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Dr. Helene Bubrowski, Foto: privat
Interview über die Fehlerkultur in der Politik

Wer in der Politik Fehler zugibt, gilt immer noch als schwach

Die langjährige Politik-Korrespondentin Dr. Helene Bubrowski spricht über Glaubwürdigkeit in der Demokratie und beleuchtet die komplexe Fehlerkultur in der Politik.
Demokratie stärken

Quick Read: Worum es geht

In diesem Interview mit Dr. Helene Bubrowski, Vize-Chefredakteurin von Table Media und erfahrene Politik-Korrespondentin, beleuchten wir das Phänomen der politischen Fehlerkultur. Bubrowski, Autorin des Buches „Die Fehlbaren“, diskutiert, warum Politiker oft zögern, Fehler einzugestehen, und welche Konsequenzen dies für die Glaubwürdigkeit der Politik und die Demokratie hat. Ausgehend von persönlichen Erfahrungen und der Analyse aktueller politischer Fehltritte, etwa von Olaf Scholz, betont sie die Bedeutung einer offenen Fehlerkultur. Sie kritisiert die Neigung zum Vertuschen und die Folgen für das öffentliche Vertrauen. Bubrowski argumentiert, dass eine ehrlichere Auseinandersetzung mit Fehlern und eine kritische Medienlandschaft essenziell sind, um Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und die Demokratie zu stärken.

Vertuschen, Abstreiten, Aussitzen, Salamitaktik: Politikerinnen und Politikern fällt es oftmals schwer, Fehlentscheidungen oder persönliche Fehltritte einzugestehen. Doch woran liegt das genau? Und welche Auswirkungen hat es auf die Glaubwürdigkeit der Politik und die Demokratie, wenn unsere Volksvertreter das ehrliche Wort scheuen? Dr. Helene Bubrowski, langjährige Politik-Korrespondentin der FAZ und seit Januar 2024 Vize-Chefredakteurin von Table Media, hat sich intensiv mit der politischen Fehlerkultur beschäftigt. Welcher Politiker für sie Anlass war, darüber ein Buch zu schreiben („Die Fehlbaren“), wie man einen politischen Fehler zugeben sollte und welche Rolle die Medien spielen, erzählt die Juristin in unserem Interview.

Welcher Politiker, welche Politikerin treibt Sie gerade um, weil er oder sie einen Fehler nicht eingesteht?

Derzeit ist es Olaf Scholz. Wobei es bei ihm sicherlich nicht der eine Fehltritt ist, sondern eher die Frage: Warum lehnen so viele Menschen die Politik der Bundesregierung ab? Es fällt Olaf Scholz unglaublich schwer, irgendeinen Anteil davon bei sich zu sehen. Kürzlich hat er in der ZEIT zwar durchklingen lassen, dass er nicht vollkommen frei von Verantwortung sei. Aber der Subtext ist trotzdem: Die anderen haben es einfach nicht verstanden.

Woran liegt es, dass Olaf Scholz immer wieder diese Schiene fährt?

Sicherlich ist es ein Teil seiner Persönlichkeit, Kritik teflonartig an sich abprallen zu lassen. In dem Punkt gleicht er seiner Vorgängerin. Hinzu kommt, dass er wider aller Wahrscheinlichkeit Bundeskanzler geworden ist. Als er seine Kandidatur zwei Jahre vor der Wahl angekündigt hatte, wurde er dafür ausgelacht. Dann hat er es doch geschafft und das bestätigt ihn in der Annahme, dass man die Zwischenstände in Umfragen nicht sonderlich ernst nehmen müsse. Nach dem Motto: Es zählt, was am Ende rauskommt. Es ist fast eine autosuggestive Kraft, die sich da entfaltet. Selbstkritik ist da nur hinderlich.

Was hat Sie bewogen, sich als Journalistin mit der Fehlerkultur in der Politik zu beschäftigen? Gab es einen konkreten Anlass?

Der Auslöser war eine Talkshow, in der ich zusammen mit dem damaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer saß. Der Europäische Gerichtshof hatte etwa ein halbes Jahr zuvor die Pkw-Maut gekippt, für die Andreas Scheuer voreilig Verträge unterzeichnet hatte. Ein grober politischer Fehler, für den die Steuerzahler nun Schadenersatz von knapp 250 Millionen Euro zahlen müssen. Aber Scheuer hat sich in der Sendung geweigert zu sagen, dass er einen Fehler gemacht hat. Ich habe damals gedacht: Es wäre so einfach für ihn gewesen, diesen Fehler endlich einmal zuzugeben. Das hätte ihn bestimmt weniger Sympathien gekostet. Seither beschäftigt mich die Frage: Warum ist es für Politiker so schwierig, einen Fehler zuzugeben?

