Demokratie & Schule
Hertie-Kommission Demokratie & Bildung

Ingrid Hamm ist Geschäftsführerin der Global Perspectives Initiative, die sich im internationalen Dialog über globale Entwicklungen engagiert. Seit drei Jahrzehnten wirkt sie in großen deutschen Stiftungen, zuletzt, von 2003 bis 2015, als Geschäftsführerin der Robert Bosch Stiftung.

Dr. Ingrid Hamm im Interview Zur Arbeit der Kommission:

Warum arbeiten Sie mit in der Hertie-Kommission Demokratie und Bildung? 

Deutschland ist eine stabile Demokratie. Aber wenn demokratische Regierungen weltweit unter Druck geraten, sollten wir dafür Sorge tragen, dass sich kein „noch“ einschleicht, und alle Möglichkeiten ausschöpfen, unsere demokratischen Errungenschaften zu erhalten und zu pflegen. Schulen erreichen alle Mitglieder nachwachsender Generationen, und nehmen damit eine entscheidende Position ein. 

Welche Frage rund um die Zukunft der Demokratie treibt Sie gerade am meisten um? 

Wie können wir das Vertrauen der Menschen in die demokratischen Parteien, in Institutionen und Grundregeln zurückgewinnen? Wie kann man Demokratie lernen, wenn Demokratie und demokratisches Handeln den Status des Selbstverständlichen verlieren? 

Was leiten sie daraus ab, dass offenbar gerade viele in der jungen Generation an der Gestaltungskraft der Demokratie zweifeln? 

Zunächst sollten wir verstehen, warum sich junge Menschen von demokratischen Parteien abwenden, und demokratische Regeln missachten oder ablehnen. Was löst ihre Zweifel aus? Welche Rolle spielen wirtschaftliche Verhältnisse und Zukunftsängste dabei? Wie wirken sich Krieg und Pandemie als Stressfaktoren aus? Welchen Einfluss hat die Digitalisierung? 

Ohne zu viel zu verraten: Gibt es ein Ergebnis, eine Empfehlung der Kommissionsarbeit, die Sie überrascht hat? Was haben Sie gelernt? 

Überrascht und zugleich sehr zuversichtlich gestimmt hat mich, dass auch in der Demokratiebildung gilt: Gute Schule ist gute Schule, ist gute Schule! Die empfohlenen Maßnahmen decken sich vielfach mit den Faktoren, die gute Schulen insgesamt auszeichnen. Und umgekehrt kommen aus guten Schulen viele gute Hinweise, wie Demokratie als Bildungsziel erreicht werden kann. 

Eigentlich müssen wir nur dafür sorgen, dass gute Schulen das neue Normal in der Bildung werden. Anwendungsbeispiele, wie in der begleitenden Toolbox, weisen den Weg. 

Anna Engelke ist Journalistin und ehemalige Sprecherin des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Zuvor leitete sie das Hauptstadtstudio des NDR-Hörfunks in Berlin und war NDR-Korrespondentin in Washington. Sie ist Mitglied im Kuratorium des deutschen AFS Interkulturelle Begegnungen e.V..

ANNA ENGELKE IM INTERVIEW ZUR ARBEIT DER KOMMISSION:

Warum arbeiten Sie mit in der Hertie-Kommission Demokratie und Bildung?

Die kurze Antwort: Weil Elisabeth Niejahr mich gefragt hat. Die längere Antwort: Ich habe in seiner ersten Amtszeit als Staatsoberhaupt für Bundespräsident Steinmeier als dessen Sprecherin gearbeitet. Sein Thema war die Demokratie. Ein Thema, das zu Beginn seiner Amtszeit im März 2017 niemanden so recht hinterm Ofen hergelockt hat. Demokratie, die wird gerne mal gesehen wie der gute Freund, der immer da ist und um den man sich weiter nicht kümmern muss. Aber Desinteresse an Demokratie ist ein Killer. Um Demokratie muss man sich bemühen. Dafür muss man was tun. Es ist fast schon eine Binse, aber Demokratie braucht in der Tat Demokraten. Und zu überlegen, wie junge und auch jüngste Menschen in Kontakt kommen damit, wie Demokratie funktioniert, das fand und finde ich interessant.

Welche Frage rund um die Zukunft der Demokratie treibt Sie gerade am meisten um?

