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Misha B. Ahrens, Foto: Matt Staley, Janelia Research Campus
Interview mit Misha Ahrens

Wissenschaftlich gesehen sind die anstrengenden Phasen oftmals produktivsten.

Misha B. Ahrens wurde für seine Forschung an Gehirnfunktionen des Zebrafisches mit dem Eric Kandel Young Neuroscientists Prize ausgezeichnet.
Gehirn erforschen

Das menschliche Gehirn und seine komplexen Funktionen sind nach wie vor nur zu einem sehr kleinen Teil erforscht: Selbst ein Zebrafisch, dessen Gehirn nur ein Bruchteil der Größe eines menschlichen Gehirns hat, ist bisher nicht vollumfänglich wissenschaftlich  verstanden. Misha B. Ahrens, Ph.D, ist Forschungsgruppenleiter am Janelia Research Campus des Howard Hughes Medical Institute in den USA und widmet sich mit seinem Labor der Erforschung des Gehirns von Zebrafischen. Im Fokus steht dabei die Informationsverarbeitung bei bestimmten Verhaltensweisen und wie verschiedene neuronalen Netzwerke und Systeme daran beteiligt sind.

Geboren 1981 in den Niederlanden, studierte Ahrens Mathematik und Physik an der University of Cambridge. 2009 wurde er an der Gatsby Computational Neuroscience Unit am University College London von Prof. Maneesh Sahani und Prof. Jennifer Linden im Bereich Computational Neuroscience promoviert. Anschliessend war er Sir Henry Wellcome Postdoctoral Fellow an der Harvard University im Labor von Prof. Florian Engert. Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden u. a. von dem Wellcome Trust sowie vom Howard Hughes Medical Institute unterstützt und von der Simons Collaboration on the Global Brain ausgezeichnet. Jetzt wurde er mit dem Eric Kandel Young Neuroscientists Prize 2019 ausgezeichnet. Der Preis würdigt insbesondere seine Entdeckung der aktiven Rolle von Glia-Zellen bei der Kontrolle von Motivationszuständen im Zebrafisch.

"Ich hoffe auch, dass das Verständnis für das Funktionieren unseres Gehirns dazu führt, dass sich die Menschen untereinander besser verstehen und letztendlich weltweit eine bessere und tolerantere Gesellschaft entsteht."

Herr Ahrens, was motiviert Sie zu Ihrer Forschung?

Die Zusammenarbeit mit talentierten und inspirierenden Labormitarbeitern, deren Entwicklung als Wissenschaftler man miterleben darf, ist eine große tägliche Motivation für mich. Und in anderer Hinsicht: die Suche nach tieferem und umfassenderem Wissen hat die Menschheit maßgeblich vorangetrieben. Die Tatsache, dass es sich dabei um einen kreativen und spannenden Prozess handelt, war von Vorteil. Obwohl wir schwerpunktmäßig ein grundlegendes Verständnis des Gehirns entwickeln wollen, sind wir der Meinung, dass unsere Forschungstätigkeit Menschen auf lange Sicht helfen kann. Das kann etwa bei Therapien im Bereich der psychischen Gesundheit der Fall sein. Außerdem wird das Verständnis für das Funktionieren unseres Gehirns hoffentlich auch das Verständnis der Menschen auf persönlicher Ebene fördern und sich in einer toleranteren Gesellschaft niederschlagen. Ein tiefes Verständnis der neuronalen Schaltkreise könnte aber auch die Informatik beeinflussen, beispielsweise, indem die Abhängigkeiten der Funktionen des Nervensystems von physikalischen Prozessen auf vielen räumlichen Skalen aufgedeckt werden (von großen Schaltkreisen bis zu Molekülen). Dies ist etwas, das momentan beim maschinellen Lernen nicht aktiv genutzt wird.

Welche Eigenschaften sollte ein Forscher in Ihrem Bereich mitbringen?

