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Sarah Borowik-Frank: Foto: Lena Reiner
Interview mit Sarah Borowik-Frank

Es ist krass, was junge Menschen bewegen können!

Sarah Borowik-Frank über die Generation Grenzenlos und ihr Engagement für jüdisches Leben.
Demokratie stärken

Eine Brücke schlagen zwischen Grenzen und Generationen, Ost und West, Vergangenheit und Zukunft - dafür steht unsere Jubiläumskampagne Generation Grenzenlos, mit der die Hertie-Stiftung anlässlich 30 Jahren Deutscher Einheit 30 inspirierende Menschen unter 30 Jahren auszeichnet, die sich für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie einsetzen. Eine von ihnen ist Sarah Borowik-Frank (28) aus Konstanz, die als jüdische Künstlerin aktiv gegen Antisemitismus kämpft und sich dafür engagiert, jüdisches Leben in Deutschland erlebbar zu machen. Was es für Sarah bedeutet, seit nun sieben Monaten Teil der Generation Grenzenlos zu sein, welche Herausforderungen sie in ihrer Arbeit sieht und wer ihre größte Motivationsquelle ist, erzählt sie uns in diesem Interview.

Herzlichen Glückwunsch, Sarah! Du hast mit Deiner Podcast-Idee „Hustle Tov“ beim Podcast-Wettbewerb von Deezer und re:publica unter 200 Bewerberinnen und Bewerbern den 1. Preis gewonnen. Worum geht es in Deinem Podcast?

Es geht um jüdisches Leben in Deutschland aus einer bestimmten Perspektive. Zum einen kommt eine Rabbinerin zu Wort, die mit ihrem Expertenwissen viele Fragen beantwortet, etwa: Was ist koscheres Essen? Warum habt ihr Jüdinnen und Juden so viele Feiertage? Zum anderen wollen wir mit jüdischen Menschen ins Gespräch kommen, mit einer Physikerin oder eine Historikerin zum Beispiel. Bisher gibt es noch keinen Podcast, der mit Jüdinnen und Juden über ihre Expertise spricht, und gleichzeitig Fakten über das jüdische Leben unterhaltsam aufbereitet. Meine Aufgabe ist es, das Ganze mit einer gewissen Leichtigkeit zu präsentieren. Ich freue mich schon sehr, dass die Produktion bald startet. 

"Ich versuche immer wieder, Menschen durch ein Gespräch zu erreichen. Frei nach dem Talmud: 'Rettest Du ein Leben, rettest Du die ganze Welt'".

Welche Projekte beschäftigen Dich sonst, wie sieht Deine Arbeit aus?

Ich liebe diese Frage, weil es mir selbst oft schwerfällt, sie für mich zu beantworten. Ich mache so viele Dinge. Zusammengefasst bin ich online und offline als „Bildungsreferentin“ tätig und kläre aus meiner jüdischen Perspektive über das jüdische Leben heute auf, aber auch über den wachsenden Antisemitismus. Ich arbeite zu diesen Themen viel mit Kindern und Jugendlichen. Aber ich bin auch Künstlerin. Ich spiele Theater, nehme an Poetry-Slams teil, schreibe Gedichte, drehe Filme. Mit meinem ersten Poesiefilm über Auschwitz bin ich in diesem Jahr direkt beim Zebra Poetry Film Festival in Berlin dabei. 

Wie bist Du zur Generation Grenzenlos gekommen?

Eine Kollegin hat mich auf die Ausschreibung aufmerksam gemacht. Ich habe sofort gedacht: „Die suchen ja mich! Ich bin schon mein ganzes Leben die Generation Grenzenlos“. Der Witz ist ja, dass ich nur wegen des Mauerfalls geboren wurde. 

Warum?

Meine Eltern sind nach dem Mauerfall als sogenannte jüdische Kontingentflüchtlinge nach Deutschland gekommen, meine Mutter aus der Ukraine, mein Vater aus Tadschikistan. Sie haben sich im Flüchtlingslager Zittau in Sachsen kennengelernt, wo ich geboren wurde. Wenn das nicht die Generation Grenzenlos ist!

Was bedeutet es für Dich, Teil der Generation-Grenzenlos-Kampagne zu sein? Welche Erfahrungen hast Du in den vergangenen Monaten gemacht? 

