Ein Gesellschaftsdienst für alle – zur Machbarkeit in Deutschland und Europa
Wie kann ein Gesellschaftsdienst den Zusammenhalt in Deutschland und Europa stärken?
Mit dieser Frage beschäftigt sich die Studie „Ein Gesellschaftsdienst für alle – zur Machbarkeit in Deutschland und Europa“ der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.
Anders als einige aktuell geführten Debatten fokussiert sie dabei nicht auf die Frage der politischen Durchsetzung – Freiwilligkeit oder Pflicht –, sondern auf die Attraktivität und die aktuellen Rahmenbedingungen eines solchen Dienstes.
Die Studie zeigt konkrete Handlungsempfehlungen auf, wie ein Gesellschaftsdienst für Jugendliche unterschiedlicher Zielgruppen attraktiv(er) werden kann und sich gleichzeitig sinnstiftend auf das gesellschaftliche Miteinander auswirkt.
Zielgruppengerechte Information für alle: Die unterschiedlichen Optionen für ein Gesellschaftsjahr sollen allen Jugendlichen kuratiert und gleichermaßen zugänglich gemacht werden – idealerweise im Lebensalter zwischen 16 und 18 Jahren.
Informations- und Aktionstag(e): Aktionstage analog zum Girls' Day sollen Gesellschaftsdienste erlebbar und sichtbar machen.
Verpflichtender Ehrenamtstag: Als niederschwelliger Einstieg wäre ein verpflichtender Tag des Engagements denkbar, eingebettet in den Schulalltag und mitgestaltet von der lokalen Zivilgesellschaft. Vorbild könnte der in Frankreich etablierte Journée Défense et Citoyenneté sein.
2. Flexibilisierung – Ein Dienst für alle Lebenslagen
Mehrjahresoptionen: Ein Gesellschaftsjahr könnte auch in Teilzeit über mehrere Jahre geleistet werden; vor allem im Zivil- und Katastrophenschutz ergäben sich daraus neue attraktive Einsatzfelder.
Lebenszeitkonto: Unterschiedliche, auch projektbezogene Engagementstationen könnten über einen längeren Lebensabschnitt gesammelt werden; so sind vielfältige Lernerfahrungen – auch im europäischen Kontext – möglich.
Reservistenstatus: Ein Gesellschaftsjahr qualifiziert die Teilnehmenden in vielerlei Hinsicht. Diese Kompetenzen auf freiwilliger Basis nachhaltig weiter für die Gesellschaft einzubringen, ist die zentrale Idee eines zivilen Reservistinnenstatus.
3. Anerkennung – gerechte Vergütung und Zertifizierung
Rahmenbedingungen verbessern: Die Vergütung soll an das ehemalige Zivildienstmodell angelehnt werden; neben einer etwas höheren Grundvergütung sah das Modell Bausteine für besondere Lebenslagen vor, z. B. die Übernahme von Fahrtkosten oder Zuschüsse zur Wohnung, wenn die Dienstleistenden bereits in einem eigenen Haushalt lebten.
Zertifizierte Qualifizierung und Anrechnung für weitere Ausbildungsabschnitte: Ein Gesellschaftsjahr vermittelt Kompetenzen. Diese vergleichbar nachzuweisen, hilft, das Format attraktiver zu machen. Eine konkrete Anrechnung auf darauffolgende Ausbildungsabschnitte sollte geprüft werden.
– Frankreich hat 2019 mit dem Service National Universel einen neuen Kurzzeitdienst initiiert, der auf das Kennenlernen anderer Lebenswelten zielt und schon im Schulalter ansetzt. Das Beispiel zeigt auch, dass ein sukzessiver Auf- und Ausbau des Platzangebots und eine personalintensive pädagogische Betreuung sinnvoll sind, um den Dienst als ein qualitativ hochwertiges Lernformat zu gestalten.
– Die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Schweden für Männer und Frauen zeigt, wie Pflichtmodelle so gestaltet werden können, dass sie von der Gesellschaft breit mitgetragen werden und nur diejenigen zum aktiven Dienst heranziehen, die tatsächlich im System gebraucht werden. Bereits eine zielgruppengerechte Information aller Jugendlichen führt in Schweden zu einem erhöhten Interesse an militärischen Laufbahnen und hilft der schwedischen Armee, ausreichend qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber als Nachwuchs zu gewinnen.