" Der Gegner ist übrigens meistens nicht der politische Gegner einer anderen Partei, sondern der eigene Parteifreund, der auf den nächsten Posten schielt. "

Und warum ist das so?

Politik ist noch immer stark von archaischen Machtkämpfen geprägt. In Wirtschaftsunternehmen hat sich mittlerweile durchgesetzt, dass das soziale Miteinander eine größere Bedeutung hat, damit die Mitarbeiter sich identifizieren und wohlfühlen. In der Politik ist das noch nicht angekommen. Dort gilt der Ansatz: Der Stärkere setzt sich durch. Es geht ja auch um viel, nämlich um Macht. Im Konkreten heißt das: Wer kriegt den Platz im Bundestag, den Platz im Kabinett oder den Platz an der Parteispitze? Da wird mit harten Bandagen gekämpft. Einen Fehler zuzugeben, heißt Schwäche zu zeigen. Der Gegner ist übrigens meistens nicht der politische Gegner einer anderen Partei, sondern der eigene Parteifreund, der auf den nächsten Posten schielt. Es ist die Angst, dass er aus dieser Schwäche Kapital schlagen könnte.

Was ist denn überhaupt ein Fehler in der Politik? Wo fängt er an, wo hört er auf - und wo ist es vielleicht auch: Der Politiker oder die Politikerin ist wirklich nicht für das Amt geeignet?

Eine schwierige Frage, über die ich lange nachgedacht habe. Für den Fehler selbst gibt es keine feststehende Definition. Es liegt am Ende in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit, was ein Fehler ist. Das können teilweise Kleinigkeiten sein, die sich dann aber durch Zufälle, eine unglückliche Verkettung oder schlechten Umgang zu einer riesengroßen Sache ausweiten. Ich denke an die ehemalige Bundesfamilienministerin Anne Spiegel, der am Ende nur der Rücktritt blieb. Sie war während ihrer Zeit als grüne Umweltministerin in Rheinland-Pfalz zu einem vierwöchigen Auslandsurlaub aufgebrochen, kurz nachdem im Ahrtal 134 Menschen durch die Flutkatastrophe ums Leben kamen. In dieser Situation in Urlaub zu fahren, während zuhause die Flut tobt, war natürlich ein Fehler. Aber es wäre für Anne Spiegel sicherlich möglich gewesen, aus der Sache rauszukommen.

Was hätte Anne Spiegel besser machen können?

Offen kommunizieren. Sie wollte von Anfang an nicht, dass ihr Urlaub bekannt wird, statt deutlich zu machen, dass ihre Familie in einer schwierigen Krise steckt und eine Auszeit braucht – und dass sie aber auch im Urlaub ansprechbar bleibt. Auch später hat sie mit Halbwahrheiten gearbeitet. Es war nicht plausibel, dass sie nicht sagen konnte, ob sie während ihres Urlaubs an Kabinettssitzungen teilgenommen hat oder nicht. Sie machte nicht mehr den Eindruck, der Verantwortung, die sie trägt, gerecht zu werden. Insofern war es – wie in vielen Fällen – der schlechte Umgang mit dem Fehler, der sie am Ende das Amt gekostet hat.

Anne Spiegel ist weg, Andreas Scheuer sitzt immer noch im Bundestag. Unterscheidet die Öffentlichkeit zwischen persönlichen Fehltritten und politischen Fehlern?

Der Begriff des Fehlers changiert: Dazu gehört alles zwischen Fehltritten im Privaten, mangelndem politischen Gespür, falschen Entscheidungen. Man kann sogar Versprecher dazu zählen. Dann gibt es die zahllosen Plagiatsgeschichten, da liegt die Missachtung der Regeln meistens lange zurück. Und dann gibt es die Fehler, für die der Politiker oder die Politikerin persönlich nichts kann, die ihnen aber qua Amt zugerechnet werden, also Fehler in der Organisation der Ministerien. Ob sich ein Fehler am Ende zu einem Skandal ausweitet, schnell wieder versackt oder nie ans Tageslicht kommt, hängt von vielen Dingen ab. Da gibt es keine Gerechtigkeit. Es hängt auch vom Typus Politiker ab. Manchen verzeiht man mehr als anderen. Wolfgang Kubicki zum Beispiel ist einer, der gerade mit seinen verbalen Entgleisungen Zustimmung bekommt. Er gilt als authentischer Typ. Bei anderen werden andere Maßstäbe angesetzt.

