispiel eine Arm-Prothese zu steuern. Wie das funktioniert? Man sagt dem Patienten, er soll daran denken, die Prothese nach oben zu bewegen. Das Gehirn startet dann eine elektromagnetische Aktivität, die genau diesen Willen reflektiert. Diese Aktivität wird dann vom Computer über die Elektroden abgeleitet. Der Computer schaut sich das wiederholt an und lernt allmählich das für den Gedanken und für die Absicht des Patienten typische Muster. Der Patient denkt zum Beispiel an eine Armbewegung, woraufhin die Prothese diese Bewegung in zunächst leichter Form ausführt. Der Patient lernt anhand dieses Feedbacks, dass es funktioniert. Als Folge steigert er seine spezifische Hirnaktivität. So lernt er - beziehungsweise sein Gehirn - allmählich, den Arm besser zu bewegen.

" Der Neuralink-Chip ist erstmal nur eine technische Neuerung. Nichts Intellektuelles, nichts Konzeptionelles."

Was ist dann das Besondere oder Revolutionäre an dem Neuralink-Chip?

Der Neuralink-Chip ist erstmal nur eine technische Neuerung. Nichts Intellektuelles, nichts Konzeptionelles. Neu ist, dass wesentlich mehr Elektroden als bisher implementiert werden können, so dass sich mehr neuronale Aktivität ableiten lässt. Der Informationsfluss wird schneller. Bei Neuralink sind es derzeit 1024 Elektroden, die ein dedizierter Roboter auf ausgewählten Hirnarealen präzise platziert. Wenn man allerdings bedenkt, dass wir Milliarden Nervenzellen haben, sind das nicht so viele Kontaktstellen. Dazu gibt es einen - gleichfalls implantierten - Prozessor, der die Signale vorverarbeitet. Und: Die Verbindung zwischen Hirn und Computer ist kabellos, Das bedeutet, dass das Infektionsrisiko wesentlich geringer ist, als wenn ich ständig Elektroden habe, die in meinem Hirn platziert sind und die mit Drähten nach außen abgeleitet und an ein Gerät angeschlossen werden. Fazit: Durch die größere Anzahl an Elektroden im Neuralink-Chip wird der Informationsfluss schneller und vielfältiger, zudem ist die Infektionswahrscheinlichkeit geringer.

Welche Hoffnungen dürfen sich Patienten mit neurologischen Erkrankungen machen? Der Patient aus der Studie hat eine Querschnittlähmung, bei der Beine und Arme betroffen sind.

Er wird durch den Hirn-Chip nicht unbedingt lernen, seine Arme und Beine wieder zu bewegen, es sei denn durch hirngesteuerte Prothesen. Was man zurzeit hofft, ist, dass Patienten besser kommunizieren können. In den seltenen Fällen wie bei einer ALS, die eine schwere Erkrankung des motorischen Nervensystems ist, und an der zum Beispiel der Physiker Stephen Hawking erkrankt war, kann man irgendwann nicht mehr sprechen. Dann ist die Hoffnung, dass ein Patient mit diesem Hirn-Chip schneller und besser reden kann, indem das Gehirn versteht, oder sozusagen der Computer versteht, welche Worte der Patient formulieren möchte und diese dann aussprechen oder niederschreiben wird.

" Mich würde auch nicht in irgendeiner Weise schrecken, dass der „gläserne Mensch“ durch Brain-Computer-Interface möglich wäre oder wir mithilfe dieser Technik Gedankenlesen können. "

Wir Menschen sind unterschiedlich, funktionieren unsere Hirne alle gleich, wenn sich zum Beispiel verschiedene Chip-Patienten jeweils auf das Kommando: „Arm nach oben heben“ konzentrieren?

Bei solchen simplen Gedanken lautet die Antwort: Ja. Wenn ich zum Beispiel plane, auf Ihre nächste Frage zu antworten, dann generiert mein Gehirn über seiner linken Hälfte in der motorischen Rinde ein bestimmtes Potenzial. Das nennt man das Bereitschaftspotenzial. Das versetzt mich in die Lage, dann meine Lippen und meine Stimme zu benutzen. Das ist bei jedem Menschen ziemlich identisch. Wenn Sie aber höhere Leistungen planen und durchführen, also wenn Goethe ein Gedicht schreibt, dann ist das anders.

Welche Risiken gibt es bei dem operativen Eingriff ins Gehirn?

