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Dr. Marion Inostroza Foto: privat
Interview mir Dr. rer. nat Marion Inostroza

Es gibt ganz verschiedene Arten der Erinnerung

Dr. rer. nat Marion Inostroza vom Uniklinikum Tübingen gehört zu den Fellows der Hertie Academy. Wir sprechen mit ihr darüber, welche Formen des Erinnerns es gibt und was exzellente Forschung ausmacht.
Gehirn erforschen

Dr. rer. nat. Marion Inostroza beschäftigt sich damit, wie das Gehirn Erinnerungen verarbeitet. Sie ist  Leiterin des Teams für "Schlaf und Gedächtnis bei Tieren" am Universitätsklinikum in Tübingen. In unserem Interview erzählt sie von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen in der Forschung.

Einfach erklärt: Woran arbeiten Sie im Moment? Was wollen Sie erreichen? 

Ich habe zwei Hauptziele, die für mich gleichermaßen wichtig sind. Erstens möchte ich verstehen, wie Erinnerungen während des Schlafs und im Wachzustand gebildet werden. Ich möchte entschlüsseln, wie unser Gehirn die Gedächtnisfunktion orchestriert. Noch komplexer wird es, wenn wir verstehen, wie Erinnerungen im Schlaf und im Wachzustand konsolidiert werden, denn das ist nur möglich, wenn wir die Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten von Erinnerungen verstehen. Es ist nicht dasselbe, sich daran zu erinnern, was und wo wir letzten Sonntag zu Mittag gegessen haben (episodisches Gedächtnis), als sich daran zu erinnern, wie man von der Arbeit nach Hause kommt (räumliches Gedächtnis), und es sind auch nicht die gleichen zugrunde liegenden Mechanismen. Dementsprechend besteht eine meiner Herausforderungen und mein Hauptbeitrag zur Wissenschaft darin, anspruchsvolle, aber gleichzeitig einfache und wiederholbare Verhaltensaufgaben zu entwickeln, die es uns ermöglichen, die verschiedenen Arten von Erinnerungen voneinander zu trennen.  Zweitens interessiere ich mich für etwas, das ich als "Gedächtnis der Kindheit" bezeichne. Dazu gehört die Untersuchung der Ontogenese des Gedächtnisses, aber vor allem die Frage, wie sich frühe Erinnerungen bzw. frühes Lernen auf das junge Gehirn auswirken und wie diese Interaktion unsere kognitiven Fähigkeiten als Erwachsene prägt. Dieser Forschungszweig könnte sich sowohl auf die klinische Entwicklung von Krankheiten als auch auf den sozialpädagogischen Bereich auswirken.

"Exzellente Forschung kommt durch ein exzellentes Team. Ohne Teamarbeit kann ich mir keinen Erfolg in der Wissenschaft vorstellen."

Warum haben Sie sich für die klinische Hirnforschung entschieden? 

Meine Entwicklung als Wissenschaftlerin wurde von der Neugierde geprägt, die grundlegendsten kognitiven Fähigkeiten zu verstehen: Lernen und Erinnern. Als Psychologin verfüge ich über eine solide Ausbildung im Bereich des menschlichen und tierischen Verhaltens, doch erst während meiner Promotion konnte ich diese mit dem Wissen aus der Neurophysiologie verbinden. An diesem Punkt verliebte ich mich in die kognitiven Verhaltensneurowissenschaften, die bis heute mein Lieblingsforschungsgebiet sind.

Welche Bedingungen sind Ihrer Meinung nach für exzellente Forschung notwendig? 

Ein multidisziplinäres Umfeld, in dem sich jeder respektiert und gewertschätzt fühlt. Mit anderen Worten: Exzellente Forschung kommt durch ein exzellentes Team. Ohne Teamarbeit kann ich mir keinen Erfolg in der Wissenschaft vorstellen. Der Aufbau eines Teams erfordert Zeit und nicht nur exzellente Forschungsfähigkeiten, sondern zum Beispiel auch Führungsqualitäten und viele andere Fähigkeiten, die oft als Soft Skills bezeichnet werden. Meiner Meinung nach handelt es sich dabei nicht um weiche Faktoren, sondern um grundlegende Fähigkeiten.