Zwei Sachen: Mich beunruhigt das Desinteresse an Demokratie. Und mich beunruhigt, wenn Menschen mit Demokratie nichts mehr anfangen wollen, weil ihre Meinung nicht zu 100 Prozent umgesetzt wird. Bei unterschiedlichen Interessen ist klar: Es braucht einen Kompromiss. Einen Kompromiss hinzubekommen, ist häufig anstrengend, mitunter nervend und kann dauern. In den USA wird der Kompromiss, the compromise, inzwischen von gar nicht mal so Wenigen als Schwäche gesehen. Da hat sich jemand nicht zu 100 Prozent durchsetzen können und wird deswegen abfällig als „compromiser“ bezeichnet. Was kann man tun, um den Kompromiss wieder sexy zu machen? – diese Frage treibt mich um. Deswegen mein Plädoyer für die Zukunft der Demokratie: „Make compromise great again!“ 

Was leiten sie daraus ab, dass offenbar gerade viele in der jungen Generation an der Gestaltungskraft der Demokratie zweifeln?

Ich gehöre zu den geburtenstarken Jahrgängen in Deutschland. Von uns gibt es viele. Von den jungen Menschen nicht. Bei der Demokratie geht es um Mehrheiten, aber auch um den Schutz von Minderheiten. Wie können die zahlenmäßig kleinere Gruppe von jungen Menschen in Deutschland unterstützt werden? – das ist eine Frage, auf die wir dringend eine Antwort finden müssen. Das Wahlalter auf 16 Jahre herabzusetzen, ist für mich der Beginn einer Antwort.

Ohne zu viel zu verraten: Gibt es ein Ergebnis, eine Empfehlung der Kommissionsarbeit, die Sie überrascht hat? Was haben Sie gelernt?

Dass man gar nicht früh genug anfangen kann, Menschen und damit meine ich auch sehr jungen Menschen, beizubringen, dass es Demokratie gibt und wie sie funktioniert.

Maja Finke ist Abiturientin eines Düsseldorfer Gymnasiums. Seit Mai 2020 wirkt sie im Jugendbeirat der Hertie-Stiftung mit. Politische Partizipation von Jugendlichen und Vertrauen in die Politik zu stärken sind ihr ein besonderes Anliegen. Für dessen Umsetzung und Stärkung setzt sie sich ehrenamtlich in Projekten wie „Dein Wunsch im Parlament“ ein.

Maja finke IM INTERVIEW ZUR ARBEIT DER KOMMISSION:

Warum arbeiten Sie mit in der Hertie-Kommission für Demokratie und Bildung? 

Die Frage, wie Demokratiebildung weniger wie trockener Politikunterricht mit Leistungsdruck und mehr wie “Demokratie und Ich? Was heißt das eigentlich?” aussehen kann, hat mich in meiner Schulzeit umgetrieben. Denn Demokratie ist keine lästige Hausaufgabe, die man nebenher erledigt. Leider wird sie im Schulsystem noch zu oft so behandelt. Umso mehr habe ich mich über die Chance gefreut, mit der Hertie-Kommission nach Lösungen für dieses Problem zu suchen. 

Welche Frage rund um die Zukunft der Demokratie treibt Sie gerade am meisten um? 

Nationalstaatliche Interessen im internationalen Raum, das Erstarken des Populismus und die neuesten Umfragewerte bereiten mir Sorge. Wenn ich mit anderen Jugendlichen spreche, dann merke ich: Vielen geht es ähnlich. Anstatt sich selbstwirksam zu fühlen, schüttelt man im Gespräch über die Zukunft der Demokratie eher resigniert den Kopf. Wie können wir also junge Menschen ermutigen und ihnen das Gefühl der Ohnmacht nehmen? Gerade jetzt ist der Einsatz für demokratische Werte so entscheidend! 

Was leiten Sie daraus ab, dass offenbar gerade viele in der jungen Generation an der Gestaltungskraft der Demokratie zweifeln? 

Wenn Jugendliche heute einen Blick auf das politische Geschehen werfen, dann blicken sie auf Auseinandersetzung, Gegensätze, Vorwürfe, Streit. Erfolg zeichnet sich in der Schule allerdings meistens durch Harmonie und einheitliches Vorgehen aus. So kann unter jungen Menschen der Eindruck entstehen, die Demokratie hätte die drängenden Probleme unserer Zeit nicht im Griff. Sich verschiedenen Perspektiven zu widmen und mit aller Kraft um die Lösung der Sache zu streiten, macht uns nicht nur als Gesellschaft stärker, sondern das Endergebnis standfest und gerechter. Auch dessen muss sich Demokratiebildung, beispielsweise durch Integration von Debattenformaten, annehmen. 