Robert Habeck galt lange als „Pionier der politischen Fehlerkultur“. Nach Heizungsgesetz und Bauernprotesten scheint er immer mehr in Deckung zu gehen. Woran liegt es?

Die Fehlerkultur funktioniert nicht ohne die Öffentlichkeit. Es ist ein Wechselspiel. Man kann von Politikern nicht erwarten, dass sie zu ihren Fehlern stehen, wenn Teile der Medien sie dafür öffentlich hinrichten. Am Beispiel Robert Habeck finde ich interessant zu beobachten, dass er jedes Mal, wenn seine Umfragewerte runtergehen, aufhört, über seine Fehler zu sprechen – oder nur sehr zaghaft darüber spricht. Es ist eben einfacher, wenn man auf sicherem Boden steht. 

 Wie sollte man in der Politik einen Fehler korrekt eingestehen?

Da gibt es keine Standard-Formulierungen, die man aus der Schublade ziehen kann. Weil Fehlerkultur ein Mittel gegen Politikverdrossenheit ist, sollte man auf die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit schauen. Die ist zwar nicht einheitlich, aber allgemein lässt sich doch sagen, dass Vertuschen und Lügen Vertrauen kostet. Es geht darum, für Aufklärung zu sorgen. Wichtig ist, zu erkennen zu geben, dass man sich der Verantwortung bewusst ist und bereit ist, aus seinen Fehlern zu lernen. Ich weiß, dass mein Ansatz ziemlich idealistisch ist. In der Praxis sind Kommunikationsexperten am Werk, die taktisch denken und meistens von Fehlerbekenntnissen abraten. Das hat seine Gründe. Ich appelliere nur dafür, auch die Kosten für die Glaubwürdigkeit von Politik nicht zu vergessen.

"In einer Demokratie entscheidet nicht ein Journalist oder eine Redaktion darüber, wer im Amt bleibt, sondern die Wählerinnen und Wähler."

Die Medien sind in der Regel diejenigen, die Fehler in der Politik aufdecken. Werden sie ihrer Verantwortung gerecht?

Ich möchte zunächst eine Selbstverständlichkeit vorausschicken: Die Medien sind als Kontrollinstanz wichtig in unserer Demokratie. Das bedeutet auch, Aussagen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und Fehler öffentlich zu machen. Aber es wäre unlauter abzustreiten, dass es das Phänomen medialer Hetzjagden gibt. Da maßen sich Journalisten eine Rolle an, die ihnen nicht zusteht. In einer Demokratie entscheidet nicht ein Journalist oder eine Redaktion darüber, wer im Amt bleibt, sondern die Wählerinnen und Wähler. Erschwerend kommt hinzu, dass es vom Zufall abhängt, welche Geschichte skandalisiert werden kann und welche nicht. Es gibt Geschichten, die so kompliziert sind, dass sie sich dafür nicht eignen. Andere Themen wie zum Beispiel eine Doktorarbeit abschreiben können bis ins Letzte ausgeschlachtet werden. Über die Verantwortung von Medien wird in diesem Land zu wenig diskutiert.

Rund 58 Prozent der Deutschen vertrauen den Parteien „eher nicht“. Welche Auswirkungen hat es auf die Demokratie, dass die politische Fehlerkultur hierzulande nicht ideal ist?

Nicht ideal ist untertrieben, die mangelhafte Fehlerkultur ist gefährlich für die Demokratie. Denn Politiker und Politikerinnen bestärken durch ihren schlechten Umgang mit eigenen Fehlern genau das Ressentiment, das in der Gesellschaft ohnehin schon besteht: Nämlich, dass mit zweierlei Maß gemessen wird, und dass „die da oben“ immer irgendwie davonkommen. Das führt zu Politikverdrossenheit und Misstrauen und zieht letztlich unsere Demokratie in Mitleidenschaft. Ich weiß aus meinen Gesprächen, dass Politikern diese Folgen durchaus bewusst sind. Aber in der konkreten Situation ist der Fokus meistens ein anderer. Dann geht es darum, das eigene Amt zu behalten, die nächste Wahl zu gewinnen.