Neugier und einen unstillbaren Willen, neue Dinge zu erlernen. Unsere Forschungsarbeit hängt davon ab, mehrere Lösungsansätze – vom Einsatz mathematischer Tools bis zum Heranziehen der Molekularbiologie – bei der Beantwortung von Fragen zu kombinieren. Es kommt höchst selten vor, dass jemand zum Team stößt, der schon all dieses Wissen mitbringt. Wir lernen täglich etwas Neues voneinander. Wichtig ist auch, das Verhalten der Zebrafische nicht nur zu erforschen, sondern zu versuchen, sich sogar selbst in einen Zebrafisch hineinzuversetzen und sich vorzustellen, welche Probleme sein Nervensystem lösen muss und wie sich das mit den Problemen deckt, denen wir Menschen gegenüberstehen.

Wie kamen Sie zu ihrem Forschungsfeld?

Nach meinem abgeschlossenen Studium der Mathematik und der theoretischen Physik an der Cambridge University war ich kurz davor, meine Doktorarbeit in Bereich der Stringtheorie zu schreiben, änderte aber meine Meinung und entschied mich für Computational Neuroscience. Diese Entscheidung wurde teils durch mein Sommerforschungsprogramm, das ich gemeinsam mit dem Neurowissenschaftler Juan Delius in Deutschland absolviert hatte, begünstigt; außerdem hatte ich schon seit jeher die Idee im Hinterkopf, Mathematik für das Verständnis des Nervensystems anzuwenden. Während meiner Doktorandenzeit entwickelte ich bei Maneesh Sahani an der Gatsby Computational Neuroscience Unit des University College London statistische Methoden für das Verständnis der Informationsverarbeitung im auditorischen Kortex. Ich hatte das Bedürfnis, selbst einen Einblick aus erster Hand in die Gehirnaktivitäten zu gewinnen. Ich fand, dass kluge Tiere mit kleinen Gehirnen sich für das Verständnis der Gehirnfunktionen am besten eignen; daher entschied ich mich für Zebrafischlarven und wechselte als Postdoc an das Labor von Florian Engert an der Harvard University. Im Anschluss daran baute ich ein Labor am Janelia Research Campus auf und führte mit Philipp Keller light-sheet functional imaging ein, die die bildliche Darstellung des gesamten Gehirns des Zebrafisches ermöglichen. Dadurch konnten wir die Aktivitäten im gesamten Gehirn der untersuchten Tiere aufzeichnen und untersuchen, wie Zellen zusammenarbeiten, um Tiere mit den Grundbausteinen der Intelligenz auszustatten.

Warum forschen Sie in den USA?

Das hat sich einfach so ergeben. Am Janelia Research Campus herrscht ein einzigartiges Forschungsklima, und da wollte ich arbeiten. Dass es gerade in den Vereinigten Staaten liegt, ist reiner Zufall.  Außerdem lebe ich gerne in einer Gesellschaft, die international und offen gegenüber Menschen aus aller Welt ist. Das zeichnet die USA immer noch besonders aus, und es ist etwas, das wir wertschätzen, fördern und bewahren sollten. 

Wie tanken Sie Energie während anstrengender Phasen im Labor?

Wissenschaftlich gesehen entpuppen sich anstrengende Phasen oftmals als die Zeiten, in denen man am produktivsten ist und beträchtliche gemeinsame Erfolge erzielt werden. Es kann ganz schön unbequem sein, wenn Fragen offen sind oder riskante Entscheidungen getroffen werden müssen. Aber genau dann kommen die Leute zusammen und maximieren ihre gemeinsamen Anstrengungen und ihre Kreativität. Ich persönlich denke, dass es wichtig ist, auch Zeit mit Menschen fernab der Arbeit zu verbringen, sich sportlich zu betätigen, gesund zu ernähren, auf ausreichend Schlaf zu achten und – warum nicht? - auch zu meditieren.

Haben Sie ein Motto für Ihre Arbeit?