Gibt es ein Beispiel dafür, wie man vom Hertie Network bzw. der Hertie Academy profitieren kann?

Die Möglichkeit, mit anderen Wissenschaftlern, die sich in einem ähnlichen Stadium der Karriere befinden, in Kontakt zu treten und zusammenzuarbeiten, war definitiv ein großer Vorteil. Insbesondere die Möglichkeit, die Kräfte zu bündeln und die Grundlagenforschung mit der klinischen Forschung zu verbinden, war eine großartige Gelegenheit. Außerdem war die Hertie Academy nicht nur ein Ort, an dem man zum Beispiel etwas über Führung lernen konnte, sondern auch eine echte Unterstützung bei der Bewältigung unserer täglichen Teamaufgaben.

Wen würden Sie gerne einmal treffen und warum? 

Ein perfektes wissenschaftliches Treffen wäre mit Burrhus Frederic Skinner und Santiago Ramón y Cajal, die zu den beeindruckendsten Forschern gehören, die das Wissen auf dem Gebiet des Verhaltens und der Neurophysiologie vorangebracht haben. Während meiner Ausbildung zur Experimentalpsychologin stand Skinner im Mittelpunkt meiner Ausbildung und seine Lernprinzipien, wie die operante Konditionierung, haben sich tief in meine Arbeit als Neurowissenschaftlerin eingeprägt. Später, während meiner Promotion am Cajal-Institut in Madrid, hatte ich das Privileg, Zugang zu einem Teil des Vermächtnisses von Ramon y Cajal zu haben, und der Anblick einiger seiner wissenschaftlichen Zeichnungen in der Bibliothek des Instituts hat mein Interesse am Nervensystem tief beeinflusst. Ich fühle mich geehrt, eine Arbeit zu haben, bei der ich von ihren unschätzbaren Erkenntnissen profitieren kann.

HERTIE NETWORK OF EXCELLENCE IN CLINICAL NEUROSCIENCE

Das Hertie Network of Excellence in Clinical Neuroscience und die Hertie Academy of Clinical Neuroscience bilden ein einzigartiges Netzwerk zur Förderung der klinischen Neurowissenschaften.

Mehr fahren

Wann oder wo haben Sie die besten Ideen?

Das kann jederzeit und überall sein. Die besten Ideen entstehen, wenn ich neue Assoziationen schaffe, die in vielen verschiedenen Kontexten ausgelöst werden können - zum Beispiel, wenn ich meinen Kindern beim Spielen zuschaue, in einer Teamdiskussion, wenn ich einen Film sehe, in einer Konferenz oder beim Aufwachen. Eine weitere hilfreiche Quelle ist für mich das Zeichnen von konzeptionellen Schemata auf einem Whiteboard. Das beschleunigt irgendwie das Herausfiltern von wesentlichen Informationen und erleichtert das wissenschaftliche Arbeiten. Wenn ich das gemeinsam mit Leuten aus meinem Team machen kann, ist das noch besser. 

Der perfekte Tag - wie sieht er für Sie aus?

Einen Tag mit ein bisschen Sonnenschein zu beginnen, ist immer etwas, wofür man dankbar sein kann. Dann wäre eine Tasse Cappuccino ein Muss, gefolgt von einer Teambesprechung, in der neue Forschungsideen oder noch besser aktuelle Ergebnisse besprochen werden. Nach Hause zu fahren, um meine Familie zu treffen und gemeinsam ein schönes Abendessen zu genießen, wäre für mich ein Traum. Und natürlich zum Abschluss eine Nacht mit gutem Schlaf.

Haben Sie ein Motto?

Beobachten, beobachten und nochmals beobachten.

Was ist Ihr liebstes Brainfood?

Eine Handvoll Mandeln kann mich bei jeder Gelegenheit retten.

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung  

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