beckvortrag.jpg
Interview mit Henning Beck

Man kann lernen, ohne zu verstehen. Man kann aber nicht verstehen, ohne zu lernen.

Auch Lernen will gelernt sein - Henning Beck erklärt, wie es geht.
Gehirn erforschen

Henning Beck ist Neurowissenschaftler, Biochemiker und Deutscher Meister im Science Slam. Er hat mit einem Promotionsstipendium der Hertie-Stiftung am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung seine Doktorarbeit verfasst. Doch Neurowissenschaften sind nicht sein einziges Interessenfeld: An der Universität Berkeley in Kalifornien hat Beck Projektmanagement studiert und anschließend Start-Ups beraten, wie sie noch innovativer sein können. Nun hat Beck ein neues Buch geschrieben, in dem er erklärt, was das „neue Lernen“ vom „alten Lernen“ unterscheidet und wir in Zukunft besser lernen können. Im Interview verrät der Neurowissenschaftler, was uns und unser Gehirn von Computern und maschinellem Lernen unterscheidet, auch wenn das menschliche Gehirn oft als Vorbild für technische Umsetzungen herhalten muss. Am 28. Februar wird Henning Beck gemeinsam mit dem Moderator Gerd Scobel im Museum für Kommunikation in Frankfurt über das „neue Lernen“ sprechen (Details s.u.). 

Hertie-Stiftung: Sie sind Neurowissenschaftler, Science Slammer und haben ein Buch geschrieben. Dabei geht es vor allem um die Abläufe im Gehirn. Was läuft denn beim Lernen ab? 

Henning Beck: Wenn man vom klassischen Lernen spricht, also was Sie in Lehrbüchern finden und worauf viele Lerntricks aufbauen, spricht man von einem zweistufigen Verfahren des Lernens. Die Informationen, die man liest oder hört, werden bewusst verarbeitet und im Hippocampus über Nacht warmgehalten. Im Schlaf trainiert der Hippocampus das restliche Gehirn, das zu lernende Muster immer besser erzeugen zu können. Es handelt sich dabei um ein Anpassungsverfahren des Gehirns für eintreffende Informationen. Deshalb wiederholt man Vokabeln ständig, damit man das Gehirn trainiert. Und nutzt dabei verschiedene Sinnesreize, um es vielfältig zu trainieren. 

Hertie-Stiftung: Das Buch heißt „Das neue Lernen heißt Verstehen“. Was ist denn das „alte Lernen“ und was das „neue Lernen“? 

Henning Beck: Genau das oben beschriebene ist das alte Lernen. Das neue Lernen hingegen orientiert sich eher an dem Phänomen, das wir aus dem Alltag kennen: dem Effekt, wenn es Klick macht. Dieser Vorgang ist irreversibel und viel zu schnell für das klassische Lernen, denn dafür brauchen Nervenzellen zum Teil Stunden oder Tage. Ein Beispiel: Wenn Sie sagen, Sie haben einmal verstanden, was das Wort „Selfie“ bedeutet, dann vergessen Sie das auch nicht mehr. Sie haben das Wortkonstrukt verstanden und können es in neue Zusammenhänge stellen. Für diesen Vorgang des Verstehens muss man andere, neue Wege finden: die Art, wie man mit Informationen umgeht. 

Hertie-Stiftung: Hat man beim alten Lernen also nicht verstanden? 

Henning Beck: Man kann durchaus lernen, ohne zu verstehen. Das machen viele. Man kann aber nicht verstehen, ohne zu lernen. Jedem Verstehensprozess geht irgendeiner Art von Lernprozess voraus. Verstehensprozesse resultieren aus etwas anderem als dem klassischen Lernen oder Lerntricks, wie man sie z.B. in der Bildung gerne propagiert. 

Hertie-Stiftung: Was unterscheidet das Lernen einer Künstlichen Intelligenz bzw. eines Computers von unserem Lernen? 

