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Foto: Britta Platt-van der Smagt, Quelle: Privat
Interview mit Britta Platt-van der Smagt

Die Liebe zur Musik liegt in der Familie. Auch meine Kinder spielen Musikinstrumente.

Gehirn erforschen

Am 1. November 2018 gab das Deutsche NeuroOrchester, bestehend aus 70 Medizinerinnen und Medizinern der Neurowissenschaften, ihr musikalisches Debüt im Konzerthaus Berlin. Das Benefizkonzert der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft und der Hertie-Stiftung war ein ein voller Erfolg mit stehenden Ovationen und ermöglichte eine großzügige Spende zugunsten der unabhängigen Multiple Sklerose Forschung . Britta Platt-van der Smagt ist ausgebildete Konzertgeigerin und selbst an MS erkrankt. Im Interview spricht sie über ihren Part im Orchester und ihren beruflichen Alltag mit der lebensverändernden Diagnose. 

Wie ist Ihre aktuelle Lebenssituation?

Ich bin 49 Jahre alt und alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Meine Tochter ist 18 und studiert Physik in Bochum, meine beiden Söhne sind 16 und 13 Jahre alt und wir leben in einem Dorf in der Nähe von Schongau in Bayern. In Essen, Amsterdam und Urbana Champaign in Illinois/USA habe ich Geige mit künstlerischem Abschluss studiert und aktuell unterrichte ich an der Musikschule Pfaffenwinkel, leite ein kleines Orchester und spiele Konzerte. Bei Bedarf gebe ich auch regulären Musikunterricht am Gymnasium, zur Zeit gibt es aber leider dazu keine Möglichkeit hier in der Umgebung.

Was bedeutet Ihnen Musik?

Musik ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Bereits mit drei Jahren wollte ich Geige spielen. Mit sechs Jahren bekam ich meinen ersten Geigenunterricht. Mit meiner Mutter und meiner Schwester, die Cello spielt, ging ich regelmäßig in klassische Konzerte. Die Liebe zur Musik liegt in der Familie. Auch meine Kinder spielen Musikinstrumente. Meine Tochter und mein kleiner Sohn spielen Geige, mein großer Sohn spielt Kontrabass. 

Welche Musik spielen Sie besonders gerne?

Ich habe keine besonderen Vorlieben, denn ich spiele eigentlich fast alles gerne. Sei es in kleiner Besetzung oder in einem großen Orchester, klassisch, Tango, New Classic oder Pop wie etwa Arrangements von Coldplay. Die Geige ist in meinem Herzen und ich spiele jeden Tag. Für mich kommt es also nicht so sehr darauf an, was ich spiele. Die Vielfalt macht es aus.

Wann haben Sie die Diagnose Multiple Sklerose bekommen?

Die Diagnose MS habe ich 2012 bekommen. Wie so häufig gab es auch bei mir schon früher erste Anzeichen wie z.B. Bewegungsstörungen oder Lähmungserscheinungen. Aber im April 2012 war zum ersten Mal meine linke Körperseite komplett gefühllos.

Welche Konsequenzen hat die Diagnose auf Ihren Lebensalltag und auf das Musizieren?

2012 konnte ich zum Beispiel gar nicht Geige spielen. 

Wie war das für Sie?

Ich war nicht sonderlich geschockt, so wie es viele andere MS Erkrankte nach der Diagnose berichten. Ich habe es damals einfach hingenommen. Das liegt wahrscheinlich  in der Familie: wir nehmen Gegebenheiten einfach so , wie sie sind. Die Diagnose habe ich über das Handy bekommen, während ich an der Kasse im Bioladen stand.
Schwierig wird es aber, wenn man wie ich alleinerziehend ist. Oft muss ich trotz Müdigkeit, auch wenn es mir nicht gut geht, den Alltag meistern. Wenn man in einem kleinen Dorf wohnt, ist es umso schwieriger. Leider gibt es hier kaum Infrastruktur, man muss alles mit dem Auto erledigen, es gibt kaum Ärzte und keinen Rehasport. Eigentlich wollte ich gerne nach Berlin oder Amsterdam ziehen, das sind Städte, die ich sehr mag. Aber als alleinerziehende Mutter mit drei Kindern eine Wohnung und eine Beschäftigung im musikalischen Bereich zu finden ist kaum möglich. 

Wie geht Ihre Familie damit um?

Die nimmt es so, wie es ist. Meine Tochter hat Rheuma, einer der beiden Söhne hat Morbus Scheuermann. Der Umgang mit Krankheiten ist bei uns nicht ungewöhnlich. Eigentlich bräuchten wir alle eine gute Physiotherapie, aber die gibt es hier vor Ort nicht. Es wäre vermutlich auch zeitlich schwierig zu organisieren
 

Das Gefühl in den Fingerspitzen ist nie wieder richtig zurückgekommen. Aber ich habe sehr viel geübt und es funktioniert trotzdem. 

