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Kassandra Kate Ramey. Foto: privat.
Interview mit Kassandra Kate Ramey

Wir müssen Rassismus in Deutschland endlich als Problem anerkennen.

Die Aktivistin Kassandra Kate Ramey setzt sich dafür ein, dass Rassismus in Deutschland endlich als Problem anerkannt wird.
Demokratie stärken

Kassandra Kate Ramey (27) ist in Deutschland geboren, doch Rassismus ist für die Bonner Studentin und ehemalige START-Stipendiatin ein lebenslanger Begleiter. So musste die Tochter eines Afroamerikaners und einer Philippinerin schon als kleines Mädchen die Schule wechseln, weil die täglichen Anfeindungen unerträglich wurden. „Rassismus ist in Deutschland existent, nur gibt es bisher keine Einigung darüber“, sagt Kassandra heute. Um Menschen für das Thema zu sensibilisieren, hat sie auf Instagram mit großem Erfolg die Kampagne #iseeracism (Ich sehe Rassismus) gestartet. Worum es da genau geht und wie das START-Stipendium Kassandra auf ihrem Weg geholfen hat, erzählt sie in unserem Interview.     

Worum geht es in der Kampagne #iseeracism? 

In Deutschland sind viele Menschen davon überzeugt, dass es hierzulande keinen Rassismus gibt. Das ist aber nicht so, Rassismus findet bei uns jeden Tag statt. Die Kampagne will auf das Thema aufmerksam machen und gibt Leuten die Möglichkeit, ihre Erfahrungen auf der Instagram-Seite zu teilen. Entweder als Betroffene oder Zeugen, aber auch, wenn jemand bei sich selbst bemerkt, etwas Rassistisches gesagt oder gedacht zu haben. Jeder kann sich in die Diskussion einbringen, auf Wunsch auch anonym. 

"Viele Leute behaupten, in Deutschland gebe es keinen Rassismus. Ich will dieses leugnen und Verharmlosen nicht so stehen lassen"

Was war der Anlass für Dein Engagement? 

Nach dem gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd in den USA sind die Black-Lives-Matter-Proteste auch nach Deutschland übergeschwappt. Sehr schnell ging die Relativierung los, dass bei uns ja alles „nicht so schlimm“ sei, und dass es in Deutschland keinen Rassismus geben würde. Ich wollte dieses Leugnen und Verharmlosen nicht so stehen lassen, deshalb habe ich die Seite auf Instagram ins Leben gerufen. Nach knapp zwei Wochen hatten wir schon 40 Erfahrungsberichte, heute sind es über 100 – eine gute Basis, um das Thema bei Politikern auf die Tagesordnung zu bringen. Daran arbeite ich.      

Was berichten die Menschen über ihre Rassismus-Erfahrungen?  

Häufig sind es Betroffene, die ihre Erlebnisse teilen. Sie erzählen, dass sie wegen ihrer Hautfarbe beleidigt oder benachteiligt wurden, zum Beispiel bei der Job- oder Wohnungssuche. Schwarze berichten, dass sie ständig gefragt werden, ob man bei ihnen Drogen kaufen könne. Und asiatisch aussehende Deutsche, dass sie seit der Corona-Pandemie angespuckt werden. Aber wir haben auch viele Nachrichten von Leuten, die sich selbst hinterfragen. Die sich schämen, dass sie nachts sofort die Straßenseite wechseln, wenn ihnen eine Gruppe nicht Deutsch aussehender Männer entgegenkommt. 

Du sagst, vielen Menschen sei es vermutlich gar nicht bewusst, dass sie sich rassistisch verhalten. Hast Du Beispiele? 

Sie fragen zum Beispiel oft, woher man „wirklich“ kommt und können es nur schwer dabei belassen, wenn man ihnen einen deutschen Städtenamen nennt. Ich bin in Schwäbisch Hall geboren, höre aber oft „nein, nein, ich wollte wissen, woher Du wirklich kommst.“ Oder man bekommt ungefragt „Komplimente“ wie: „Du bist ja eine von den Guten“, oder „Also ich sehe Dich komplett als Deutsche“. Ich bin Deutsche, aber weil ich eine dunkle Haut habe, wird das unbewusst oft in Frage gestellt. Auch deshalb habe ich die Kampagne gestartet.  

Du musstest als Kind wegen rassistischer Beleidigungen sogar die Schule wechseln… 

Ja, wir waren mit der Familie von der Stadt aufs Land gezogen und ich bin in einem Dorf in die Grundschule gegangen. Es war sehr schlimm. Jeden Tag haben mich andere Kinder wegen meiner Hautfarbe geschubst, beleidigt und an meinen Zöpfen gezogen. Die Lehrkräfte griffen kaum ein. Am Ende hatte ich so starke Bauchschmerzen, dass der Kinderarzt meiner Mutter riet, sie solle mich lieber wieder auf meine alte Schule in die Stadt schicken. Dort ging es mir dann besser, und meine Zeugnisse waren sehr gut. Trotzdem bekam ich nur eine Hauptschulempfehlung. Meine Mutter hat mich dann auf die Realschule geschickt, aber ich hatte immer das Gefühl: „Ich bin nicht gut genug.“  

Wie kam es, dass Du START-Stipendiatin geworden bist? 