Ein wichtiger Grund mich zu bewerben war, dass ich im Falle einer Zusage viele andere Menschen kennenlernen würde, die auch grenzenlos engagiert sind. Ich selbst habe so viel zu tun, dass ich solche tollen Leute kaum kennenlerne, weil die ja auch den ganzen Tag zu tun haben. Mit diesen wunderbaren Menschen der Generation Grenzenlos heute in eine Reihe stehen zu dürfen, ist ein absolutes Privileg für mich und mein Hauptgewinn der Kampagne. Ich habe zu vielen inzwischen persönlichen Kontakt, obwohl wir uns wegen Corona bisher nur online begegnet sind. Aber es ist schon krass, was junge Menschen bewegen können, und ich bewundere sie sehr dafür: Annalisa zum Beispiel, die sich für Gehörlose einsetzt. Oder Inkluencerin Natalie, die sagt: „Das Leben mit Down-Syndrom ist cool!“ Oder Kate Lynn, die Feuerwehrfrau ist, Songs schreibt und Ukulele spielt! Da wird man selbst richtig wach im Kopf, und die Vielfalt, für die ich mich ja immer einsetze, wird wirklich sichtbar. Mit Daniel, der sich für politische Bildungsarbeit engagiert, arbeite ich jetzt sogar zusammen. Ich bin als Referentin für seinen Stiftungsverein tätig. Wir unterstützen uns alle gegenseitig, und dieser Schatz ist durch ein Zoom-Meeting der Generation Grenzenlos entstanden. Ich freue mich sehr darauf, das Team Ende August endlich live in Berlin zu treffen. 

Hast Du bisher erlebt, dass die Generation Grenzenlos auch eine Brücke zu den Menschen schlägt, die wirklich noch hinter der Mauer saßen? 

Ja, unbedingt. Ich bekomme von vielen Frauen und Männern dieser Generation die Rückmeldung, welche Freude es für sie bedeutet, die Porträts der Kampagnen-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer zu sehen. Sie sind richtig begeistert, was „die Jungen“ heute bewegen. „Die Jungen geben Mut“, höre ich oft. Übrigens liebe ich den Namen Generation Grenzenlos. Ich hatte vor zehn Jahren mal ein geschütztes Blog, das ich „Grenzenlos“ genannt habe. Obwohl natürlich nicht alle Grenzen schlecht sind. Es gibt notwendige Grenzen, die uns helfen, mit anderen Menschen  klar zu kommen. Das sind gute Grenzen. Aber das Wort „grenzenlos“ fand ich immer cool. 

Was ist für Dich die größte Herausforderung in Deiner Arbeit?

Nicht zu wissen, ob und wie ich Menschen erreiche. Und die Erfahrung zu machen, dass es Menschen gibt, an die ich nicht mehr herankomme. Die Demo in Berlin am 1. August war zum Beispiel hochgradig rechts geprägt, ich habe vor Ort viele antisemitische Parolen wahrgenommen. Andererseits gab es dort auch viele Leute, die gar nicht von sich denken, dass sie antisemitisch sind. Oft sind das intelligente Menschen, die sich respektvoll verhalten, auch mir gegenüber, und die in gefestigten Verhältnissen leben. Dennoch verleugnen und verharmlosen sie Dinge, wie zum Beispiel das Demonstrieren in einer Reihe mit Rechtsextremen. Oder den Übergriff auf die Journalistin Dunja Hayalil, die ihre Dreharbeiten aus Sicherheitsgründen abbrechen musste. Oder sie beschimpfen alle Medien als „Lügenpresse“. Wenn ich dann merke, dass diese Leute, mit denen ich rede, an einem Punkt komplett dicht machen, ist das eine große Herausforderung für mich. Es ist schwer, damit umzugehen und zu versuchen, weiter mit diesen Menschen zu kommunizieren.    

Hilft Erinnerungspolitik denn überhaupt noch, die Richtigen zu erreichen?

Mit der Erinnerungspolitik haben wir ein Fundament gelegt, aber bei dem Begriff allein fühle ich mich manchmal wie eine laufende Gedenktafel. Viele Menschen denken sofort an Tote, wenn es um das Judentum geht. Wenn ich zum Beispiel sage, dass ich Jüdin bin, kommt oft: „Oh, ich war auch schon mal in Auschwitz.“ Ich lebe aber! Deshalb ist es so wichtig, über das jüdische Leben heute zu berichten. Es gibt viele deutsche Städte, in denen keine Juden mehr leben, und es wird nicht dafür gesorgt, dass man dort zum Beispiel auch jüdische Festivals veranstaltet. Hier fehlt es an Bildung über das Judentum heute. Deshalb ist mein Podcast entstanden. Es fehlt auch eine Plattform in den Medien, zum Beispiel eine jüdische Talkshow. Ich komme als Jüdin eher mit der Nachricht in die Zeitung, dass ich überfallen worden bin, als damit, dass ein großer gesellschaftlicher Player wie die Hertie-Stiftung meine Arbeit gegen Antisemitismus ausgezeichnet hat. So festigt sich das Bild des Opfers.  

Was ist Deine Motivation, und woher nimmst Du die Energie für Deine Arbeit?

Einerseits von Gott, weil ich sehr gläubig bin und weiß, dass wir einander mit Liebe begegnen müssen. Zum anderen schöpfe ich Kraft daraus, dass ich immer wieder Menschen durch ein Gespräch erreichen konnte. Frei nach dem Talmud: „Rettest Du ein Leben, rettest Du die ganze Welt“. Ich kann natürlich niemanden retten, aber wenn ich jemanden in seiner Welt bewege und dieser Mensch danach anderen Menschen mit mehr Mitgefühl begegnet, habe ich viel erreicht. 
 

INFO   Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung.

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