FuckUp-Nights: Veranstaltungen zu Fehlerkultur in der Politik

Seit 2021 setzt sich der Publizist und Social Media Experte Martin Fuchs für eine neue Fehlerkultur in der Politik ein. Dazu erschien sein Essay im Buch Demokratieverstärker, einem Projekt der Hertie-Stiftung, woraufhin eine erste deutsche FuckUp-Night für Demokratie in Berlin veranstaltet wurde, bei der Politiker über ihre Fehler diskutierten. Diese Events fanden großen Anklang, führten zu weiteren FuckUp-Nights in verschiedenen Städten und ziehen ein breites Publikum an. Die nächsten Termine sind am 27. Februar in Leipzig und am 29. Februar in Saarbrücken.

Was lässt sich dagegen tun?

Ich bin überzeugt, dass eine Debatte ein erster wichtiger Schritt ist. Das Thema Fehlerkultur ist in der Politik kaum präsent, anders als in vielen anderen Bereichen wie zum Beispiel der Start-up-Szene. Dabei gibt es ein Bedürfnis in der Bevölkerung, Politiker als Menschen mit Stärken und Schwächen zu erleben. Die Hertie-Stiftung veranstaltet sehr erfolgreich FuckUp Nights für die Demokratie, also Abende, an denen Politiker und Politikerinnen vor Publikum über ihre Fehler und Lehren daraus berichten. Es ist ein geschützter Raum, in dem sie sich öffnen und viel Verständnis und sogar Mitgefühl vom Publikum erfahren. Doch insgesamt bekommt das Thema noch nicht die notwendige Aufmerksamkeit. Als ich mit meinem Buch begonnen habe, habe ich mich gefragt: Wieso hat darüber noch nie jemand geschrieben? Ein gemeinsames Nachdenken, eine kritische Reflexion aller Akteure kann dazu führen, dass die Dinge sich ändern.

Was kann die Politik selbst dazu beitragen, dass sich ihre Fehlerkultur ändert? 

Der Mechanismus für die Fehleraufarbeitung sind Untersuchungsausschüsse. Das Problem ist, dass sie als politisches Instrument missbraucht werden: Opposition und Regierung nutzen sie als Bühne, um sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Möglicherweise wäre das anders, wenn die Öffentlichkeit nicht alles verfolgen könnte. Es ist kontraintuitiv, wenn eine Journalistin das sagt, natürlich ist Transparenz wichtig. Aber damit Fehlerkultur möglich wird, braucht es geschützte Räume. Es ist überall wichtig, Probleme zunächst intern zu klären. Die Kommunikation nach außen erwartet die Bevölkerung zu Recht, aber sie ist die Folge der Fehleraufarbeitung, die intern erfolgen muss.

Brauchen wir alle mehr Verständnis für unser Politik-Personal, damit es ihm leichter fällt, Fehler zuzugeben?

Bürgerinnen und Bürger sind oftmals gar nicht so streng mit den Politikerinnen und Politikern, wie man manchmal glaubt. Das Thema Doktorarbeit-Plagiat ist zum Beispiel eines, das die breite Masse überhaupt nicht interessiert. Es ist ein Thema für Berlin Mitte, für Journalisten und für promovierte Akademiker, die sich darüber aufregen. Franziska Giffey musste wegen ihrer Plagiats-Affäre als Bundesfamilienministerin zurücktreten, wurde danach aber zur Bürgermeisterin von Berlin gewählt. Und auch im Falle von Anne Spiegel oder Annalena Baerbock war die Reaktion oft: ‚Ach, jetzt lasst doch diese armen Frauen mal in Ruhe.‘ Zum Glück gibt es offenbar doch noch ein gewisses Maß an Mitgefühl für Politiker, die einen Großteil ihres Lebens für ihren Job hergeben. Wir sind alle Menschen, wir machen alle Fehler. Jeder von uns kennt das. Nur sollten wir mehr darüber reden, vor allem in der Politik. Dadurch würden wir unser Verständnis füreinander stärken, die Glaubwürdigkeit der Politik und am Ende unsere Demokratie.

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung  

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