Interview mit Sarah Shiferaw
Es gibt immer Möglichkeiten, gegen Hass im Netz vorzugehen.
Unsere Demokratie-Initiative für die Wirtschaft geht in die zweite Runde: Der Business Council for Democracy (BC4D) weitet sein bundesweit einzigartiges Schulungs-Programm gegen Online-Bedrohungen und Hass im Netz auf bis zu 100 Arbeitgeber aus. Doch was passiert da eigentlich in den Trainings, die sich explizit an Berufstätige wenden? Sarah Shiferaw vom Institute for Strategic Dialogue Germany ist BC4D-Trainerin. In unserem Interview berichtet die Berlinerin, was Inhalt der Fortbildungs-Module ist, welche Erfahrungen die Teilnehmenden mit Beleidigungen in sozialen Medien gemacht haben, und wie sie sich mit einfachen Tools wehren können.
Worum geht es bei den Trainings des BC4D?
Der Business Council for Democracy (BC4D) richtet sich an private und öffentliche Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Schulungen zu den demokratierelevanten Gefahren im Internet anbieten möchten, vor allem zu Hassrede, Verschwörungserzählungen und gezielter Desinformation. Wir wollen, dass mehr Menschen verstehen, was digitale Polarisierung mit unserer Gesellschaft macht und gemeinsam ins Handeln kommen, um unser demokratisches Gemeinwesen zu schützen. Dahinter steckt eine gemeinsame Initiative der Hertie-Stiftung, des Institute for Strategic Dialogue Germany und der Robert Bosch Stiftung, um Erwachsene über demokratiegefährdenden Phänomenen im Netz aufzuklären. Bisher richten sich solche Angebote eher an Jugendliche, die mit dem Internet groß geworden sind. In den Online-Trainings erfahren nun erwachsene Berufstätige, wie sie zum Beispiel Online-Gewalt und Falschinformation erkennen und mit praktischen Methoden gezielt entgegentreten können.
Wie oft treffen Sie sich online?
Die Schulungen, an denen etwa 15 bis 20 Beschäftigte teilnehmen, finden jeweils eine Stunde in der Woche während der Arbeitszeit statt, und gehen über acht Wochen. Nach dem Pilotprojekt, an dem sechs Unternehmen teilgenommen haben, geht der BC4D jetzt in die nächste Runde und wird auf bis zu 100 Arbeitgeber ausgeweitet.
"Es ist großartig zu sehen, dass sich Unternehmen ganz klar für die Demokratie positionieren, indem sie ihren Beschäftigten Arbeitszeiten freigeben, um sich für dieses wichtige Thema fortzubilden."
Dass Unternehmen ihre Beschäftigten schulen, digitale Demokratiegefahren zu erkennen, ist in Deutschland bislang einzigartig. Warum ist dieses Angebot so wichtig?
Wir erleben, dass die gesellschaftliche Spaltung im Land zunimmt. Hass und Falschinformation machen sich breit, Verschwörungserzählungen ebenso. Demokratie findet in unserem digitalen Zeitalter unter neuen Bedingungen statt. Viele Erwachsene sind nicht ausreichend darauf vorbereitet, weil sie sich mit den Gefahren des Internets kaum auskennen. Wirtschaft und Unternehmen spielen in unseren demokratischen Prozessen eine wichtige Rolle. Viele Firmen möchten hier Verantwortung übernehmen, die Zivilgesellschaft gegen demokratiegefährdende Phänomene zu stärken. Mit Unterstützung des BC4D nutzt auch die Wirtschaft aktiv die Möglichkeit, digitale Demokratiegefahren zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. Es ist großartig zu sehen, dass sich Unternehmen ganz klar für die Demokratie positionieren, indem sie ihren Beschäftigten Arbeitszeiten freigeben, um sich für dieses wichtige Thema fortzubilden. Und: Unsere Evaluierung hat ergeben, dass 96 Prozent der Teilnehmenden außerordentlich dankbar sind, dass ihre Arbeitgeber mit dem Angebot ein solches Signal aussenden.
