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Prof. Daniel Weiß forscht am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen zu den Themen Parkinson, Bewegungsstörungen, Tiefe Hirnstimulation und Pumpentherapie. Foto: Fabian Zapatka
Parkinson-Therapien sollten frühzeitig begonnen werden.

Interview mit Prof. Daniel Weiß

Prof. Dr. Daniel Weiß forscht zu Parkinson am Universitätsklinikum Tübingen. In unserem Interview erläutert der Neurowissenschaftler am Beispiel der Tiefen Hirnstimulation (THS), welche Therapie-Möglichkeiten es gibt.
Gehirn erforschen

Am 11. April ist Welt-Parkinsontag 

Die Parkinson-Krankheit ist nach Morbus Alzheimer die häufigste neurodegenerative Erkrankung weltweit, rund 300.000 Menschen sind hierzulande betroffen. Durch einen Mangel des Botenstoffs Dopamin im Hirn kommt es zu den typischen Symptomen wie Zittern (Tremor), Muskelsteifheit und Bewegungsarmut. Heilbar ist Parkinson bisher nicht, doch in der Forschung hat sich einiges getan, um die Symptome der Erkrankten zu lindern. Vor allem technische Entwicklungen tragen dazu bei, wie Prof. Daniel Weiß, Leiter der Ambulanz für fortgeschrittenes Parkinsonsyndrom und Tiefe Hirnstimulation am Universitätsklinikum Tübingen und Forschungsgruppenleiter am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen, berichtet. In unserem Interview gibt der Neurowissenschaftler einen Überblick zum aktuellen Stand der Tiefen Hirnstimulation (THS) mit Hilfe von Hirnschrittmachern und erläutert, welche Therapie-Möglichkeiten es noch gibt.
 

"Neue Studien zeigen, dass Bewegung die Symptome lindern kann, und zwar durch ein regelmäßiges Ausdauertraining."

Herr Prof. Weiß, Sie leiten am Universitätsklinikum die Ambulanz zur Tiefen Hirnstimulation (THS). Was versteht man unter THS und welche Rolle spielt der Hirnschrittmacher dabei?

Durch die Tiefe Hirnstimulation lässt sich die Motorik von Patientinnen und Patienten mit Bewegungsstörungen erheblich verbessern, vor allem dann, wenn Medikamente nicht ausreichend helfen oder zu Nebenwirkungen führen. Dazu gehört vor allem das starke Zittern bei Parkinson-Erkrankten. In einer Operation werden feine Elektroden, die mit einem Impulsgeber („Hirnschrittmacher“) verbunden sind, durch ein winziges Bohrloch in der Schädeldecke in das Gehirn eingeführt. Über diese Elektroden sendet der Schrittmacher regelmäßig schwache elektrische Impulse an ausgewählte Zentren im Gehirn, deshalb der Name „Tiefe Hirnstimulation“. Der Hirnschrittmacher enthält eine Batterie und wird unter der Haut am Schlüsselbein eingesetzt, dort arbeitet er selbständig. Die Tiefe Hirnstimulation bewirkt dabei eine Korrektur der Verarbeitung von Nervensignalen, die durch den Dopaminmangel im Gehirn ausgelöst wird. Die detaillierten Mechanismen werden weiterhin erforscht, auch in meiner Arbeitsgruppe am HIH. 

Hirnschrittmacher gibt es seit den 90er Jahren, was hat sich in der neuen Generation verändert?

