Dr._Rabea_Haß.jpg
Interview mit Dr. Rabea Haß, September 2024

Welchen Bedarf hat unsere Gesellschaft im Notfall? Danach müssen wir handeln

Gerade wurde der zweite Teil der Machbarkeitsstudie zum Gesellschaftsdienst für alle veröffentlicht. Im Interview erklärt die Soziologin und Studienautorin Dr. Rabea Haß, warum die Hertie-Stiftung das Thema aufgreift, welche Modelle für einen Gesellschaftsdienst derzeit diskutiert werden und welche gesellschaftlichen Bedarfe damit gedeckt werden könnten.
Demokratie stärken

Quick Read: Worum es geht

Studienautorin Dr. Rabea Haß erläutert die Kernpunkte des zweiten Teils der Machbarkeitsstudie zum Gesellschaftsdienst. Die Konzentration liegt darin auf einer konkreten Gestaltung des Gesellschaftsdienstes und auf einer stärkeren Bedarfsorientierung. Dabei sind verbesserte Rahmenbedingungen und flexiblere Modelle notwendig, um die Attraktivität eines Gesellschaftsdienstes zu erhöhen und die Zielgruppe zu vergrößern. 

Unsere Welt verändert sich in einem rasanten Tempo und angesichts zentraler Herausforderungen wie Klimawandel, Kriegen, politischer Radikalisierung, Migration und Unsicherheiten in der eigenen Lebensgestaltung hat die seit Jahren geführte Debatte um einen Gesellschaftsdienst an Bedeutung und Intensität gewonnen. Die Hertie-Stiftung hat deshalb 2023 eine Studie veröffentlicht, deren zweiter Teil unter dem Titel „Ein Gesellschaftsdienst für alle - eine Konkretisierung“ jetzt erscheint. Ob ein Gesellschaftsdienst einen Beitrag für die Demokratie leisten kann, wann er wirklich Sinn ergibt - und was es mit dem Wehrdienst-Modell des Bundesverteidigungsministers auf sich hat, erläutert Studienautorin und Soziologin Dr. Rabea Haß in unserem Interview.   

Warum engagiert sich die Hertie-Stiftung für das Thema „Gesellschaftsdienst für alle“?

Die Hertie-Stiftung hat als einen Förderschwerpunkt „Demokratie stärken“, und die Annahme ist, dass ein Gesellschaftsdienst - wenn er gut und richtig ausgestaltet ist – einen wesentlichen Beitrag zu einer Stärkung unseres demokratischen Systems und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten kann. Ursächlich war aber auch das Einzelengagement von einigen Persönlichkeiten, die der Stiftung nahestehen. Konkret ist das Thema Gesellschaftsdienst 2021 auf Initiative von Kuratoriumsmitglied Nico Hofmann, Autor und Jurist Bernhard Schlink und dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Frank-J. Weise in das Portfolio der Hertie-Stiftung aufgenommen worden, mit einem besonderen Schwerpunkt auf Deutschland und Europa. Das war also noch vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine und auch bevor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Debatte zu einer „sozialen Pflichtzeit“ im Mai 2022 angestoßen hat. Anfang 2023 erschien dann der erste Teil unserer Studie, die darauf zielte, den Fokus der bisherigen politischen Debatte auf konkrete Umsetzungsmöglichkeiten zu lenken und somit die Diskussion zu versachlichen. 

Welche Fragen haben Sie nun im zweiten Teil der Studie gestellt?

Im Prinzip ist der zweite Teil noch mal eine Konkretisierung, auch des ersten Teils. Das heißt, es gibt zwei zentrale Leitfragen, die für beide Studien gelten. Zum einen: Wie muss so ein Dienst ausgestaltet sein, dass er möglichst alle in der Gesellschaft anspricht? Und: Wie kann er eben genau diesen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Stärkung der Demokratie leisten, den sich viele in der Debatte erhoffen. Der dritte Aspekt, der die Studien der Hertie-Stiftung ein Stück weit von anderen Untersuchungen zum Thema ergänzt oder auch besonders macht, ist die Europaperspektive. Dass wir Europa also immer mitdenken und prüfen, wo es Ansätze gibt, um von europäischen Partnern in einem Erfahrungsaustausch zu lernen, aber perspektivisch auch europäische Dienstformate frühzeitig mitzudenken und anzuregen.