– Die Schweiz unterhält nach wie vor eine Milizarmee. Die Besonderheit hier ist, dass die Männer ihren Pflichtdienst flexibel über einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren ableisten können.
Initiatoren der Studie
Prof. Nico Hofmann
Prof. Nico Hofmann
„Die junge Generation ist motiviert und bereit, unsere Gesellschaft mitzugestalten. Es liegt in unserer Verantwortung, gute Rahmenbedingungen dafür anzubieten.“
Prof. Nico Hofmann ist Regisseur, Produzent und Geschäftsführer der UFA GmbH. Er setzt sich regelmäßig in medialen Kampagnen und Fernsehformaten für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ein.
Dr. h.c. Frank-J. Weise
Dr. h.c. Frank-J. Weise
„Wenn sich junge Menschen intensiv für das Gemeinwohl einbringen, ist es an uns allen, diese Leistung adäquat anzuerkennen und zu würdigen.“
Dr. h.c. Frank-J. Weise ist Vorstandsvorsitzender der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Er war Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, leitete u.a. die Strukturkommission der Bundeswehr mit der Empfehlung zur Aussetzung der Wehrpflicht und diente selbst dreizehn Jahre lang aktiv und jahrelang als Reserveoffizier in der Bundeswehr.
Prof. Dr. Bernhard Schlink
Prof. Dr. Bernhard Schlink
„Ob freiwillig oder als Pflicht – unsere Demokratie braucht ein attraktiveres, besser organisiertes und besser finanziertes Gesellschaftsjahr, und die Studie zeigt, dass und wie das möglich ist.“
Prof. Dr. Bernhard Schlink ist Jurist und Schriftsteller. Er trägt seit Jahren maßgeblich zur Debatte um ein Gesellschaftsjahr in Deutschland und Europa bei.
Autorenteam
Dr. Rabea Haß
Dr. Rabea Haß
„Gesellschaftsdienste sind Lernorte für unser demokratisches Zusammenleben. Jede und jeder sollte daran partizipieren können. Unsere Vision ist, dass ein solcher Dienst so erstrebenswert wie ein Schulabschluss wird.“
Dr. Rabea Haß promovierte am Institut für Soziologie der Goethe-Universität in Frankfurt am Main zum Freiwilligen Wehrdienst. Zudem forschte sie von 2011 bis 2014 an der Hertie School of Governance zu nationalen und internationalen Freiwilligendiensten.
Dr. Grzegorz Nocko
Dr. Grzegorz Nocko
„Ein Gesellschaftsdienst soll nicht nach einem Jahr enden. Ein Reservistenstatus stärkt die Nachhaltigkeit eines solchen Dienstes.“
Dr. Grzegorz Nocko leitet das Hauptstadtbüro und das internationale Fellows-Programm der Hertie-Stiftung. Er promovierte am Institut für Erziehungswissenschaft an der TU-Berlin zur europabezogenen politischen Bildung und arbeitete selbst als Trainer in diesem Bereich.
Jugendliche über den Gesellschaftsdienst
In der Bundesrepublik werden überall Spaltungstendenzen sichtbar; der gesellschaftliche Zusammenhalt sinkt. Deswegen brauchen wir in Deutschland eine soziale Dienstpflicht, welche Jugendliche unterschiedlichster sozialer Herkunft zusammenbringt, um ihnen zu zeigen, wie man gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt!
Ich finde es wichtig, dass sich junge Menschen gesellschaftlich engagieren. Ich absolviere selbst eine Ausbildung als Reserveoffizieranwärterin. Aber dieses Engagement sollte durch positive Anreize gestärkt, nicht durch einen Zwangsdienst verordnet werden.
Sie möchten mehr erfahren?
Wenn Sie als Journalistin, Politiker oder Forschende mehr über die Machbarkeitsstudie zum Gesellschaftsdienst erfahren möchten, nehmen Sie gerne mit Dr. Grzegorz Nocko Kontakt auf. Wir versorgen Sie mit Hintergrundinformationen oder vermitteln Ihnen Gesprächspartner zum Thema.