Das Wichtigste, was Ärzte und Patienten in all den Jahren über die Tiefe Hirnstimulation gelernt haben, hat nicht nur mit der technischen Weiterentwicklung der Geräte zu tun. Vielmehr betrifft unser Lernen den Zeitpunkt der Anwendung im Krankheitsverlauf eines Patienten: Das heißt, in welchen Situationen und Krankheitsstufen setzt man die THS mit größtmöglichem Erfolg ein, ohne zu hohe Risiken einzugehen. Heute wissen wir, dass die THS nicht zu spät im Krankheitsverlauf eingesetzt werden sollte, sondern bereits in den ersten Jahren, sobald sehr starkes Zittern auftritt oder die Wirksamkeit der Medikamente schwankt. Studien haben belegt, dass die frühere Vorstellung, THS erst einzusetzen, „wenn nichts mehr geht“ nicht richtig ist, sondern dass die Risiken der THS höher sind und der Erfolg geringer, wenn man zu lange damit wartet. Man darf nicht vergessen, dass die Medikamente, die mehrfach am Tag genommen werden müssen, um den Dopaminspiegel zu halten, starke Nebenwirkungen haben können je stärker die Krankheit voranschreitet und je höher dosiert und komplexer die Zusammensetzung dieser Medikamente ist. Dazu gehören Halluzinationen, Psychosen, Impulskontrollstörungen, aber auch Spiel- und Esssucht sowie Hypersexualität. Man sollte also schon mit Beginn eines mittleren Krankheitsstadiums, wenn Wirkungsschwankungen einsetzen, darüber nachdenken.

Technisch gesehen haben sich die Geräte sehr stark weiterentwickelt. Die heutigen Schrittmacher können von den Patienten mit dem Smartphone bedient werden und sind über Bluetooth verbunden, natürlich unter den höchsten Sicherheitsstandards. Auch in der Elektrodentechnologie hat sich viel getan, so dass das elektrische Feld während der Stimulation noch genauer angesteuert werden kann, um Nebenwirkungen wie eine undeutliche Sprache oder Verkrampfungen zu umgehen. Eben genau die Symptome, die auftreten, wenn Patienten „falsch eingestellt“ sind. 

Wann ist der Einsatz eines Hirnschrittmachers sinnvoll?

Wenn die Patienten einen starken Tremor, also ein Zittern, haben, das durch Medikamente nicht mehr gut behandelt werden kann, oder wenn die Medikamente keine stabile Tageswirkung mehr erzielen oder zu eingreifenden Nebenwirkungen führen. Bei Parkinson sind ca. 60 Prozent der Dopaminzellen bereits degeneriert, sobald die ersten Krankheits-Symptome auftreten, und dieser Anteil nimmt mit dem Krankheitsprogress zu. Das heißt, das Gehirn ist in den kommenden Jahren immer weniger in der Lage, selbst genug Dopamin zu speichern, weswegen so genannte „dopaminerge“ Medikamente wie L-Dopa genommen werden müssen. Wenn im Verlauf der Krankheit immer weniger Dopamin in den Zellen des Gehirns gespeichert werden kann, treten eine unzuverlässige Wirkung sowie Nebenwirkungen auf. In solchen Fällen sind die THS oder dopaminerge Pumpentherapien den Tabletten überlegen. 

"Durch die Tiefe Hirnstimulation lässt sich die Motorik von Patientinnen und Patienten mit Bewegungsstörungen erheblich verbessern." 

Hertie-Institut für klinische Hirnforschung

Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen ist eines der bundesweit größten und modernsten Zentren zur Erforschung neurologischer Erkrankungen. Mehr Informationen dasrüber finden Sie auf der Projektseite.

Zum Hertie-Institut 

Viele haben sicher Angst vor der OP am Gehirn?

Vor einer definitiven Entscheidung wird der Patient eingehend über Nutzen und Risiken der THS beraten. Eine THS mag aus psychologischer Sicht auf den ersten Blick gefährlich wirken, jedoch ist das Risiko für schwere Komplikationen bei der THS-Operation verglichen mit anderen Operationen, die scheinbar routinemäßig durchgeführt werden, mit ein bis zwei Prozent sehr günstig. Zudem birgt eine unzureichend behandelte Parkinsonkrankheit Risiken für Motorik, Psyche und Lebensqualität, wenn die THS bei einem geeigneten Patienten nicht durchgeführt wird.  Die meisten Patienten erfahren nach einer Tiefen Hirnstimulation eine Verbesserung ihrer Lebensqualität über viele Jahre hinweg. 

