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Anke Breuer, Foto: Anke Breuer, Markus Paulußen
Interview mit Anke Breuer

Ich bin eine Pflanze, die man überall hinpflanzen kann.

Im Interview spricht die Texterin Anke Breuer über das MS-Fotoprojekt 'Spurwechsel', ihre Motivation und Erich Kästner
Gehirn erforschen

Mit „1.000 Gesichter der MS“ hat die Texterin Anke Breuer gemeinsam mit dem Fotografen Markus Paulußen das eindrucksvolle Foto-Text-Projekt "Spurwechsel" geschaffen. Die Porträts erzählen einfühlsam und authentisch von Multiple Sklerose betroffene Menschen und ihren Geschichten. Für ihre herausragende Arbeit wurden beide 2017 mit dem Hertie-Preis für Engagement und Selbsthilfe ausgezeichnet. In diesem Interview berichtet die jetzige Kölnerin Anke Breuer über ihre Arbeit, ihre Vorbilder und worauf sie besonders stolz ist.

Wann haben Sie die besten Ideen?

Die besten Ideen habe ich, wenn ich alltägliche Situationen beobachte und dabei den Menschen zuhören kann. Als extrovertierte Introvertierte bin ich gerne mitten im Geschehen und tausche mich mit Menschen aus, die ebenfalls vor Ideen sprudeln. Das ist bei mir nämlich andauernd der Fall. Ich muss mich oft eher zügeln. Dennoch kommen mir die besten Ideen, wenn ich am Rande des Geschehens stehe und einfach zuschaue.

Was tun Sie, wenn Sie sich etwas Gutes tun wollen?

Ich ziehe mich ganz klassisch auf mein Sofa zurück, mit Grüntee und Keksen. Dann lese ich oder schreibe Geschichten. Am besten entspanne ich allein, dann kann ich alles in Ruhe verarbeiten, was ich im Laufe des Tages aufgenommen habe.

Wie motivieren Sie sich?

Darüber habe ich noch nie nachgedacht, denn in der Regel bin ich immer motiviert. Gut, außer zur Hausarbeit oder zum Einkaufen, dann gönne ich mir eine Schokolade als Anschub. Beim Thema „Motivation“ bin ich eher pragmatisch veranlagt und denke mir: „Was sein muss, muss eben sein.“

Haben Sie ein Motto oder einen Vorsatz?

Definitiv, auch wenn ich mich nicht immer daran halte. Mein Motto lautet: „Gas geben. Pausen einlegen. Gas geben.“ Ich überziehe oft. Gerade 2018 war geprägt von vielen Aufs und Abs. Ich habe alles mitgenommen, aber dadurch wichtige Pausen, wie die Sommerferien, verpasst. Das schlaucht und ich weiß, ich muss einen Gang runterschalten. Im Grundsatz ist aber genau das mein Motto: Ich gebe eben sehr gerne Gas.

Können Sie uns etwas über den Ablauf Ihres Projekts Spurwechsel berichten?

Zu Beginn stand nur die grobe Idee fest: Wir wollten ein Projekt starten, das an MS erkrankte Menschen porträtieren soll. Für dieses besondere Projekt habe ich einen Fotografen gebraucht, dem ich zu hundert Prozent vertrauen kann. Mein erster Gedanke war: „Markus Paulußen muss das machen!“; einen Plan B hatte ich nicht. Er hat zum Glück direkt zugesagt und ist seitdem der beste Partner in dem Projekt, den ich mir hätte wünschen können. Wenn wir einen Termin mit einem MS-Betroffenen vereinbart haben, treffen wir uns mit dem Teilnehmer generell an einem von ihm ausgewählten Lieblingsort. Und dann startet auch nicht sofort das Interview, der Stift wird nicht sofort gezückt und es werden keine Bilder gemacht. Wir setzen uns zu dritt zusammen und lernen uns in Ruhe kennen, bis wir dann mir unserer Arbeit beginnen. Ich muss hier noch einmal ein großes Lob an Markus aussprechen, er schafft es immer, Bilder mitten aus dem Leben zu machen. Nichts muss gestellt werden, es sind ehrliche Momentaufnahmen. Das macht den Spurwechsel aus.

Gab es einen besonderen Moment im Laufe des Projekts, der Ihnen im Kopf geblieben ist?