Henning Beck: Es sind unterschiedliche Strategien. Eine lernende Maschine orientiert sich – ganz grob – daran, wie sich auch Nervenzellen gegenseitig trainieren. Die K.I. achtet auf Häufigkeiten, so wie auch die Nervenzelle auf häufige Reize reagiert. Und ihre Verbindungen passt die Nervenzelle so an, dass das Muster beim nächsten Mal leichter erkannt und ausgelöst werden kann. Dieses Lernen machen Computer ähnlich. Was ein Computersystem jedoch nicht kann, ist auch wirklich zu verstehen, was sie lernt oder ausführt. Eine Maschine hinterfragt nicht. Stattdessen wird sie nur versuchen Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten, Korrelationen oder eben Muster zu erkennen. Der Mensch macht das auch, Stichwort „klassisches Lernen“, aber er macht eben noch mehr. Denn: selbst denken macht schlau. Computer sind keine schlauen Systeme.  

Hertie-Stiftung: Sie sind ein erfolgreicher Science-Slammer. Was lernt man als Slammer? 

Henning Beck: Mit dem Slammen ist es genauso wie meinem Buch. Ich schreibe ein Buch auch immer ein bisschen für mich, weil ich dadurch am Ende selbst Dinge besser verstehe. Wenn man Vorträge hält, Texte oder Bücher schreibt, ist es letztendlich auch immer eine Form von Wissenstraining, weil man sich intensiv mit einem Thema beschäftigt. Indem ich es formuliere, es aufschreibe oder spreche, verstehe ich es auch selbst ein Stück besser. Im besten Fall ist es eine Win-Win-Situation, sowohl für mich als Autor als auch für die Leser. 

Hertie-Stiftung: Ihr Buch ist sowohl für Studierende, die kurz vor der Klausurenphase stehen, wie auch für Unternehmen, die wirtschaftlich Vorreiter sein wollen. Wie passt das zusammen? 

Henning Beck: Das Buch ist für alle, die ihr Gehirn clever einsetzen wollen. Wissenstransfer ist ein Veränderungsprozess:  wenn Sie an einer Schule sind und Neuntklässlern etwas beibringen möchten, dann versuchen Sie, Wissen an Menschen zu bringen, damit diese mit dem Wissen wiederrum ihr Leben verändern. Mehr Veränderung geht nicht. Schülern nur Wissen zu oktroyieren, damit sie es für Prüfung lernen, bringt wenig. Denn nach der Prüfung weiß keiner mehr etwas mit dem Wissen anzufangen. 

Genau dasselbe finden Sie auch bei Change-Prozessen oder Umstrukturierungen in Unternehmen – ob im Corporate Learning oder in der Entwicklung von Marketingstrategien: Sie möchten, dass Menschen sich ändern, ihr Konsumverhalten ändern, ihre Art zu denken ändern oder ihre Projekte ändern. Es geht letztendlich darum, Menschen zu befähigen zu verstehen, um was es geht. Nur dann verändert sich etwas. Das ist in der Bildung der Fall, in Unternehmen, in der Politik, in der Gesellschaft, überall. Mit dem Verstehen fängt alles an. 

Hertie-Stiftung: Zum Abschluss noch eine eigennützige Frage: Was mache ich anders, nachdem ich ihr Buch gelesen habe? 

Henning Beck: Zum einen werden Sie besser mit Informationen in der heutigen Welt umgehen können und verstehen, wie ein Gehirn Informationen auswertet. Welche Tricks man anwenden muss, damit man nicht von Informationen erschlagen wird, sondern Zusammenhänge besser versteht. Es vermittelt ein paar Tricks, das Wesentliche zu erkennen und Probleme clever anzupacken. Außerdem werden Sie erfahren, wie Sie Denkfallen vermeiden, die häufig dem Verständnis im Wege stehen – quasi ein Selbstverteidigungskurs gegen die häufigsten Verständnisfallen unserer Welt. Außerdem erfährt man, wie man sich selbst Wissen effektiv und dauerhaft aneignet. Wie man Sachverhalte und Themen so durchdringt, dass man später damit wirklich etwas anfangen kann. Und zu guter Letzt: wie man taktisch vorgehen muss, wenn man Wissen an andere am besten so vermitteln möchte, dass auch sie es verstehen. 

Hertie-Stiftung: Herzlichen Dank. 

Das Interview hat dich zum Nachdenken angeregt? teile es