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Interview über unternehmerische Verantwortung, September 2023

Unternehmen haben eine Mitverantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung in ihrem Land

Markus Langer, Geschäftsführer der Evonik Stiftung, erzählt in unserem Interview, welche Erfahrungen das Unternehmen mit dem Programm Business Council for Democracy (BC4D) gemacht hat und warum Unternehmen in der Verantwortung stehen, etwas gegen die Ausbreitung von Hassrede, gezielter Desinformation und Verschwörungserzählungen zu tun.
Demokratie stärken

Quick Read: Worum es geht

In diesem Interview sprechen wir mit dem Geschäftsführer der Evonik Stiftung Markus Langer über die Erfahrungen des Unternehmens   mit dem Programm Business Council for Democracy (BC4D). Markus Langer erläutert, warum sich das Unternehmen in der Verantwortung sieht, sich für gesellschaftliche Belange zu engagieren, wie Evonik das Programm im Unternehmen umsetzt, welche  Herausforderungen dabei anfallen und  wie die Resonanz der Evonik-Mitarbeitenden bisher ausgefallen ist. Dabei betont er, dass  das Programm für die meisten Mitarbeitenden ein Augenöffner in Sachen Medienkompetenz darstellt. Nun gehe es darum, neue Formate für das Programm zu entwickeln,  mit dem BC4D-Wissen eigene  Kompetenzen im Hause aufzubauen und das Programm langfristig in das  Unternehmensengagement einzugliedern. 

Die Demokratie zu stärken, ist eine Aufgabe für alle Teile der Gesellschaft, auch für die Wirtschaft. Der Business Council for Democracy (BC4D), ein Programm der Hertie-Stiftung und Projektpartnern, versteht sich als entsprechendes Angebot an Unternehmen: In kostenlosen Schulungen können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nun bereits in einer siebten Schulungs-Staffel seit 2020 mehr  über die Ausbreitung von Hassrede, Desinformation und Verschwörungserzählungen erfahren und lernen, etwas dagegen zu tun. Auch das Spezialchemie-Unternehmen Evonik nimmt seit Beginn des BC4D im Jahr 2020 am Programm teil. Warum? Markus Langer, Geschäftsführer der Evonik Stiftung, erzählt in unserem Interview, welche Erfahrungen das Unternehmen mit dem Programm gemacht hat, wo es noch Verbesserungsbedarf gibt - und wann er selbst mal auf Falschinformationen reingefallen ist.   

Evonik gehörte zu den ersten Unternehmen in Deutschland, die beim BC4D mitmachen, im Herbst startet die vierte Schulungs-Staffel für Evonik-Mitarbeitende. Warum engagiert sich das Unternehmen so stark für gesellschaftliche Belange?
Uns überzeugt die inhaltliche Analyse, die der Business Council for Democracy vorgenommen hat: Nämlich, dass Verschwörungsmythen und Desinformationen - vor allem online - die große Herausforderung für liberale Demokratien in unserer Zeit sind. Nun sind Desinformation und Verschwörungserzählungen nichts Neues in der Geschichte, der gesamte Nationalsozialismus baut darauf auf. Aber in früheren Zeiten gab es noch keine sozialen Medien, die heute als Brandbeschleuniger wirken. Sie geben dem Thema eine Dringlichkeit, die es bisher nicht hatte. Wir halten es wie der BC4D außerdem für wichtig, die Zivilgesellschaft in die Pflicht zu nehmen und die Arbeitgeber zu ermutigen, sich zu engagieren. Unser Vorstandsvorsitzender Christian Kullmann hat erst kürzlich gesagt: „Es gibt kein Wirtschaftsunternehmen außerhalb der Gesellschaft.“ Das bedeutet, dass Unternehmen eine Mitverantwortung haben für die gesellschaftliche Entwicklung in ihrem Land. 

