Foto_Tim_Henning_BlackRock_Interview_Jan_2018_small.jpg
Interview mit Tim Henning

Gekonnt zu debattieren hilft mir in meinem Job jeden Tag

Der ehemalige Jugend debattiert-Landessieger wurde zu einem der bemerkenswertesten Finanzakteure Europas gekürt.
Demokratie stärken

Als die gute Nachricht kam, saß Tim Henning gerade im Londoner Büro des Vermögensverwalters BlackRock. Einige Wochen waren seit seiner Nominierung für einen Platz auf der renommierten „Forbes 30 unter 30“-Liste vergangen – und nun stand fest: Das US-Magazin kürte Tim Henning zu einem der 30 zukunftsweisenden Menschen unter 30 Jahren in Europa und zeichnete ihn damit für seine Leistungen im Finanzsektor aus. „Ich habe mich natürlich sehr gefreut“, sagt Tim Henning im Gespräch mit der Hertie-Stiftung, „eine beeindruckende Resonanz auf die Arbeit unseres Teams.“

Bescheiden, begeisterungsfähig, bodenständig – all dies ist Tim Henning geblieben. Trotz dieser steilen Karriere, die ihn aus dem Örtchen Schneeberg im Erzgebirge nach Frankfurt und London in eine verantwortungsvolle Aufgabe bei einem der größten Vermögensverwalter der Welt geführt hat: Bei dem Unternehmen BlackRock, das den damaligen Greifswalder BWL-Studenten schon ein Jahr vor Abschluss seines Studiums als Analysten einstellte, arbeitet Tim Henning seit 2014. Heute verantwortet er das Geschäft mit institutionellen Investment Consultants in Deutschland und Österreich und damit die Beziehungen zu externen Managern von Großanlegern wie Konzernen, Pensionskassen, Versicherungen sowie Stiftungen und Kirchen.

»Der Wettbewerb ist ein gutes Training, um die eigene Persönlichkeit zu entwickeln.«

Er ist in Frankfurt zuhause, arbeitet aber zum Teil in der Londoner City und fühlt sich dort ebenso sehr angekommen. Seine Wurzeln in Sachsen hat Tim Henning dennoch nie vergessen – und erst recht nicht das Rüstzeug, das ihm Schule, Studium und vor allem die Freude an der gekonnten Debatte mit auf den Weg gaben. Zweimal – 2005 und 2007 – wurde er Landessieger des Wettbewerbs Jugend debattiert für das Land Sachsen, der jedes Jahr von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung durchgeführt wird. Damals war er noch Schüler, heute spricht Tim Henning mit der Hertie-Stiftung darüber, wie ihm die Debattierkunst im Job weiterhilft, warum Zuhören oft wichtiger ist als Reden – und  was er von Politikern hält, die in einer Talkshow einfach aufstehen und gehen.

HERTIE-STIFTUNG: Herr Henning, haben Sie heute schon debattiert?
TIM HENNING: Ja, tatsächlich. Das Debattieren gehört zu meinem Alltag. Wobei mit dem Begriff Debatte nicht gemeint ist, hitzige Diskussionen zu führen, sondern gut durchdachte Argumente angemessen vorzubringen, um seine Überzeugungen sachlich begründet zu vertreten.

Klappt das denn immer?
In der Regel schon, wenn beide Seiten offen für andere Meinungen sind und sich die Zeit nehmen, um den Sachverhalt zu verstehen.

Was macht eine gute Debatte aus?
Es geht zunächst darum, zuzuhören. Was meint der andere genau? Habe ich das Thema verstanden? Erst wenn ich weiß, was mein Gegenüber sagen will, kann ich angemessen darauf reagieren und meine Argumente vorbringen.

Also ist weniger manchmal mehr?
Unbedingt! Es hat keinen Sinn, gleich mit seiner Meinung vorzupreschen ohne genau zu verstehen, wie der Gesprächspartner denkt. Als ich mein finales Interview für meine heutige Aufgabe mit meinem Londoner Chef bei BlackRock hatte und nach seinem Rat für einen guten Start bat, verwies er auf gute Zuhörerfähigkeiten als zentrale Fähigkeit: „Wir Menschen haben zwei Ohren und einen Mund – und in dieser Relation sollten wir kommunizieren.“ Genau so halte ich es.

Wie wichtig sind Debattierfähigkeiten in Ihrem Job in der Vermögensverwaltung?
Sehr wichtig, wie in den meisten anderen Berufen auch. In meinem heutigen Beruf im institutionellen Investmentgeschäft trage ich meinen Anteil dazu bei, Gelder von zehntausenden Menschen in deren Interesse in passende Strategien zu investieren oder sinnvoll zu strukturieren. Und der Weg zum passenden Portfolio ist lang und besteht zum Großteil aus Kommunikation verschiedener Art mit ganz unterschiedlichen Menschen.

»Man darf nie aufhören miteinander zu reden.«

Hilft Ihnen Ihre Erfahrung, die Sie bei Jugend debattiert gewonnen haben?
Ja sehr, dort habe ich gelernt, nicht sofort auf meine erste schnelle Meinung zu einem Thema zu vertrauen, sondern mich zunächst mit all seinen Facetten auseinanderzusetzen. In den Wettbewerben hatten wir immer zehn Tage Zeit, um uns mit dem Debattenthema zu beschäftigen. Dadurch wächst nicht nur das eigene Wissen, sondern vieles relativiert sich – und der Respekt anderen Meinungen gegenüber nimmt zu.