"Wo wir Differenzen sehen, ist die Frage der Generationen: Soll es ein reiner Dienst nur für Schulabgänger sein oder können wir uns auch Modelle vorstellen, die für Lebensältere interessant sind?"

Warum ist es so wichtig, Europa in Bezug auf einen Gesellschaftsdienst in Deutschland gleich mitzudenken?

Zum einen sehen wir, dass in vielen europäischen Nachbarländern gerade Initiativen zu Gesellschaftsdiensten oder auch zu einer Wiedereinführung oder Umgestaltung der Wehrpflicht vonstatten gehen. Das heißt, es gibt viele Erfahrungen, und ein systematischer Lernaustausch kann uns allen helfen. Wir haben das ja bereits bei Bundesverteidigungsminister Pistorius gesehen, der sich für sein Wehrdienst-Modell sehr aktiv an dem Modell bedient hat, wie es in Schweden gehandhabt wird. Dort steht vor allem der Bedarf einer Gesellschaft im Vordergrund. So haben die Schweden jetzt zum Beispiel wieder einen Zivildienst eingeführt, aber sie sagen eben: „Wir brauchen pro Jahr 3000 Menschen, und dann werden auch nur die 3000 Stellen besetzt. Sollten die Stellen nicht freiwillig besetzt werden können, werden Leute dazu verpflichtet.“ Warum diese Erkenntnisse nicht nutzen? Das alles ist ein erster Schritt, denn leider gibt es zu diesem Thema noch keinen systematischen Austausch auf EU-Ebene. Perspektivisch werden Dinge wie eine europäische Krisenfestigkeit diskutiert, was durchaus sinnvoll ist, wenn wir zum Beispiel über Hochwasserereignisse sprechen, die nicht an der Landesgrenze Halt machen. Ein weiterer Punkt ist, dass wir in ganz Europa durchaus eine Polarisierung und nationalistische Tendenzen sehen und natürlich die Hoffnung besteht, dass ein Dienst, der länderübergreifende Einsätze ermöglicht, zu einem europäischen Zusammenhalt beitragen könnte.

Zu welchen Ergebnissen sind Sie in diesem zweiten Teil der Studie gekommen?

Was beide Studien als Ansatz haben, ist, dass die Hertie-Stiftung einen Beitrag leisten möchte, um die Debatte zum Gesellschaftsdienst zu versachlichen. Während wir in der ersten Studie noch gesehen haben, dass die Diskussion stark an der Frage Pflicht oder Freiwilligkeit entlangläuft und sich bis hin zu einem Grabenkampf spaltet, haben wir gemerkt, dass sich jetzt langsam ein Aufeinanderzubewegen ergibt. Was wir auf jeden Fall auch wahrgenommen haben, ist, dass die Debatte weiterhin sehr aktiv geführt wird. Bereits 2018 gab es den Vorstoß für ein sogenanntes „Deutschlandjahr“ von der damaligen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer. Das war aber eher ein Diskussionsansatz, der gerade mal zwei bis drei Monate angehalten hat. Jetzt beobachten wir seit 2022 eine kontinuierliche Debatte, die sich nun um die Dimension der Wehrpflicht erweitert hat und sich langsam auch in Modellen konkretisiert. Diese Entwicklung haben wir in der zweiten Studie vorweggestellt - auch unter dem Motto „Versachlichung“ - und versucht, Konkretisierungen aufzuzeigen. Zudem haben wir die Modelle beschrieben, die sich momentan in der aktuellen Debatte wiederfinden.

Welche Modelle sind das?

Da ist vor allem das Wehrpflichtmodell von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, mit dem er über eine „Pflicht light“ den Nachwuchs in der Bundeswehr sicherstellen will. Dann gibt es das “soziale Pflichtjahr“ für alle Generationen, mit dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken möchte. Auch die CDU und CSU machen sich für einen verpflichtenden Gesellschaftsdienst stark, der sich allerdings vor allem auf junge Menschen fokussiert. Als viertes Modell sehen wir aus den vielen verbandlich organisierten Trägern den Vorschlag, ein Recht auf Freiwilligendienst einzubringen. Das bedeutet, die bestehenden Freiwilligendienste auszubauen und die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass mehr junge Menschen daran teilhaben können. Was wir bei allen diesen Modellen sehen, ist, dass sie per se davon ausgehen, dass solche Dienstformate sowohl für das Individuum bereichernd sind, aber auch für die Gesellschaft. Es gibt also die Annahme: Der Dienst bringt mir persönlich etwas für meine Weiterentwicklung sowie einen gewissen Kompetenzerwerb, den ich im weiteren Leben einsetzen kann. Und es sind durchaus sinnstiftende Tätigkeiten, die dem Gemeinwohl dienen und einen positiven Beitrag leisten. Es sind sich auch alle Modelle einig, dass man einen möglichst guten Querschnitt der Bevölkerung erreichen sollte, also anteilig genauso viele Männer wie Frauen, sowie einen Querschnitt der Schulabschlüsse und so weiter.