Wie setzt Evonik das Programm im Haus konkret um?
Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen können sich für das Programm bewerben. Wir starten im Intranet eine Ausschreibung für die interaktiven Schulungen des Business Council for Democracy. Pro Staffel stehen 20 Plätze zur Verfügung, die wir möglichst repräsentativ vergeben. Das bedeutet, wir berücksichtigen Geschlecht, Alter, Standort und Art des Arbeitsplatzes, also ob jemand eher im Büro tätig ist oder in der Produktion. 

Es handelt sich um ein freiwilliges Programm für Ihre 20.000 Mitarbeitenden in Deutschland. Wie erreichen Sie diejenigen, die sich selbst nie bewerben würden - das Wissen aber vielleicht gut gebrauchen könnten? 
Das ist natürlich eine Herausforderung.  Wir halten es für keine gute Idee, Menschen dazu zu zwingen, das Programm zu absolvieren. Wer nicht die Offenheit mitbringt, dazuzulernen, zieht nur die ganze Gruppe runter. Wir achten lieber darauf, dass sich die Teilnehmer immer auch als Multiplikator eignen, allein schon durch ihre Funktion oder Persönlichkeit. Wir konzentrieren uns darauf, die Starken zu stärken – also diejenigen, die bereit sind, am Arbeitsplatz oder in ihrem persönlichen Umfeld für die Demokratie einzustehen.

Wie geht Evonik selbst aktiv gegen Rassismus und Intoleranz innerhalb des Unternehmens vor? 
„Rassismus und Intoleranz haben bei uns keinen Platz“, heißt es immer. Aber das ist natürlich nur eine Floskel. Wenn es so wäre, müssten wir ja gar nicht darüber sprechen. Aktiv gegen Rassismus und Intoleranz vorzugehen, bedeutet für Evonik, die Räume ganz, ganz eng zu machen. Einerseits dadurch, dass das Unternehmen klare Kante zeigt, wenn es darauf ankommt: So wurde einem Mitarbeiter, der aus einer Mischung aus Frustration, Alkohol und rassistischen Vorurteilen gewalttätig wurde, fristlos gekündigt. Andererseits dadurch, dass das Unternehmen ganz gezielt Versuche unternimmt, die „Mauer des Schweigens“ zu durchbrechen, das rassistisches Denken und Handeln umgibt. So hat unsere Jugend- und Auszubildenden-Vertretung - unterstützt von Personalvorstand und Betriebsrat -Anfang des Jahres die Aktion „Lass es raus“ gestartet: An allen Standorten wurden Boxen aufgestellt, in denen die Mitarbeiter Erfahrungen mit Rassismus am Arbeitsplatz loswerden konnten – und zwar anonym. Die Ergebnisse wurden als Basis für gezielte Informationsveranstaltungen im Rahmen der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ im März genutzt. 

Wie ist die Resonanz der Mitarbeitenden, die sich bei dem Programm des BC4D mit Hassrede, Desinformation und Verschwörungserzählungen im Netz beschäftigen?
Die Resonanz ist sehr gut, das Programm ist für die meisten wirklich ein Augenöffner in Sachen Medienkompetenz. Viele erfahren erstmals, wie trickreich Fake News heutzutage eingesetzt werden, und dass sie selbst die Möglichkeit haben, den Wahrheitsgehalt einer Information oder auch eines Fotos im Netz zu überprüfen. Da gibt es viel Handwerkszeug, das vermittelt wird. Der Erfolg einer Schulung hängt natürlich stark von den Referentinnen und Referenten ab. Je mehr ein Referent über das weiß, was er vermittelt, desto größer die Motivation der Teilnehmenden. Man muss wirklich sagen: Großes Lob an die Hertie-Stiftung und ihre Projektpartner. Sie haben immer exzellente Dozenten und Dozentinnen ausgesucht, da sind unsere Erfahrungen und Rückmeldungen sehr gut. 
 