Wie Sind Sie zu Jugend debattiert gekommen?
Durch die Schule und meine Lehrerin Verena Rockstroh. Ich hatte sofort Spaß am Debattieren, habe auch neben der Schule trainiert. Als ich dann an den Wettbewerben teilnahm, war das großartig: Vor allem zeichnet es Jugend debattiert aus, dass die Sieger als Preis nicht wie anderswo üblich einen warmen Händedruck und einen Kugelschreiber bekommen, sondern immer die Chance auf Weiterbildung. Die Debatten-Trainer sind ganz hervorragend und es kommen junge Menschen zusammen, um ihre Fertigkeiten zu verbessern. Ein großer Wert, den Jugend debattiert hier einbringt.

Was raten Sie den heutigen Teilnehmern?
Einfach mitmachen und Spaß haben! Es geht nicht vorrangig darum als Debattier-Sieger hervorzugehen. Der Wettbewerb ist auch ein gutes Training, um die eigene Persönlichkeit zu entwickeln.

Inwiefern?
Allein die Fähigkeit, in zwei Minuten eine Eröffnungsrede für einen bevorstehenden Dialog strukturieren und überzeugend vortragen zu können, ist Gold wert. Ein gutes Training für Vorstellungsgespräche, in denen man auf den Punkt überzeugen möchte. Mir hat diese Übung in meiner Karriere sehr geholfen – ob ich mich als Student um einen Praktikumsplatz beworben habe oder heute im Job, wenn ich selbst Bewerber beurteile.

Wie debattieren Sie eigentlich im Privatleben? Muss man da Angst haben, nicht gegen Sie anzukommen?
(lacht): Ich denke nicht. Also mit meiner Freundin gibt es da zum Beispiel keine Probleme, wohl auch deswegen, weil wir sehr verschieden sind. Als Zahnärztin ist sie zum einen beruflich anders orientiert, aber auch sonst unterscheiden wir uns regelmäßig in unseren Ansichten, ohne dass das ein Problem darstellt. Letztendlich liegt der Reiz einer Debatte doch genau darin, sich durch eine andere Meinung weiterzuentwickeln.

Was halten Sie von der politischen Debattenkultur in Deutschland?
Wir können zufrieden sein. Der Ton ist angemessen, die Diskutanten bleiben meistens sachlich. Und anders als zum Beispiel in den USA finden politische Auseinandersetzungen nicht als Show auf der großen Bühne statt, das schätze ich.

Hilft hier das Debattieren, um Demokratie zu stärken?
Man darf nie aufhören miteinander zu reden.

Zur Person

Tim Henning wurde 1990 in Sachsen-Anhalt geboren, zog mit sieben Jahren mit seiner Familie nach Schneeberg (Sachsen), wo er auch Abitur machte. Sein Vater ist Ingenieur, seine Mutter ausgebildete Opernsängerin (heute arbeitet sie als Pädagogin).

Hier erfahren Sie mehr über das Projekt "Jugend debattiert"

In politischen Talkshows ist es ja mittlerweile üblich, dass Politiker einfach aufstehen und die Diskussion verlassen.
Besonders peinlich wird es, wenn der Abgang mit einer beleidigten Haltung verbunden ist. Es ist sicher nicht immer einfach die Argumente seines Gegenübers nachzuvollziehen, aber zum gekonnten Debattieren gehört auch all dies mit innerer Ruhe auszuhalten. Anders ist es, wenn das Niveau einer Diskussion nachlässt, zum Beispiel herumgeschrien oder ständig unterbrochen wird. Kann ich verstehen, wenn dann jemand die Runde verlässt.

Haben Sie sich nach Jugend debattiert eigentlich weiter mit dem Debattieren beschäftigt?
Ich war an der Uni Dresden und an der Uni Greifswald in Debattierclubs. Die Debatte ist einfach meine Leidenschaft.

Als Vorstand des Bundesverbandes der Börsenvereine an deutschen Hochschulen leiteten Sie später den mit 13.000 Mitgliedern größten deutschen Studentenverband. Wie kam es dazu?
Ich hatte mich schon an der Uni Greifswald für Kapitalmärkte interessiert. Dann war ich zuerst beim lokalen Akademischen Börsenverein für die Marketingstrategie zuständig und habe später den Verein und danach den deutschen Dachverband aller Börsenvereine mit geleitet. Man versteht in solchen Aufgaben schnell was es bedeutet, Teams zu motivieren und für neue Projekte zu begeistern. Und natürlich konnte ich fachlich viel über die Finanzwelt lernen und meinen beruflichen Weg finden. Dabei hatte ich früher ganz andere Karrierepläne.

Welche denn?
Vor meinem BWL-Studium habe ich selbst komponierte Radio-Jingles am Klavier eingespielt und verkauft. Ich hatte drei Jahre lang eine kleine Hörfunkwerbeagentur aufgebaut, mich dann aber doch für die Wirtschaftskarriere entschieden.

Bei Jugend debattiert erinnert man sich noch an Ihr beeindruckendes Gitarrenspiel in den Wettbewerbspausen
Wirklich? Heute spiele ich nur noch Klavier. In Frankfurt wohne ich direkt neben der Musikhochschule und nutze dort gelegentlich den Flügel.

Was ist Ihre Botschaft an andere junge Menschen?
Glaubt an euch und macht einfach!
 
Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview hat dich zum Nachdenken angeregt? teile es