Wie sehen die Trainings konkret aus?
Wir bearbeiten in den acht Wochen drei Themen: Hass im Netz, Desinformation und Verschwörungserzählungen. Die Trainings sind ein Mix aus Wissensvermittlung und dem Erwerben von Kompetenzen. Wir bearbeiten Fragen wie: Welche Konsequenzen kann Hass im Netz für unser demokratisches Miteinander haben, aber auch für jeden Einzelnen? Wie gelingt Zivilcourage im Netz und warum ist Gegenrede so wichtig? Oder: Woran erkenne ich Falschinformationen? Die Teilnehmenden diskutieren und tauschen sich über eigene Erfahrungen aus. Mit praktischen Übungen probieren wir unterschiedliche Tools aus, mit denen z.B. überprüft werden kann, ob es sich um Falschinformationen handelt. Und sie erfahren, wie sie sich wehren können, wenn sie selbst von Hass im Netz betroffen sind.
Von welchen persönlichen Erfahrungen berichten die Teilnehmenden?
In der Regel haben sie zu allen drei Themen-Bereichen Erfahrungen gemacht, da diese miteinander zusammenhängen. Hass im Netz entsteht unter anderem durch Desinformation und Verschwörungserzählungen. Viele berichten zum Beispiel von WhatsApp- oder Facebook-Gruppen, in denen Bilder oder Informationen geteilt wurden, die sie verunsichert haben. Ein Mann erzählte von Fotos, auf denen Menschen mit einem gelben Stern, wie Jüdinnen und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus tragen mussten, zu sehen waren, auf dem „ungeimpft“ steht. Die Bilder haben ihn irritiert, aber er wusste nicht, damit umzugehen. In der Schulung lernen die Teilnehmenden, welche Möglichkeiten es für den Umgang zum Beispiel ganz konkret mit solchen Bildern gibt. Es gibt immer Möglichkeiten, um gegen Hass im Netz vorzugehen, auch bei Beleidigungen und Angriffen: eine Frau hatte zum Beispiel auf einem Kochportal ein eigenes Rezept veröffentlicht, das in den Kommentaren sehr abwertend beurteilt wurde, am Ende fielen Kommentare wie „Schmeckt scheiße“, „Müllessen“ und anderes. Das Ganze hat sie sehr mitgenommen. Sie kam nicht auf die Idee, die Kommentarfunktion abzustellen. Das ist aber eine Möglichkeit, in solchen Situationen zu reagieren. Wir müssen als offene Gesellschaft Kritik zulassen, auch wenn sie unangenehm ist, aber wir dürfen Stoppschilder aufstellen. Auch über die Herausforderung, Meinungsfreiheit und Menschenrechte klug auszubalancieren, geht es in unseren Gesprächen.
"Es ist ein sehr gutes Zeichen, dass Unternehmen sich klar gegen menschenverachtende und demokratiegefährdende Phänomene positionieren."
In den Schulungen geht es also auch um private Erlebnisse und nicht nur um Vorfälle aus der Arbeitswelt?
Genau, wir nehmen uns die Vorfälle in der Familien-WhatsApp-Gruppe genauso vor wie die aus Kolleginnen-Gruppen. Wenn ich meiner Großmutter zum Beispiel vermitteln möchte, dass der Artikel nicht seriös ist, den sie gepostet hat, gehen wir genauso vor wie bei möglichen Falschmeldungen in der Firmen-WhatsApp-Gruppe. In beiden Fällen wäre der Vorschlag, sich das Impressum des Mediums, aus dem ein Artikel stammt, genau anzusehen und zu überprüfen. Das gibt einen ersten Hinweis darauf, wer hinter dieser Meldung steckt. Das sind kleine Tricks, die nicht viel Zeit kosten, um sagen zu können, ob ein Text vertrauenswürdig ist oder nicht. Uns als Trainerinnen geht es dabei nicht um die inhaltlichen politischen Diskussionen, sondern darum, dass man auf Basis von Fakten lebendig miteinander diskutieren kann. Das gehört zu einer Demokratie dazu.