Ich war erst gar nicht dafür vorgesehen… Ich bin in dem kleinen Ort Frankenthal in die Realschule gegangen, hatte sehr gute Zeugnisse und gab in einem Mehrgenerationenhaus ehrenamtlich Nachhilfe. Ein Mädchen aus meiner Klasse, das aus Polen kam, wurde von meinem Klassenlehrer gefragt, ob es sich nicht für das START-Stipendium bewerben wolle. Mich hatte er dafür nicht in Betracht gezogen. Also habe ich mir die Webseite angesehen und mich kurzerhand selbst beworben. Wegen der Empfehlung habe ich meinen Deutschlehrer gefragt. Dann wurde ich genommen.

Welche Erfahrungen hast Du während des Stipendiums gemacht?  

Die START-Stiftung und das Stipendium gehören zu den besten Dingen, die in meinem Leben passieren konnten. Ich hatte immer das Gefühl, nicht intelligent genug zu sein und große Angst davor, auf das Gymnasium zu gehen. Nach der 10. Klasse bekam ich zusammen mit dem START-Stipendium dann die Empfehlung. Irgendwann Abi zu machen und zu studieren, konnte ich mir damals gar nicht vorstellen. Mit dem Stipendium der START-Stiftung hat sich das geändert: Plötzlich war ich mit Gleichaltrigen zusammen, die selber super engagiert waren, und als junge Menschen mit Migrationshintergrund ähnliche Erfahrungen gemacht hatten wie ich. Hinzu kam: Jeder von der Stiftung hat uns extrem ermutigt. Immer wurde gesagt: „Ihr könnt alles erreichen, was ihr wollt. Ich müsst euch ein bisschen dafür anstrengen, aber ihr könnt es. Ihr seid nicht dumm, ihr schafft das.“ Dieses Supportsystem hat dazu geführt, dass ich Selbstbewusstsein entwickeln konnte und anders an das Leben herangegangen bin. Durch die vielen Workshops und Akademien der Stiftung habe ich dann mein Interesse für politische Themen entdeckt. Ich weiß noch: In den Ferien sind wir einmal nach Berlin in den Reichstag gefahren und haben uns das politische Geschehen angesehen. Ich fand das extrem interessant und habe angefangen, mich bei Projekten zu engagieren, wie zum Beispiel der Bundeszentrale für politische Bildung, für die ich in Schulen über Europapolitik aufgeklärt habe. Seit 2012 bin ich nun Jugendbotschafterin für die internationale Bewegung ONE, die sich für den Kampf gegen extreme Armut und Krankheiten einsetzt.

Weiterführende Informationen

Alle Informationen rund um die START-Stiftung finden Sie auf der Website:

www.start-stiftung.de

Für ONE hast Du bereits viele interessanten Persönlichkeiten getroffen wie die ehemaligen UN-Generalsekretäre Kofi Annan und Ban Ki-moon oder Friedensnobelpreisträgerin Malala, aber auch Kanzlerin Angela Merkel. Können diese mächtigen Menschen wirklich etwas gegen Rassismus und Ungleichheit tun, oder braucht es mehr Akteure wie Dich, die sich aus der Gesellschaft heraus engagieren?     

Um eine flächendeckende Veränderung in der Gesellschaft zu bewirken, braucht es viele Möglichkeiten und viele verschiedene Ansätze. Einerseits Projekte, die aus der Mitte der Gesellschaft mit vielen Menschen, Freunden und Nachbarn umgesetzt werden. Zugleich braucht es auch politische Vorbilder und die Möglichkeit, per neuer Gesetze Veränderungen durchzusetzen. Hier denke ich zum Beispiel an Gesetze, die es weniger leicht ermöglichen, Racial Profiling anzuwenden. 

Hast Du noch Kontakt zu START-Stipendiatinnen und Stipendiaten? 

Ja, es sind auch immer noch meine besten Freunde. Ich habe auch Freunde, die bei START arbeiten. Und ich habe für ONE selbst schon Workshops zu dem Thema „Frauen in Entwicklungsländern und extremer Armut“ bei START gegeben.  

Wie sehen Deine beruflichen Pläne aus? 

Ich studiere Jura und stehe vor dem 1. Staatsexamen. Später würde ich gern in einer Institution wie der UN oder der EU arbeiten, oder auch für eine NGO. Menschenrechte und Völkerrechte sind einfach mein Thema.  

Dein größter Wunsch? 

Dass Rassismus als existierendes Problem in Deutschland endlich anerkannt wird. Jeder von uns hat schon Rassismus gesehen, gehört oder war rassistisch. Auch ich bin nicht frei davon, ich habe auch schon die Straßenseite gewechselt, als mir nachts Migranten entgegenkamen. Aber erst wenn wir anerkennen, dass wir ein Rassismusproblem haben, entsteht eine Basis, auf der wir Lösungen entwickeln können, um irgendwann friedlich miteinander zu leben.  

Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung.

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