„Sei offen für das Überraschende“. Wir werden uns vielleicht nie komplett vorstellen können, wie das Gehirn funktioniert. Darum ist es wichtig, offen zu sein, die Daten für sich sprechen zu lassen und unerwarteten Wendungen offen gegenüberzustehen.  

Wem sollen die Ergebnisse Ihrer Forschungsarbeit langfristig helfen?

Der Menschheit und der Gesellschaft. Ein besseres Verständnis der Welt um uns herum und ein besseres Verständnis für uns selbst ist an sich schon wichtig, doch ein wichtiger Aspekt der Erforschung des Gehirns ist, Wissen beizusteuern, das eines Tages die geistige Gesundheit und das Leben der Menschen im Allgemeinen verbessern wird. In welcher Art und Weise das genau sein wird, lässt sich noch nicht vorhersagen. Aber es gibt bereits viele Beispiele, wie die Neurowissenschaft im Gesundheitswesen eingesetzt wird. Ich hoffe auch, dass das Verständnis für das Funktionieren unseres Gehirns dazu führt, dass sich die Menschen untereinander besser verstehen und letztendlich weltweit eine bessere und tolerantere Gesellschaft entsteht.

Eric Kandel Prize

Der Eric Kandel Young Neuroscientists Prize zeichnet herausragenden wissenschaftlichen Nachwuchs in der Hirnforschung für seine Leistungen aus und fördert ihn in seiner wissenschaftlichen Laufbahn.

Mehr über den Kandel Prize

Warum ist der Zebrafisch besonders geeignet für Ihre Forschung?

Der Zebrafisch vereint das Beste aus mehreren Welten. Er ist bereits im Alter von einer Woche ein ziemlich hoch entwickeltes Tierchen. Er jagt, lernt, kundschaftet aus und noch vieles mehr. Da sein Gehirn klein genug ist, könnte es uns möglich sein, es vollständig zu verstehen. Bei der überschaubaren Größe seines Gehirns ist es außerdem möglich, die Gehirnaktivitäten in fast allen Neuronen gleichzeitig mit Hilfe von light-sheet functional imaging bildlich darzustellen, sogar dann, wenn er ein bestimmtes Verhalten zeigt. Zebrafische und Säugetiere, einschließlich des Menschen, haben viele vergleichbare Gehirnareale, was bedeutet, dass die Erkenntnisse bei einem Tier gut Studien bei anderen anregen können. Wir werden in Zukunft vielleicht andere Organismen untersuchen, aber die Vorteile des Zebrafisches werden nur schwer zu schlagen sein. Daher denke ich, dass er noch ziemlich lange im Labor zum Zuge kommt.

Wen würden Sie gerne einmal auf einen Kaffee treffen?

Wenn ich die Gelegenheit hätte, eine historische Persönlichkeit auf einen Kaffee zu treffen, dann würde ich gerne Ada Lovelace und Nikola Tesla treffen. Ada Lovelace gilt als eine der ersten Informatikerinnen und eine der ersten Schöpferinnen von Algorithmen, die zwei Jahrhunderte später eine riesige Rolle spielen. Sie wollte auch ein maschinengestütztes Modell des Gehirns schaffen. Tesla war ein Vorreiter auf dem Gebiet der Elektrizität; seine Erfindungen mussten seinen Zeitgenossen vor einem Jahrhundert wie Magie anmuten – und tun das in gewissem Sinne auch heute noch. Ich denke, dass die Situation, wie unerforscht und offen ihre Gebiete damals waren, vergleichbar ist mit der, in der sich heute die Neurowissenschaft befindet. Ich würde gerne mehr darüber erfahren, wie sie ihre Vorstellungskraft und das logische Denken für die Lösung der von ihnen untersuchten Probleme und für ihre Erfindungen eingesetzt haben. Ich würde ihnen auch gerne etwas über unsere heutige Zeit und unsere Welt erzählen wollen.

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