"Das Programm ist für die meisten wirklich ein Augenöffner in Sachen Medienkompetenz. Viele erfahren erstmals, wie trickreich Fake News heutzutage eingesetzt werden, und dass sie selbst die Möglichkeit haben, den Wahrheitsgehalt einer Information oder auch eines Fotos im Netz zu überprüfen. "

Können Sie bereits beobachten, dass sich die Erfahrung der Teilnehmenden in die Breite des Unternehmens vervielfältigt hat - oder ist es doch eher Einzelwissen? 
Wir sind gerade dabei, mit unserem BC4D-Wissen eigene Kompetenz im Hause aufzubauen. Dazu gibt es beim Business Council for Democracy ein Train-the-Trainer-Konzept, durch das Mitarbeitende zu digitalen Experten für Debattenkultur und Demokratie weitergebildet werden. Wir haben mittlerweile zwei Mitarbeiter, die daran teilgenommen haben und in der Lage sind, eigene Seminare zu dem Thema zu veranstalten. Sie waren zum Beispiel im Rahmen unserer „MUTausbruchtage“ im Einsatz, an denen sich jedes Jahr mehr als 400 Auszubildende mit der NS-Geschichte unserer Vorgängergesellschaften beschäftigen. Da bieten wir verschiedene Workshops an, und ein Workshop zu klassischen BC4D-Themen wurde von einem unserer eigenen Mitarbeiter gestaltet. Dadurch stärken wir das Thema Debattenkultur und Demokratieförderung bewusst über die jeweils 20 Mitarbeitenden hinaus, die an dem Programm teilnehmen. 

Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf beim Programm?
Wir wollen gemeinsam mit dem BC4D daran arbeiten, neue Formate zu entwickeln, mit denen wir auch unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Produktion noch besser ansprechen können. Bisher finden die BC4D-Schulungen online am Arbeitsplatz statt und sind damit vor allem für die Bürojobs geeignet. Nur sitzen die Produktionsmitarbeiter in der Regel nicht am Computer, deshalb müssen und wollen wir sie künftig anders erreichen. 
 

Gibt es etwas, was Sie im Rahmen des Programmes überrascht hat oder womit Sie nicht gerechnet hätten?
Sie meinen typische Aha-Momente? Ich glaube, die haben schon alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Programms erlebt. Man ist immer wieder überrascht, wie leichtfertig man Informationen weitergibt, ohne die Quelle geprüft zu haben. Hauptsache, es passt ins eigene Weltbild.  Am Ende ist es eben ein Phänomen, das uns alle betrifft. Auch ich selbst bin schon mal auf Falschinformationen reingefallen…

Was war passiert?
Im Juni 1997 kam der sechsjährige Joseph im sächsischen Sebnitz bei einem Badeunfall ums Leben, und zwar in einem voll besetzten öffentlichen Freibad. Zunächst hieß es, Neonazis hätten das Kind im Schwimmbad ertränkt und niemand hätte eingegriffen. Die Eltern des Jungen sprachen von einem „Mord“, bei dem Hunderte Badegäste weggeschaut haben sollen. Seriöse Medien griffen diese Erzählung auf. Plötzlich stand eine ganze Stadt unter dem Generalverdacht des Rechtsextremismus. Warum habe ich diese Geschichte geglaubt, ohne sie einmal in Frage zu stellen? Weil sie genau in mein damaliges Weltbild passte, und in dem waren alle „Ossis“ rechtsextrem.
Am Ende ergaben die Ermittlungen, dass der Junge, der unter einer Vorerkrankung des Herzens litt, wohl beim Spielen im Wasser ohne Gewalteinwirkung ertrunken war. Der Fall ist mir eine stetige Mahnung, Informationen nicht ungeprüft hinzunehmen. Genau diese Skepsis müssen wir auch den Menschen in unserer Demokratie nahelegen, denn ein mündiger Bürger kann nichts anderes sein als ein skeptischer Bürger, der alle Informationen prüft und sich fragt: Kann das wirklich sein? In den Schulungen des BC4D lernen die Teilnehmenden genau, wie sie seriöse Quellen erkennen und Informationen prüfen können - und vor allem, wie sie skeptisch bleiben. 
 