Für wen ist ein Hirnschrittmacher nicht geeignet?

Für Menschen, die eine schwere Begleiterkrankung haben, die eine Operation erschweren könnte, zum Beispiel eine Herz-Kreislauferkrankung. Aber auch für Demenz-Erkrankte oder Patienten mit deutlichen kognitiven Störungen ist ein Hirnschrittmacher oftmals kontraindiziert. Einerseits scheint der Gewinn an Lebensqualität dann geringer zu sein, andererseits ist das Risiko der Operation und der späteren elektrischen Hirnstimulation bei diesen Patienten erhöht.

Es gibt mittlerweile moderne Pumpensysteme, die Medikamente unter die Haut oder in den Darm abgeben, um die Wirkungsschwankungen auszugleichen. Wann kommen diese zum Einsatz?

Die Pumpen sind eine gute Alternative zur oralen Medikamenteneinnahme und werden auch erfolgreich eingesetzt, nur sind sie nicht so wirksam, wenn der Tremor sehr dominant ist. Ob eine Pumpe gewählt wird, die Medikamente unter die Haut oder direkt in den Darm abgibt, hängt einerseits von der Präferenz des jeweiligen Patienten ab.  Aber es gibt auch medizinische Kriterien, wie beispielsweise eine kognitive Störung, die eine THS dann unmöglich machen kann. Heute beobachten wir, dass die Medikamentenpumpen nicht immer ideal eingesetzt werden: wie zur Anfangszeit der THS werden sie oftmals zu spät eingesetzt bei bereits zu stark fortgeschrittener Krankheit, wie Studien bestätigen.

Dies gilt vor allem für die Dopaminpumpe, die in den Magen-Darm geht. Ein Einsatz bei weit fortgeschrittener Erkrankung führt allerdings dazu, dass die Risiken höher und die Ergebnisse schlechter sind, als sie sein könnten. Hingegen ist die Therapie recht sicher und von sehr guter Effektivität, wenn sie im mittleren Krankheitsstadium eingesetzt wird, so Studien. 

Welche Möglichkeiten gibt es noch, um das Zittern zu unterbinden?

Medikamente und die THS sind bisher die wesentlichen Optionen. Aber zwischenzeitlich werden „intelligente“ Prothesen oder beispielsweise Essbestecke entwickelt und erstmals vertrieben, die dem Tremor etwas entgegen wirken können. Diese sind beispielsweise mit Sensoren ausgestattet, welche die Schlagrichtung des Tremors erfassen, und dann eine Gegenbewegung auslösen, so dass das Zittern reduziert wird. Neue Forschung beschäftigt sich zudem mit so genannten Exoskeletten, die nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren, und an Armen oder Beinen befestigt werden. Sensoren erfassen die Muskelaktivität, um bei Gangunsicherheiten eine mechanische Gegenregulation auszulösen. Eine wichtige Kompensationsstrategie, um mit dem Tremor besser klarzukommen, ist aber auf jeden Fall die Ergotherapie. Sie hilft den Patientinnen und Patienten, ihren Alltag zu strukturieren, Bewältigungsstrategien zu entwickeln und bestimmte Situationen, die den Tremor auslösen könnten, zu vermeiden.  

Was lässt sich im Alltag tun, um Parkinson zu lindern oder vorzubeugen

Neue Studien zeigen, dass Bewegung die Symptome lindern kann, und zwar durch ein Ausdauertraining von 30 Minuten, dreimal die Woche. Wir wissen auch, dass gesunde Ernährung, die reich an Flavonoiden ist, das Risiko an Parkinson zu erkranken, etwas verringert. Flavonoide sind Pflanzenfarbstoffe, denen eine besonders zellschützende Wirkung zugesagt wird. Sie finden sich zum Beispiel vermehrt in Äpfeln, Birnen, Beeren und grünem Gemüse wie Brokkoli oder Grünkohl. Aber auch Kaffee hat eine schützende Wirkung.

Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung 

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