Interview mit Dr. Hannah Scheiblich
Kleine Zellen, die es in sich haben
Was hat Sie dazu bewegt, in die klinische Hirnforschung zu gehen?
Eigentlich wollte ich immer Meeresbiologie studieren, doch schon während meiner ersten Neurobiologie-Vorlesung in der Uni wurde mir klar, dass das Gehirn das ist, wofür ich mich wirklich interessiere. Dabei hat es mir besonders die Funktion einer kleinen Zelle angetan, die es aber in sich hat: die Mikroglia. Mikroglia sind Immuneffektorzellen des zentralen Nervensystems, deren Hauptaufgabe darin besteht, das umgebene Hirngewebe auf Veränderungen hin zu kontrollieren und auf diese zu reagieren. Vor allem Fehl- oder Überaktivierungen der Mikroglia wurden mit der Entstehung einer Reihe neuropathologischer Erkrankungen assoziiert. Verständnis über ihre genauen zellulären Funktionen zu erlangen sowie die Modulation dieser Funktionen zu verstehen, stellt für mich ein wichtiges und vor allem interessantes Forschungsfeld dar.
"Eigentlich wollte ich immer Meeresbiologie studieren, doch schon während meiner ersten Neurobiologie-Vorlesung in der Uni wurde mir klar, dass das Gehirn das ist, wofür ich mich wirklich interessiere."
Veröffentlichungen
Einfach erklärt: Woran arbeiten Sie momentan?
Bei zahlreichen neurodegenerativen Erkrankungen kommt es zu einer Fehlfaltung bzw. Aggregatbildung von verschiedenen Proteinen. Dabei entstehen meist toxische Proteinanhäufungen im Gehirn, die zur Aktivierung des ZNS-eigenen Immunsystems führen. Vor allem die Mikroglia sind für den Abbau dieser Proteinanhäufungen verantwortlich, wobei eine erhöhte Exposition der Mikroglia mit diesen toxischen Proteinen zur Aktivierung oder sogar einer unkontrollierbaren Überaktivierung der Zellen führen kann. Diese Überaktivierung hat zur Folge, dass die Mikroglia zytotoxische Faktoren freisetzen, die zu Entzündungsreaktionen und zum Zelltod benachbarter Neurone führen kann.
In meinem Projekt beschäftige ich mich mit dem Protein alpha-synuclein, welches zur Entstehung sogenannter Synucleinopathien führt, wobei die Parkinson Erkrankung die prominenteste dieser Pathologien darstellt. Mikroglia sind bei einer Überexposition mit aggregiertem alpha-synuclein nicht mehr in der Lage, dieses abzubauen, was zur Zellaktivierung führt. Wir haben einen neuen Hilfsmechanismus identifiziert, bei dem Mikroglia sich „auf Abruf“ untereinander vernetzen können, um die individuelle alpha-synuclein-Belastung untereinander zu teilen. Wir konnten zeigen, dass diese Vernetzung zu einer Reduktion der Entzündungsreaktion der Mikroglia beiträgt. Mittels verschiedener Modelsysteme, zellbiologischer Analysen und Bildgebungsverfahren untersuchen wir zelluläre Signalwege und molekulare Mechanismen, die zur Modulierung dieser zellulären Vernetzung beitragen und wie wir diese möglicherweise steuern können.
Was wollen Sie damit erreichen?
Mein Ziel ist es, die zellulären Prozesse im Gehirn besser zu verstehen, die an der Entstehung neurodegenerativer Pathologien beteiligt sind. Ich erhoffe mir, dass die Ergebnisse meines Projekts nach und nach die zellulären und molekularen Mechanismen enthüllen, die neurodegenerativen Prozessen zugrunde liegen. Auf diese Weise könnte mein Projekt dazu beitragen, Modulationsmöglichkeiten oder neue therapeutische Interventionsstrategien zu entwickeln.
Welche Rahmenbedingungen sind für exzellente Forschung notwendig?
Vernetzung und Teamwork, Kreativität und Agilität, aber auch Geld spielen eine ganz große Rolle für exzellente Forschung. Vernetzung, um sich mit Spezialisten aus anderen Forschungsgebieten austauschen zu können und eine andere Perspektive auf die Dinge zu erhalten. Teamwork, da man als Team einfach viel effizienter ist, als ein Einzelner. Kreativität, um neue Ideen zu entwickeln - besonders dann, wenn etwas nicht auf Anhieb funktioniert. Agilität, um kurzfristig auf neue Ergebnisse einzugehen und sich auch mal zu trauen, über den Tellerrand zu schauen. Zuletzt spielt natürlich auch Geld eine wichtige Rolle, um exzellente Forschung betreiben zu können. Zum einen, um sich die Forschung überhaupt finanziell leisten zu können, zum anderen um auf dem neusten Stand der Technik/Ausstattung zu sein und damit man nicht anderen hinterherhinkt.
Hertie Network of Excellence in Clinical Neuroscience
Das Hertie Network of Excellence in Clinical Neuroscience und die Hertie Academy of Clinical Neuroscience bilden ein einzigartiges Netzwerk zur Förderung der klinischen Neurowissenschaften.
Was erhoffen Sie sich von der Hertie Academy?
Als Nachwuchswissenschaftlerin erhoffe ich mir von der Hertie Academy, in ein Netzwerk hineinzuwachsen, in dem man voneinander und miteinander lernen, und wissenschaftliche Entwicklungen durch hervorragende Forschung vorantreiben kann. Es wird immer deutlicher, dass Vernetzung der Schlüssel zu einer erfolgreichen Forschung ist. Mit der Hertie Academy haben wir die Möglichkeit, diese Vernetzung zwischen verschiedenen Forschungsstandorten zu schaffen. Das Hertie Netzwerk besteht aber nicht nur aus uns Fellows, sondern auch aus Mentoren, die allesamt Spezialisten auf ihrem Feld sind und von denen wir auf unserem Weg betreut und beraten werden. So erhoffe ich mir, in den kommenden drei Jahren die Grundlage für meinen Weg in eine selbstständige, unabhängige Forschungstätigkeit zu schaffen.
Welche Wissenschaftlerin/welchen Wissenschaftler aus Vergangenheit oder Gegenwart würden Sie gerne einmal treffen und warum? Oder lieber jemand anderes, außerhalb des Wissenschaftskosmos?
Ganz klar, die erste weibliche Nobelpreisträgerin: Marie Curie. Eine beeindruckende Wissenschaftlerin mit einem unermüdlichen Einsatz und einer grenzenlosen Leidenschaft für Forschung.
Gerne würde ich aber auch Frank Thelen einmal treffen, der mich mit seinen innovativen Ideen und seinem Drang, Deutschland zu digitalisieren, beeindruckt. Zwar wohnen wir in derselben Stadt, getroffen habe ich ihn bisher aber noch nicht.
Haben Sie ein Motto/einen Vorsatz?
Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft - vielmehr aus unbeugsamem Willen. (Mahatma Gandhi)
Der perfekte Tag – wie sieht der für Sie aus?
Ein perfekter Tag wäre für mich, mit meinem Surfbrett an der französischen Atlantikküste auf die perfekte Welle zu warten. Dabei kann man nicht nur gut nachdenken, sondern auch neue Kraft für bevorstehende Hürden sammeln, denen man in der Wissenschaft sehr oft begegnet.
Was ist Ihr liebstes Brainfood?
Leider Schokolade.