Welche Unterschiede zwischen den Modellen konnten Sie ausmachen?

Wo wir Differenzen sehen, ist die Frage der Generationen: Soll es ein reiner Dienst nur für Schulabgängerinnen und Schulabgänger sein oder können wir uns auch Modelle vorstellen, die für Lebensältere interessant sind? Bereits in der ersten Studie haben wir aufgearbeitet und wissen, dass es grundsätzlich ein großes Interesse an Freiwilligendiensten gibt. Aber es gibt einfach auch Rahmenbedingungen, die viele Leute systematisch ausschließen, weil sie entweder die Informationen nicht haben oder die Rahmenbedingungen so schlecht sind, dass sie sich den Dienst schlicht und ergreifend nicht leisten können. Da setzen wir in dieser Studie noch mal an und werden konkreter. Wir haben zum Beispiel untersucht, welche Zielgruppen heute nicht so gut erreicht werden. Das sind zum einen die Schulabgängerinnen und -abgänger der Haupt- und Realschule. Dazu gibt es einige konkrete Vorschläge in der neuen Studie. Zum Beispiel könnte man ein Dienstjahr, egal ob freiwillig oder verpflichtend, als zehntes praxisbezogenes Schuljahr anerkennen. In Hessen ist das schon so, als bisher einzigem Bundesland.

"Die Bestandssysteme sind nicht flexibel genug. Es gibt oft zu lange Vorlaufszeiten oder die Tätigkeitsprofile sind auf Vollzeit ausgerichtet. Hier sollten mehr Tätigkeiten geschaffen werden, die man auch nur für drei Monate oder mit zehn Stunden pro Woche machen kann."

Was haben Sie noch untersucht?

Wir haben uns angesehen, zu welchen Lebensphasen ein Gesellschaftsdienst außer an dem Übergang von Schule zu Berufseinstieg oder Studium noch interessant sein könnte. Es gibt ja noch andere Übergänge im Leben, die mit einer Umbruchsphase zu tun haben oder einen kleinen Leerlauf ermöglichen, in den sich so einen Dienst gut einschieben ließe. Das wären zum Beispiel Phasen von Arbeitslosigkeit, aber auch Überbrückungsphasen, die entstehen, wenn man irgendetwas abbricht. Die Studien- oder Ausbildungsabbruchsquoten steigen tendenziell und sind relativ hoch. Wir haben dazu konkrete Vorschläge gemacht, dass man genau in diese Momente der Lebensphasen reingehen muss, um die Menschen zu erreichen. Das gleiche gilt für den Übergang in den Ruhestand, in dem ja viele Leute noch fit sind und sich engagieren möchten. Oder auch selbstgewählte Auszeiten wie das Sabbatical. Nicht jeder möchte für ein halbes Jahr durch Ostasien reisen, um neue Impulse zu bekommen. Viele sagen sogar: „Ich würde mich gerne engagieren.“ Nur sind die Bestandssysteme nicht flexibel genug. Es gibt oft zu lange Vorlaufszeiten oder die Tätigkeitsprofile sind auf Vollzeit ausgerichtet. Hier sollten mehr Tätigkeiten geschaffen werden, die man auch nur für drei Monate oder mit zehn Stunden pro Woche machen kann. Die würde es durchaus geben, gerade im Katastrophenschutz, aber sie werden weder angeboten noch koordiniert.

Etwa 29 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich, das sind 40 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahre. Warum braucht es zusätzlich ein Gesellschaftsjahr?