Wie haben Sie sich wieder an die Musik rangetastet?

Das Gefühl in den Fingerspitzen ist nie wieder richtig zurückgekommen. Aber ich habe sehr viel geübt und es funktioniert trotzdem. Diese Erfahrung wurde mir auch schon von einer anderen Geigerin bestätigt, die an MS erkrankt ist.

Gibt es auch Zeiten, in denen es nicht so gut geht, in denen Sie etwas langsamer machen müssen?

Natürlich. An manchen Tagen geht es mir besser, andere Tage sind umso anstrengender. Viele verstehen dann gar nicht, warum ich so erschöpft bin. Nur wenige wissen, dass ich MS habe. Ich denke, so ist es einfacher.
Vor allem der Unterricht in der Musikschule ist sehr anstrengend. Der ist finanziell wichtig für mich, aber es ist nicht einfach, einen Schüler nach dem anderen zu unterrichten. Oft bin ich an diesen Tagen abends zu erschöpft um noch zu reden und habe morgens Angst vor dem Moment der totalen Erschöpfung am Abend.

Haben Sie Sorgen, dass die Krankheit irgendwann die Oberhand übernehmen könnte?

Ich konnte einmal aufgrund eines Schubes sehr schlecht laufen, konnte meinen Körper vom Bauch bis zu den Füssen nicht spüren und sollte stationär ins Krankenhaus. Die Ärztin meinte, dass dieser Schub sogar eine Querschnittslähmung zur Folge haben könnte. Natürlich hat mich das erschreckt. Jemanden, der im Haus bei meinen Kindern bleiben konnte, habe ich aber so schnell nicht finden können und habe dann diesen Schub ohne Krankenhaus durchgestanden. In Videos und Postings von MS Patienten, die ich sehe und lese, ist es oft so, dass Familie und Freunde – das gesamte Umfeld – einen auffängt, hilft und unterstützt. Aber das ist sicher nicht immer die volle Realität. 

Trotzdem habe ich keine Angst, dass die Krankheit die Oberhand gewinnen könnte. So wie es kommt, kommt es und damit werde ich dann umgehen – oder umgehen müssen. Ich mache mir eher finanzielle Sorgen: Wie wird es sein, wenn ich vielleicht nicht mehr arbeiten kann? Meine Rente wird nicht zum Leben reichen.  Als Musikerin verdiene ich nicht viel. Viele musikalische Projekte sind schlecht bezahlt, oder gar nicht, aber ich spiele dann doch aus Liebe zur Musik. Bei der Bundesagentur für Arbeit habe ich einmal nach beruflichen Alternativen gefragt. Dort wurde mir angeboten, als Altenpflegerin zu arbeiten – und das, obwohl ich einen Schwerbehindertenausweis besitze. Schon allein meine Sprachkenntnisse – ich spreche fünf Sprachen – müssten mir doch andere Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt eröffnen.

Wie kam es zu der Teilnahme im NeuroOrchester beim Benefiz-Konzert in Berlin im vergangenen November? Wie haben Sie das Konzert wahrgenommen?

Ich habe in der Zeitschrift der DMSG darüber gelesen und mich sofort dort gemeldet. Die wenigen, aber langen Probentage waren so konzentriert, effektiv, dass ein qualitativ hohes und wundervolles Konzert entstehen konnte. Ärzteorchester sind eigentlich immer gut, und dieses ist wirklich sehr gut. Man sagt ja auch, dass die Medizin und musikalisches Talent eng zusammen liegen. Tatsächlich war ich vor meinem Musikstudium ein Semester für Medizin eingeschrieben. Es war auf jeden Fall eine besondere Erfahrung, ein Konzert, dass immer in meiner Erinnerung bleiben wird. Es war für Menschen mit MS - für mich. Im September spielen wir wieder zusammen in Stuttgart und ich bin dabei.

Wie sieht für Sie ein guter Tag aus?

Ich gehe sehr gern raus in die Natur, liebe das Meer und Camping. Ein guter Tag ist sicher ein Urlaubstag, wenn ich nichts tun muss und ich Zeit zum Lesen habe. 
Ich genieße natürlich Zeit mit meinen Kindern, mit denen ich auch oft zusammen musiziere. Mit ihnen macht das Musizieren einfach Freude. Ein Konzertbesuch oder eine Oper oder vielleicht auch ein eigener Auftritt können auch Teil eines guten Tages sein.

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