Bei jedem Eingriff besteht ein gewisses Infektionsrisiko. Das würde ich aber für vernachlässigbar halten. In unserer Klinik wenden wir auch die Hirnstimulation an, zum Beispiel bei Patienten mit Parkinson, die dauerhafte Elektroden implementiert bekommen, die mit einem Impulsgeber verbunden sind. Das sind auch Ableitungen, und dennoch würde mich das Infektionsrisiko nicht abschrecken. Mich würde auch nicht - um es gleich zu sagen - in irgendeiner Weise schrecken, dass der „gläserne Mensch“ durch Brain-Computer-Interface möglich wäre oder wir mithilfe dieser Technik Gedankenlesen können…

" Dass wir mit Neuralink jetzt das Tor zum Gedankenlesen aufgestoßen haben, und sogar die Privatsphäre der Patienten oder der Menschen verletzen, halte ich für nicht plausibel."

… das wäre meine nächste Frage gewesen. Elon Musk hat bereits angekündigt, dass er mithilfe von Hirn-Chips Gedanken „lesen“ möchte. Wäre das möglich? 

Grundsätzlich ja, aber nach dem aktuellen Stand halte ich solche Szenarien für unrealistisch. Natürlich hat das Denken eines Satzes eine Aktivität, also ein elektromagnetisches Muster, das ich im Prinzip entdecken kann – aber nicht mit den Methoden, die uns zurzeit zur Verfügung stehen. Weil eben niemand weiß, wann ein Mensch anfängt, solche Gedanken zu entwickeln. Wir haben 1000 Elektroden gegenüber Milliarden Nervenzellen und wissen noch gar nicht genau, wo die relevanten Neuronen sind, über die ich Informationen ableite – das ist wie ein Stochern im Nebel. Die Gefahr kann man grundsätzlich nie ausschließen, aber dass wir mit Neuralink jetzt das Tor zum Gedankenlesen aufgestoßen haben, und sogar die Privatsphäre der Patienten oder der Menschen verletzen, halte ich für nicht plausibel.

Gibt es Ihrer Ansicht nach ethische Bedenken, wenn einer der reichsten Menschen der Welt so einen Hirn-Chip weiterentwickelt?  

Ich hätte keine Bedenken, wenn es sich um eine konsequente Fortsetzung dessen handelt, was man bisher erreicht hat: eine tatsächliche Verbesserung und ein Nutzen für den einzelnen Patienten, nachdem man die Indikation richtig gestellt hat. Sehr skeptisch wäre ich bei einer Überlegung, mit der wir konfrontiert werden: Kann ich eigentlich Hirnleistungen auch bei gesunden Probanden mithilfe solcher Eingriffe verbessern? Könnte ich im Prinzip Signale ableiten, die damit zu tun haben? Das ist ein anderes Thema, aber man sollte es nicht aus dem Auge verlieren, denn es gibt auch gesunde Menschen, die darauf aus sind, ihre Hirnleistung zu verbessern oder sogar zu optimieren – bisher natürlich ohne einen Hirn-Chip. In Bereichen der Medizin wird Brain Enhancement, also die gezielte Verbesserung der Hirnleistung, bereits im guten Sinne angewandt, und es ist zweifellos eine sinnvolle Methode. Wir bieten zum Beispiel das sogenannte Neurofeedback an. Dabei tragen die Patienten eine EEG-Haube mit Elektroden auf dem Kopf und können auf dem Bildschirm die Hirnaktivität sehen und in gewisser Weise willentlich beeinflussen. Studien zeigen, dass Aufmerksamkeitsprobleme und Konzentrationsschwächen damit behandelt werden können. Deshalb wird Neurofeedback zum Beispiel auch in der Therapie von Kindern und Jugendlichen mit AD(H)S angewendet. Aber auch bei älteren Menschen, die sich schnell erschöpft und unkonzentriert fühlen. Dazu gibt es viele interessante Ansätze.

Gehirn erforschen

Neurowissenschaften bei der Hertie-Stiftung: Schwerpunkte bilden die Förderung klinischer Hirnforschung und Projekte im Bereich der Grundlagenforschung sowie die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Darüber hinaus unterstützen wir neurowissenschaftliche Initiativen für innovative Forschungs-, Bildungs- und Kommunikationsformate. Eine Übersicht über den Förderbereich „Gehirn erforschen“ und seine Aktivitäten bekommen Sie hier:

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Wäre der Hirn-Chip für diese Menschen eine Option?

Ich persönlich bin nach dem gegenwärtigen Stand der Technik nicht dafür, in solchen Fällen Elektroden ins Hirn zu implementieren. Erst recht nicht bei gesunden Menschen, die „nur“ ihre Hirnleistung optimieren wollen. Es handelt sich immer noch um einen invasiven Eingriff, wenn auch mit geringen Infektionsrisiken, aber es gibt sie eben. Der Nutzen ist noch weit davon entfernt und in irgendeiner Weise darstellbar. Für Menschen, die aus irgendwelchen Gründen nicht mehr kommunizieren können, so dass sich durch eine Implementation des Chips die Kommunikationsgeschwindigkeit dramatisch verbessern lässt, würde ich den Eingriff befürworten. Für alle anderen nicht.

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung  

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