Ein wichtiger Punkt. In der zweiten Studie definieren wir einen Kern des Dienstes und sagen, dass er sich vom Ehrenamt insofern unterscheiden muss, dass der Gesellschaftsdienst viel stärker bedarfsgetrieben ist. Was braucht die Gemeinschaft? Ehrenamt hat immer mehr diese intrinsische „Das macht mir Spaß-Motivation“. Bei dem Gesellschaftsdienst kann eher ein Merkmal sein, dass es sich um eine sehr klar beschriebene und in sich abgeschlossene Tätigkeit mit einer ganz konkreten Tätigkeitsprofil-Laufzeit handelt. Das können dann eben acht Stunden über sechs Monate für Zweck XY sein. Wir brauchen also eine Verständigung darüber: Was braucht die Gesellschaft eigentlich, und was ist sozusagen gemeinwohlfördernd? Das kann sich in Regionen unterscheiden, und es kann sich aber auch in Zeitzyklen verändern.

Haben Sie ein Beispiel?

Wenn wir eine pandemische Lage haben, brauchen wir an vielen Orten eine andere Unterstützung als in einer ruhigen Phase wie jetzt. Zurzeit gehen sehr viele Leute aus dem öffentlichen Dienst in den Ruhestand. Genau diese Menschen werden während einer Pandemie besonders stark gebraucht, um Aufgaben des öffentlichen Dienstes aufzufangen, die eigentlich staatlich geleistet werden müssten, aber in einer Notlage nicht mehr getragen werden können. Hier sollte der Gesellschaftsdienst ansetzen, um im Katastrophenfall gut vorbereitet zu sein. So ein Dienst darf natürlich kein lang- oder mittelfristiger Lückenbüßer sein, aber er kann in Notlagen immer eine Ergänzung sein. Ein weiteres Beispiel: ein Hochwasser, für das man dann auf minimal geschulte Helferinnen und Helfer zurückgreifen kann. Menschen, die man in einem digitalen System abrufen kann und die in dem Moment einsatzfähig sind. Diese Menschen brauche ich aber nicht, damit sie in Vollzeit ein Jahr an der Donau stehen und gucken, was das Wasser macht, weil sie dann wahrscheinlich 360 Tage im Jahr Langeweile haben. Das bringt keinem was. Es geht also darum, den Bedarf zu ermitteln, um den Gesellschaftsdienst danach auszurichten.

Gibt noch andere bekannte Bedarfe als den Katastrophenfall, für die ein Gesellschaftsdienst sinnvoll wäre?

Es geht auch um eine gesamtheitliche Resilienz der Bevölkerung. Gerade die kommunalen Spitzenverbände sagen, wir bräuchten eine Bevölkerung, die in Krisen ein bisschen mehr in der Lage ist, sich selbst zu helfen. Sowohl bei Umwelt- oder Klimakatastrophen als auch bei einem potenziellen Angriff. Dann gibt es Themenfelder, die vor allem aktuell die Kommunen betreffen. Sie sagen: „Wir sind für eine Ganztagsbetreuung zuständig, sowohl im Kindergarten als auch im Schulbereich, die wir eigentlich nicht stemmen können.“ Hinzu kommt eine riesige Aufgabe mit der Integration, die bei den Kommunen liegt, aber von ihnen nicht allein bewältigt werden kann. Das wären momentan die dringlichsten Einsatzfelder. Natürlich schwingt auch immer das Thema Pflege mit, aber da ist es tatsächlich ein schmaler Grat zwischen echten Fachkräften, die man braucht, und unterstützenden Leistungen, die auch von Dienstleistern punktuell erbracht werden könnten.

Sollte der Gesellschaftsdienst eher verpflichtend oder freiwillig sein?

Das lässt die Studie insofern offen, da es am Ende eine politische Entscheidung ist. Der Bedarf muss im Zentrum stehen. Wenn wir - so ähnlich, wie es Minister Pistorius auch macht - im ersten Schritt zu der Erkenntnis kommen, dass wir nur 200.000 sinnvolle Stellen haben, dann würden wir nicht empfehlen, über eine Pflicht nachzudenken, die allein bei jungen Menschen schon 700.000 pro Jahrgang bedeuten würde. Dafür hätten wir im ersten Schritt auch gar nicht die Infrastruktur. Unser Vorschlag ist, den Prozess schrittweise zu gehen. Im ersten Schritt die Freiwilligkeit auszuschöpfen, indem man einfach die Rahmenbedingungen so verbessert, dass der Dienst noch mal für deutlich mehr Menschen attraktiv wird. Wir hatten bereits in der ersten Studie darauf hingewiesen, dass es ein starkes Informationsdefizit gibt. Da sind wir in der zweiten Studie noch mal konkreter geworden, dass dies nicht nur für junge Menschen gilt. Selbst wenn Schulabgängerinnen und -abgänger beispielsweise vom Bundespräsidenten ein Schreiben bekommen sollen, in dem es um den Dienst für die Gesellschaft geht, greifen diese Dinge aus unserer Sicht zu kurz, weil es noch mehr Phasen im Leben gibt, in denen man sich für einen Dienst entscheiden könnte oder sollte.