Wie ist die Resonanz der Teilnehmenden auf die Trainings?
Das Miteinander war in den Trainings sehr beindruckend. Die Teilnehmenden waren durchaus unterschiedlicher Meinung, und es gab auch Themen über die heftig diskutiert wurden, was die Diskussion lebendig gestaltete. Überrascht hat die Teilnehmenden aber vor allem, welche Konsequenzen sich durch Hass im Netz, Verschwörungserzählungen und Falschinformationen ergeben können. Wie zum Beispiel im Fall Walter Lübcke: über Jahre hatte sich die Aggression im Netz gegen den Politiker aufgebaut, bevor er ermordet wurde. Die Teilnehmenden hatten zunächst gar nicht in Verbindung gebracht, dass das Netz kein losgelöster Raum ist, sondern eng mit dem analogen Raum verwoben ist.
"Überrascht hat die Teilnehmenden vor allem, welche Konsequenzen sich durch Hass im Netz, Verschwörungserzählungen und Falschinformationen ergeben können.
Wie gehen Sie in den Trainings mit dem Thema Desinformationen um?
Das ist ein Thema, gerade für Arbeitsgeber. Gezielte Desinformation ist kein neues Phänomen. Die gab es bereits lange vor dem Internet. Was sich durch die Digitalisierung geändert hat, ist die Geschwindigkeit der Verbreitung und die Anzahl an Menschen, die erreicht werden. Wirtschaftsvorständen oder Politikern werden gern mal falsche Worte in den Mund gelegt. Gerade im Vorfeld der Wahlen sind jetzt wieder gezielt Falschinformationen im Umlauf. Wir konnten in den USA beim Sturm auf das Capitol zu Beginn des Jahres sehen, wohin diese Art der Desinformation im Zusammenhang mit Wahlen führen kann. Da ist die ganze Gesellschaft und eben auch Arbeitgeber gefragt, sich selbst und ihre Angestellten fit zu machen, um diesen demokratiegefährdenden Phänomenen entgegenzutreten. Werden beispielsweise schwere Erkrankungen geleugnet, hat das direkte Auswirkungen auf den Arbeitsplatz. Wenn ich mich zum Beispiel weigere, Symptome ernst zu nehmen, kann das ein Problem für andere Angestellte einer Firma werden. Vor allem, wenn Menschen Desinformationen im Kollegium verbreiten.
Was raten Sie dann?
Arbeitgeber können Hausregeln aufstellen, an die sich alle halten müssen. Es ist aber auch wichtig, mit Angestellten in Kontakt zu bleiben, sie vielleicht mal zu fragen, woher sie ihre Informationen beziehen und sich gemeinsam die Quellen anzusehen oder zu schauen, ob es sich um manipulierte Inhalte handelt und warum sie wem Vertrauen schenken und Inhalte eher glauben als beispielsweise wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wichtig ist, dabei nicht verurteilend oder gar herablassend zu sein, weil so die Kommunikation negativ beeinflusst wird und im schlechtesten Fall gar keine Diskussion mehr möglich ist.
Was ist Ihr größtes Learning als Trainerin?
Das große Engagement der Unternehmen ist sehr beeindruckend. Dass das Angebot so dankbar angenommen wurde, zeigt, dass der Bedarf nach Schulungen dieser Art sehr groß ist. Es ist ein sehr gutes Zeichen, dass Unternehmen sich klar gegen menschenverachtende und demokratiegefährdende Phänomene positionieren und den Angestellten die Möglichkeit geben, sich im Sinne digitaler Bürgerkultur zu stärken.
INFO Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung