Erfolge in der Schlaganfall-Therapie: Hirnstimulation hilft Patienten, leichter in Bewegung zu kommen

Presse
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24.10.2019

Dr. Christoph Zrenner vom Hertie-Institut für Hirnforschung erklärt die "Transkranielle Magnetstimulation". Patientin Sandra Friesch berichtet von ihren persönlichen Erfahrungen mit der Therapie.

•    Elektromagnetische Pulse bereiten das Gehirn optimal auf Physiotherapie vor
•    Patientin Sandra Friesch: „Endlich kann ich meine Finger wieder bewegen“

Frankfurt, 25. Oktober 2019 – Jedes Jahr erleiden 270.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall, und noch immer ist der plötzliche Hirnschlag der häufigste Grund für Behinderungen im Erwachsenenalter. Trotz verbesserter Therapien liegt die Erkrankung auf Platz drei der häufigsten Todesursachen. Um das öffentliche Bewusstsein für den Hirninfarkt zu schärfen und über Prävention und Therapien aufzuklären, wurde 2006 der Welt-Schlaganfalltag ins Leben gerufen. Am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen, das von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung gefördert wird, widmet sich die Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt neurovaskuläre Erkrankungen der Forschung und Therapie rund um den Schlaganfall. So gibt es seit 2018 im Verbund mit dem Tübinger Uniklinikum eine Ambulanz für Transkranielle Magnetstimulation (TMS), an der Patienten und Patientinnen nach einem Schlaganfall durch gezielte Stimulation des Gehirns behandelt werden. 

Das stimulierte Gehirn kann Physiotherapie-Übungen leichter umsetzen  

„Ein Gehirn, das durch einen Schlaganfall geschädigt wurde, muss in Physiotherapie oder Logopädie durch wiederholtes Üben lernen, sich neu zu organisieren. Darauf ist das Gehirn eines älteren Menschen aber nicht vorbereitet. Durch die TMS aktivieren wir das Gehirn des Patienten und bringen es in einen Zustand, der es ihm erleichtert, neue Netzwerke zu bilden, um die wichtigen Übungen leichter umzusetzen“, sagt Dr. Christoph Zrenner, Neurologe und Laborleiter am HIH. Dazu wird dem Patienten eine Magnetspule an den Kopf gelegt, die durch einen sehr kurzen Stromfluss ein elektrisches Feld im Gehirn erzeugt, das die Nervenzellen aktiviert. Direkt im Anschluss der TMS-Sitzung findet dann die Physiotherapie oder Logopädie statt. „In der Regel spricht das Gehirn über einen Zeitraum von einer Stunde besser auf diese Übungen an“, sagt Dr. Zrenner.

„Manchmal hing ich ewig an einer Kaffetasse fest“

Am HIH arbeitet die Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt neurovaskuläre Erkrankungen unter der Leitung von Prof. Ulf Ziemann seit Jahren erfolgreich mit der TMS, so dass 2018 eine eigene Ambulanz gegründet wurde. Sandra Friesch aus Tübingen war eine der ersten Patientinnen. Die 50-Jährige hatte 2011 einen Schlaganfall, kam durch regelmäßige Physiotherapie und vier Reha-Aufenthalte langsam wieder auf die Beine. „Nur meine linke Hand machte mir Sorgen, ich konnte die Finger nicht mehr öffnen, nachdem ich nach etwas gegriffen hatte. Manchmal hing ich ewig an einer Kaffeetasse fest.“ 2018 wurde Sandra Friesch von ihrem Neurologen an die TMS-Ambulanz in Tübingen überwiesen und in 18 Sitzungen für jeweils 25 Minuten behandelt, direkt im Anschluss ging es zur Physiotherapie. „Nach der absolut schmerzfreien TMS gehorchten die Finger wieder, es ging leichter, die Übungen umzusetzen“, erzählt die Mutter zweier Söhne. „Mein Physiotherapeut hat mir früher zwar auch immer gesagt, wie ich die Finger bewegen soll, aber ich konnte es nicht. Versuchen Sie mal, mit dem mittleren Zeh zu wackeln, es funktioniert nicht. So fühlt man sich nach einem Schlaganfall.“

TMS-Helm, VR-Brille: Neue Forschungsprojekte zur Schlaganfall-Therapie am HIH

 „Vor allem Patientinnen und Patienten mit Lähmungen im Hand-Arm-Bereich und mit Sprachstörungen profitieren durch die TMS-Behandlung, zu ihnen gibt es die meisten Studien“, so Dr. Zrenner, „aber auch Beinstörungen können behandelt werden.“ Neu ist die TMS-Therapie als solche nicht, seit über 25 Jahren werden Menschen mit Depressionen oder nach einem Schlaganfall mit Hilfe der TMS behandelt. „Uns treibt die Frage an, wann und wie die Stimulation des Hirns durch die gesetzten Pulse genau stattfinden sollte, um für die Betroffenen das beste Ergebnis zu erreichen“, sagt Dr. Zrenner, „es geht also um eine Personalisierung der Behandlung, denn bisher nutzen wir außerhalb der Studien nur Standardprotokolle.“ 

Die optimale individuelle Therapie für Menschen nach einem Schlaganfall zu entwickeln, ist in der Abteilung von Prof. Ziemann ein wichtiges Anliegen. So arbeitet der Neurologe mit seinem Team im Rahmen des europäischen Forschungsprojektes „ConnectToBrain“ an einem TMS-Helm, der jeden Bereich der Großhirnrinde stimulieren kann. Erste Tests mit Versuchspersonen sind angelaufen, in etwas fünf bis sechs Jahren könnte das Gerät so weit ausgereift seien, dass mit der kommerziellen Herstellung begonnen werden kann. Das wäre dann ein weiterer Schritt, um die personalisierte TMS-Therapie auf den Weg zu bringen. 

Mit virtueller Realität das Gehirn trainieren

Das Forschungsprojekt „Rehality“, das im Mai am HIH gestartet ist, will gelähmte Schlaganfallpatienten mit Hilfe von virtueller Realität (VR) unterstützen. Über eine VR-Brille nimmt der Betroffene Bewegungsabläufe wahr, die sein Gehirn anregen sollen, sich umzustrukturieren und neue Aktivitätsmuster zu trainieren. Die „Rehality“-Therapie soll langfristig die Versorgungslücke zwischen stationärer Akutbehandlung, Rehabilitation und häuslicher Therapie schließen. Mit der Marktreife der VR-Brille ist in ein paar Jahren zu rechnen.   

Das vollständige Interview mit Dr. Zrenner und Patientin Sandra Friesch finden Sie auf der Homepage der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung unter: https://www.ghst.de

Bei Interesse an der TMS Therapie bzw. einer Teilnahme an laufenden klinischen Studien können sich Patienten, Angehörige und verweisende Ärzte gerne direkt mit der TMS Ambulanz in Verbindung setzten und ein Telefongespräch oder einen Untersuchungstermin vereinbaren:
Telefon: 07071 29-80483; E-Mail: tms.ambulanz@med.uni-tuebingen.dewww.tms-nach-schlaganfall.de


Hertie-Stiftung größter privater Förderer der Hirnforschung in Deutschland

Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung hat das Hertie-Institut für Hirnforschung in Tübingen, eines der bundesweit größten und modernsten Zentren zur Erforschung neurologischer Erkrankungen, mit bislang rund 50 Millionen Euro unterstützt. Die Stiftung engagiert sich darüber hinaus in der Wissensvermittlung, sie hat unter anderem die Website www.dasGehirn.info mit ins Leben gerufen. Hier wird das gebündelte Wissen über das Gehirn verständlich aufbereitet und die aktuelle neurowissenschaftliche Forschung dargestellt. Weitere Infos auch auf der Hertie-Homepage www.ghst.de.

Fotos
• Dr. Christoph Zrenner, Neurologe und Laborleiter in der Forschergruppe Prof. Ulf Ziemann, am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung Tübingen Copyright: Universitätsklinikum Tübingen/Verena Müller
• Patientin Sandra Friesch während der TMS-Behandlung. Auf ihrem Kopf wurde die Magnetspule angelegt. Copyright: Universitätsklinikum Tübingen/Verena Müller


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