Als wir den Pianisten porträtierten – mit dem ich unterdessen befreundet bin – spielte er für uns Klavier. Die Zeit blieb stehen. Als er fertig war, sagte er gedankenverloren: „Es ist mühsam, immer schlechter laufen zu können. Aber das Wichtigste für mich ist, dass meine Hände funktionieren.“ Ist das nicht wunderbar!?

Was können Sie besonders gut?

Neulich war ich mit meinem Cousin unterwegs. Er hatte Freunde dabei, die ich noch nicht kannte. Ein Mensch hatte es mir besonders angetan, weil wir sofort einen Draht fanden, und ich dachte, diese Person könnte vielleicht auch unseren Spurwechsel bekannter machen, und begann das Gespräch. Da sagte mein Cousin nur: „Die Anke! Und schon socialized sie wieder.“ Das scheint etwas zu sein, das mir liegt. Außerdem schreibe ich sehr gerne, das ist mein liebster Ausgleich zu allem. Wenn ich schreibe, dann versinke ich.

HERTIE-Preis für Engagement und Selbsthilfe

Mit dem Hertie-Preis würdigt die Stiftung Aktionen von Einzelpersonen oder Selbsthilfegruppen zugunsten neurodegenerativ oder MS-Erkrankter. Die Aktivitäten sollen möglichst kreativ, ungewöhnlich oder durch einen besonderen Zusammenschluss von unterschiedlichen Menschen geprägt sein. Die Größe des Projekts ist dabei weniger entscheidend als der Einsatz der Akteure.

Mehr über den Hertie-Preis

Auf was sind Sie stolz in Ihrem Leben?

Sehr stolz bin ich darauf, vor vielen Jahren nicht eine Sekunde gezögert zu haben, als mein damaliger Arbeitgeber mich fragte, ob ich für einige Jahre in Sofia, Bulgarien, arbeiten wollte. Ich liebte es und habe es, glaube ich zumindest, dort gut gemeistert. Wäre ich in Bulgarien nicht an MS erkrankt, wäre ich sicherlich noch immer dort. Wir haben auch unser Spurwechselprojekt im Mai dorthin gebracht und mit vielen MS-lern in Sofia gesprochen, sie interviewt und fotografiert. Und „stolz” ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber ich bin froh, dass ich damals nach meiner Diagnose vergleichsweise cool reagiert habe. Ich habe mich nicht zu einer Basistherapie „überreden“ lassen und nehme nach wie vor keine Medikamente. Ich habe mein Leben umgestellt, einiges war schmerzlich, aber heute arbeite ich nicht mehr zwölf Stunden am Tag. Meine Karriere war mit der MS beendet. Manchmal bin ich traurig darüber, aber meist freue ich mich. Denn ich denke, dass der sehr anstrengende, wenngleich auch schöne Job, mich zu sehr geschwächt und Fläche für die MS geboten hat. Mein Körper und mein Kopf haben definitiv sehr unterschiedliche Energieressourcen.

Haben Sie einen Lieblingsort?

Ich bin eine Pflanze, die man überall hinpflanzen kann. Natürlich liebe ich Sofia, ich liebe mein Zuhause, Düsseldorf und Köln. Gerne bin ich in meiner Wohnung. Und sehr, sehr gerne bin ich auf Langeoog. Letzteres leider viel zu selten.

Der perfekte Tag – wie sähe der für Sie aus?

Ohne Wecker gegen acht, halb neun aufwachen. Tee trinken, danach einen Kaffee. Mit dem Hund spazieren, dann in Ruhe frühstücken. Ich treffe gerne liebe Menschen, oder sie kommen einfach zum Frühstück dazu! Ich glaube, ich habe keine ganz konkrete Vorstellung eines perfekten Tages. Es gibt viele perfekte Tage.

Wen würden Sie gerne auf einen Kaffee treffen, wenn Sie die freie Wahl hätten?

Erich Kästner! Ich liebe seine Werke und habe bis auf eines jedes seiner Bücher gelesen. Das „Blaue Buch“ von ihm hebe ich mir noch auf, bis ich auch dieses lese. Eine Bekannte hatte mir sogar mal einen Ring mit ein paar Zeilen aus einem Kästner Gedicht geschmiedet.

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