Ohne zu viel zu verraten: Gibt es ein Ereignis, eine Empfehlung der Kommissionsarbeit, die Sie überrascht hat? Was haben Sie gelernt? 

Aus der Arbeit in der Hertie-Kommission habe ich mitgenommen, dass Demokratiebildung auch ganz konkret geht. Einerseits im Bereich der tatsächlichen Umsetzung von Ideen, Praktiken und Projekten. Andererseits durch die Möglichkeit, Veränderungen in der Politikdidaktik durch Daten zu messen und zu beobachten. Ich bin gespannt, inwiefern eine Verbindung beider Bereiche hoffentlich einen Anstoß für neue Ansätze im Demokratie-Lernen geben wird.  

Diana Kinnert ist Politikerin der CDU, selbstständige Unternehmerin, Beraterin und Publizistin. Darüber hinaus arbeitet sie für verschiedene Forschungsinstitute und ist Mitglied in der Bundeskommission zum Thema Gesellschaftlicher Zusammenhalt. Zu ihren Schwerpunkten gehören die Themen Partizipation und Demografie. Sie ist Autorin des Bestsellers „Die neue Einsamkeit: Und wie wir sie als Gesellschaft überwinden können“.

DIANA KINNERT IM INTERVIEW ZUR ARBEIT DER KOMMISSION:

Warum arbeiten Sie mit in der Hertie-Kommission Demokratie und Bildung?

An der technologischen Entwicklung um künstliche Intelligenz, virtuelle Realitäten und die totale Automatisierung erkennen wir, wie rasant sich Dinge ändern können. Aber Bildungskonzepte und Schulsystem sollen schlicht starr bleiben? Das macht keinen Sinn. Ich engagiere mich in der Hertie-Kommission Demokratie und Bildung, weil die zeitgemäße Erziehung und Begleitung junger Menschen in einer sich rasant wandelnden Welt höchste Priorität hat, um diesen Entwicklungen nicht passiv ausgesetzt zu sein, sondern sie mündig mitzugestalten.

Welche Frage rund um die Zukunft der Demokratie treibt Sie gerade am meisten um?

Inwiefern Voraussetzungen für Demokratie erfüllt sein können, wenn digitale Räume, die infrastrukturell genutzt werden, von Geschäftsalgorithmen beeinflusst sind. In diesen Asymmetrien von Information und Kommunikation werden demokratische Spielregeln aus den Angeln gehoben. Einige Stimmen verstummen, andere ertönen plötzlich lauter. Diese Szenerie selbst manipuliert demokratische Willensbildung und Entscheidungsfindung. Inwiefern ist Demokratie also im digitalen Zeitalter überhaupt möglich?

Was leiten Sie daraus ab, dass offenbar gerade viele in der jungen Generation an der Gestaltungskraft der Demokratie zweifeln?

Die Welt ist unübersichtlicher geworden, technologische Innovationen, globalisierte Machtkämpfe und zunehmende Marktmechanismen verändern die demokratische Gestaltungskraft vor Ort. Eindeutigkeit und Bestimmtheit bleiben bei den politischen Entscheidungen oftmals auf der Strecke. Das aber muss nicht zwangsläufig mangelnde Demokratie oder gesellschaftliche Ohnmacht bedeuten. Bei jungen Generationen muss für Uneindeutigkeit, Kompromiss und Moderation als Stärken der Demokratie geworben werden.

Ohne zu viel zu verraten: Gibt es ein Ergebnis, eine Empfehlung der Kommissionsarbeit, die Sie überrascht hat? Was haben Sie gelernt?

Ich habe gelernt, dass wir alle stetig hinzulernen werden müssen. Dass kein Schullehrer der Welt über alle neuen Apps für Kinder und Jugendliche Bescheid weiß und im Frontalunterricht über diese aufklären und einen Umgang diktieren kann, ist eigentlich keine Überraschung. Und doch ist das Konzept des lernenden Lehrers neu für mich. Autorität und Führung bedeuten eben nicht vorgetragenes Allwissen, sondern in erster Linie gesunde Vertrauensbeziehung, einander zuzuhören und miteinander zu lernen.