Wie erleben Sie den Austausch mit anderen Wirtschaftsakteuren des BC4D, zum Beispiel bei den Netzwerktreffen?
Diese Kontakte sind sehr wichtig, weil sie uns neue Impulse geben. Wie gehen andere Unternehmen mit diesen Themen um? An welchen Stellen ist das Programm dort aufgehängt? Bei manchen ist es Teil der Kommunikation oder der Human Resources, bei anderen gehört es zur Compliance und zu den Juristen. Dadurch ergeben sich innerhalb der Unternehmen unterschiedliche Schwerpunkte, unter denen die Themen des BC4D behandelt werden können. Im Netzwerk entsteht dadurch ein bereichernder Austausch, auch zum Stimmungsbild in den anderen Unternehmen und damit natürlich auch zum Stimmungsbild deutschlandweit.   
 

"Gerade wenn man sich mit der Geschichte und der Rolle der Wirtschaft im Nationalsozialismus beschäftigt, kommt man immer auch auf die klassischen Themen des BC4D. Fake News und Verschwörungserzählungen sind ja keine Neuerfindung, sondern haben eine schlechte Tradition. "

Wie fügt sich der BC4D in das Unternehmensengagement von Evonik ein?
Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit unserer Vergangenheit, nicht von Evonik direkt, weil diese Unternehmensmarke ja erst 2007 eingeführt worden ist, sondern mit der NS-Geschichte unserer Vorgängergesellschaften, also zum Beispiel mit der Degussa oder mit Hüls, die alle auf irgendeine Weise an den NS-Verbrechen beteiligt waren. Sei es durch Enteignungen, Zwangsarbeit oder den Vertrieb von Zyklon B. Natürlich interessiert uns, was damals schiefgelaufen ist und was wir daraus lernen können. Es ist für uns wichtig, immer wieder daran zu erinnern: Wenn man über die Vergangenheit redet, spricht man immer auch über die Gegenwart. Denn beim Blick zurück kann man unheimlich viel lernen, was einer Demokratie schadet und wie man sie schützt. Deswegen veranstalten wir seit 2017 jedes Jahr eine Gedenkstättenreise nach Auschwitz mit Mitarbeitern von Evonik und Mitarbeitern unseres Sponsoringpartners Borussia Dortmund. Und wir veranstalten jedes Jahr die bereits erwähnten „MUTausbruchtage“, an denen wir unsere Azubis mit der NS-Geschichte unserer Vorgängergesellschaften konfrontieren. Wir schicken sie anschließend in Workshops zu Themen wie Antisemitismus heute, Rassismus und Diskriminierung heute, auch im Fußball zum Beispiel. Unter anderem gibt es ein dreitägiges Berlinprogramm, das alle unsere Führungs-Nachwuchskräfte durchlaufen. Da geht es nur um Haltungsfragen, also um das, was wir selbst angesichts unserer eigenen NS-Geschichte tun können, damit sie sich nicht wiederholt, und was wir von Unternehmensführerinnen und -führern erwarten. Der Business Council for Democracy rundet dieses Gesamtprogramm ideal ab. Gerade wenn man sich mit der Geschichte und der Rolle der Wirtschaft im Nationalsozialismus beschäftigt, kommt man immer auch auf die klassischen Themen des BC4D. Fake News und Verschwörungserzählungen sind ja keine Neuerfindung, sondern haben eine schlechte Tradition. Insofern gibt uns der BC4D neue Impulse aus der Gegenwart, um zu lernen, wie wir mit diesen alten und neuen Herausforderungen umgehen müssen. 
 

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung    

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