Wie und wo könnten solche Informationen vermittelt werden?

Immer bei ohnehin vorgesehenen staatlichen Aktionen, wenn ich also mit meinem Auto zum TÜV fahre, wenn ich meinen Ausweis verlängere oder meinen Wohnsitz ummelde, dann sollte immer die Botschaft erscheinen: „Hey, übrigens könntest Du Dich auch einbringen“. Das muss selbstverständlich mit einem guten digitalen System gekoppelt sein. Dafür braucht es in dieser Dienstwelt einen Quantensprung an Digitalisierung, um zentral diese Bedarfe abzubilden und dann auch ein Matching zu haben.

"Wir sind zuversichtlich, dass Frank-Walter Steinmeier ein wichtiger Impulsgeber sein wird, der auch weiterhin interessante Aspekte aufgreift und in die Debatte trägt, auch wenn er qua Amt nicht in der Lage ist, die Dinge umzusetzen."

Was erhoffen Sie sich nach Veröffentlichung der Studie?

Wir sind froh und positiv gestimmt, dass die Debatte weiterhin so lebendig ist und jetzt auch die zweite Studie mit Sicherheit einen Beitrag zu einer Versachlichung leisten kann. Realistischerweise wird es jetzt keine schnelle Umsetzung für so einen Gesamtwurf geben. Was wir uns aber gut vorstellen können, ist, dass Einzelbausteine für eine bessere Anerkennung und für eine fairere Vergütung der Bestands-Freiwilligendienste durchaus umgesetzt werden können. Was aus unserer Sicht ein großer Hebel ist und auch künftig interessant sein wird, ist die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht.

Inwiefern?

Wenn das Modell von Pistorius greifen sollte, gehe ich davon aus, dass damit eine „richtige“ Wehrpflicht folgen könnte. Geplant ist, dass alle angeschriebenen jungen Männer verpflichtend einen Fragebogen ausfüllen sollen, ob sie zum Dienst an der Waffe fähig und bereit wären. Dann hofft Pistorius, dass darunter genug Freiwillige sind, um die benötigten Stellen in der Bundeswehr zu schließen, genauso wie es Schweden macht. Dahinter steckt aber eine Pflicht und die Wehrpflicht, die in unserem Grundgesetz verankert ist, würde reaktiviert. Pistorius hätte ein Instrument in der Hand, um verpflichtend einzuziehen, wenn bestimmte Bedarfe nicht gedeckt werden oder es die Sicherheitslage erfordert. Wen dann nehmen? Dänemark macht es nach einem Losprinzip, Schweden nach Eignung. Es bleibt also spannend.

Am 3. September haben Sie und Ihr Co-Autor Dr. Grzegorz Nocko die Studie dem Bundespräsidenten in Berlin übergeben. Wie kam es dazu?

Der Bundespräsident hat sich in den vergangenen zwei Jahren sehr stark gemacht für das Thema Gesellschaftsdienste. Er hat eine glaubwürdige Stimme in der Debatte, auch mit einer starken eigenen Position, die bestimmt auch an vielen Stellen von unserer Studie abweicht. Deswegen ist er als höchster Repräsentant des Staates ein guter parteiübergreifender Empfänger. Wir sind zuversichtlich, dass Frank-Walter Steinmeier ein wichtiger Impulsgeber sein wird, der auch weiterhin interessante Aspekte aufgreift und in die Debatte trägt, auch wenn er qua Amt nicht in der Lage ist, die Dinge umzusetzen. Am Ende erhoffen wir uns natürlich auch, dass dieses wichtige Thema durch den Bundespräsidenten nochmal an Fahrt aufnimmt.
 

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung

Werden Sie Teil unserer Gemeinschaft – abonnieren Sie unseren Newsletter!

Das Interview hat dich zum Nachdenken angeregt? teile es