Darmflora, Umwelteinflüsse oder die Gene – Forscher sind Ursachen der MS auf der Spur

Presse
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28.05.2018

Junge Frauen erkranken besonders häufig; Vitamin-D-Mangel spielt eine Rolle; Ursachenforschung auch im Darm

Am 30. Mai findet der Welt-MS-Tag statt, um auf Multiple Sklerose aufmerksam zu machen. Besonders bei jungen Frauen zwischen 20 und 40 Jahren wird die „Krankheit mit den tausend Gesichtern“ diagnostiziert. Doch viele Fragen rund um die Entstehung der neurologischen Erkrankung sind nach wie vor ungeklärt. Daher ist die Gemeinnützige Hertie-Stiftung seit über 40 Jahren deutschlandweit der größte private Förderer in der MS-Forschung und unterstützt Betroffene im Bereich der Selbsthilfe.

Mehr als 200.000 Menschen in Deutschland sind nach Zahlen des Bundesversicherungsamtes an Multipler Sklerose (MS) erkrankt, jedes Jahr werden rund 2.500 neue Fälle diagnostiziert. Vor allem Frauen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr sind betroffen, sie leiden etwa doppelt so häufig wie Männer an der chronisch-entzündlichen Erkrankung des Gehirns und des Rückenmarks. Die Symptome reichen unter anderem von Empfindungsstörungen in Armen und Beinen oder Lähmungen bis hin zu Sehstörungen. Obwohl MS zu einer der häufigsten neurologischen Erkrankungen zählt, sind Verlauf der Krankheit, Beschwerden und Therapieerfolge von Patient zu Patient so unterschiedlich, dass nur wenige allgemeingültige Aussagen möglich sind. Aus diesem Grund nennt man MS die „Krankheit mit den tausend Gesichtern.“

Warum MS mehr Frauen als Männer trifft, stellt die Wissenschaft vor ein Rätsel. „Wir kennen dies auch von anderen Autoimmunerkrankungen, bei denen gesundes Gewebe fälschlicherweise durch das eigene Immunsystem angegriffen wird. Als Ursachen werden unter anderem genetische und hormonelle Faktoren diskutiert, die eine solche Fehlregulation begünstigen könnten. Vollständig verstanden haben wir das bislang allerdings noch nicht“, sagt PD Dr. Clemens Warnke, Oberarzt mit Schwerpunkt MS an der Klinik für Neurologie der Uniklinik Köln, dessen Forschung von der Hertie-Stiftung gefördert wird.

Umweltfaktoren begünstigen die Entstehung von MS

Zunehmend vermuten Wissenschaftler auch einen Zusammenhang zwischen der Entstehung von MS und Umweltfaktoren wie Ernährung, Rauchen und Vitamin D. So fällt auf, dass die Erkrankungshäufigkeit mit der geographischen Entfernung vom Äquator steigt. Dr. Warnke: „Studien zeigen, dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel mit einem höheren Risiko für MS verknüpft ist.“ Eine Erklärung könnte sein, dass in den nördlicheren, gemäßigten Klimazonen weniger Vitamin D in der Haut gebildet werden kann.

Ursachenforschung in Gehirn und Darm

Auf der Suche nach der Ursache von MS forschen die Wissenschaftler in verschiedene Richtungen: „Wir wissen bisher nicht, was die Krankheit verursacht und verfolgen mehrere Ansätze. So gibt es zum Beispiel genetische Faktoren, die das Entstehen von MS begünstigen. Doch jedes einzelne Gen hat nur einen relativ kleinen Anteil an der Krankheitsentstehung“, so Dr. Warnke.

Sicher ist man sich in der Forschergemeinde, dass das Immunsystem eine wichtige Rolle spielt. So weiß man beispielsweise, dass nahezu alle MS-Patienten ein Virus in sich tragen, das zur Familie der Herpesviren gehört und oft auch bei gesunden Menschen vorkommt. Das Virus könnte an der Fehlleitung des Immunsystems beteiligt sein und so die Krankheit mit auslösen. Die Infektion mit diesem Virus gilt daher als Voraussetzung für die Entstehung von MS. „Allerdings wird die Schädigung von Rückenmark und Gehirn nicht wie bei Infektionserkrankungen durch die Vermehrung eines Virus selbst verursacht“, sagt Dr. Warnke, dem es wichtig ist zu betonen, dass „MS keine ansteckende Erkrankung ist“. Und nicht nur im Gehirn wird geforscht: Im Darm ist das Immunsystem durch die verschiedenen Bakterien und Viren, die dort zu finden sind, sehr aktiv. Auch an dieser Stelle könnte die Fehlregulation des Immunsystems beginnen. „Wenn wir hier vorankommen, könnte man über Ernährungsansätze nachdenken oder ein Therapeutikum entwickeln, das die Zusammensetzung der Darmflora verändert, damit MS gar nicht erst entsteht“, erläutert Dr. Clemens Warnke.

Ausblick: Auslöser identifizieren und gezielt therapieren

Eine andere Spur führt die Wissenschaftler zu uralten Viren, die schon lange im menschlichen Genom-Bauplan integriert sind. Eine Hypothese geht davon aus, dass diese Viren bei MS-Patienten vermehrt Eiweiße bilden, die die Krankheitsentstehung begünstigen. Daher hat man bei einer Studie gezielt einen Antikörper gegen ein solches Eiweiß getestet. Nun soll die Dosis erhöht und der Beobachtungszeitraum verlängert werden, denn „der Ansatz ist neu und sehr interessant, da hier zum ersten Mal nicht das Immunsystem unterdrückt, sondern gezielt ein möglicherweise krankheitsverursachender Faktor ausgeschaltet wird“, erklärt MS-Forscher Dr. Warnke. „Doch wir müssen weiter intensiv an den auslösenden Faktoren forschen. Obgleich wir schon viele Patienten erfolgreich behandeln, ist die Ursache der Erkrankung noch immer nicht geklärt. Ich hoffe, dass wir hier in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren sehr viel weiter sein und verstehen werden, was MS auslöst – um dann je nach Patient individuell und mit möglichst geringen Nebenwirkungen eingreifen zu können.“

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