kathrin_broclkmann_small_2.jpg
Dr. Kathrin Brockmann, Foto: Fabian Zapatka/Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Interview mit Kathrin Brockmann, Januar 2023

Unsere Neuro-Biobank ist wie eine Schatztruhe für die Forschung.

PD Dr. Kathrin Brockmann ist Forschungsgruppenleiterin der „AG Klinische Parkinsonforschung“ am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen und Leiterin der Parkinson-Ambulanz am Uniklinikum. In unserem Interview erzählt die Neurowissenschaftlerin, welches Potenzial in Biomarkern steckt, was es mit der Neuro-Biobank am HIH auf sich hat - und wie sie der Parkinson-Demenz bei jungen Menschen Paroli bieten will.
Gehirn erforschen

Sie sind Forschungsgruppenleiterin der „AG Klinische Parkinsonforschung“. Worum geht es bei Ihrer Arbeit?

Unsere Forschung beschäftigt sich damit, Ursache und Verlauf der Parkinsonerkrankung individuell möglichst genau bestimmen und vorhersagen zu können. Die typischen klinischen Symptome wie das Zittern oder auch die Bewegungseinschränkungen sehen nach außen ähnlich aus, aber die biologischen Ursachen dahinter können sehr unterschiedlich sein. Mal spielt der genetische Hintergrund eine Rolle, mal nicht. Deshalb gibt es auch nicht das eine Parkinsonmedikament, das die Erkrankung verzögert oder aufhält. Ziel unserer Forschung ist es einerseits, möglichst genau voraussagen zu können, wie die Erkrankung verlaufen wird, ob und vor allem wann zum Beispiel die kognitive Leistungsfähigkeit oder das Laufen eingeschränkt sein wird.  Ob das fünf oder 15 Jahre nach der Diagnose der Fall ist, macht für die Patienten natürlich einen großen Unterschied. Zusätzlich wollen wir diese Erkenntnisse durch sogenannte Biomarker untermauern. Das sind bestimmte Signaturen eines Menschen, die wir aus dem Blut (z.B. die Erbinformation) oder aus dem Nervenwasser gewinnen, und die uns wertvolle Hinweise auf die jeweils individuell zugrunde liegende Ursache der Erkrankung liefern. Am Ende geht es darum, jedem Parkinson-Patienten eine spezifischere Therapie, die an der Ursache ansetzt, anbieten zu können.  

Wie gehen Sie praktisch vor?

Wir arbeiten daran, möglichst alle Parkinsonpatientinnen und -patienten, die wir in Tübingen in der Klinik sehen, zunächst anhand bestimmter Merkmale in der Erbinformation aus dem Blut zu stratifizieren, also in Untergruppen einzuteilen, um die ursächlichen Mechanismen der Erkrankung besser zu verstehen. In einer Gruppe steht zum Beispiel ein Problem mit dem Energiehaushalt der Nervenzellen im Vordergrund, in einer anderen eher die Einschränkung der Abbaumaschinerie von bestimmten Eiweißen, die sich bei Parkinson ablagern. Nach der Einteilung in Subgruppen untersuchen wir die Patienten klinisch ganz genau, um festzustellen, wie stark die Erkrankung ausgeprägt ist. Wie heftig sind die Beschwerden? Gibt es zusätzlich vielleicht Herz-Kreislauf-Regulationsstörungen? Diese Daten werden jährlich über den gesamten Verlauf der Erkrankung erhoben, um auch bestimmte Meilensteine wie Stürze oder eine dementielle Entwicklung zu dokumentieren. Gemeinsam mit den Biomarkern entsteht so ein wertvolles Gesamtbild, das die Grundlage für unsere Forschung ist.     

Hertie-Institut für klinische Hirnforschung

Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen ist eines der bundesweit größten und modernsten Zentren zur Erforschung neurologischer Erkrankungen.  Zentrale Aufgabe des Instituts ist es, zum besseren Verständnis von Hirnfunktionsstörungen beizutragen und neue Behandlungsstrategien zu entwickeln.

Mehr fahren

Sie sind am HIH auch Koordinatorin der Neuro-Biobank, in der die Biomaterialien für die Biomarker-Analysen von Patientinnen und Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson und z.B. Alzheimer gelagert werden. Was sammeln Sie dort genau?

Wir sammeln Biomaterial wie Blut, Hautzellen oder auch Nervenwasser, das von den Patienten gespendet wurde. Dabei wird jede Probe aus Datenschutzgründen nicht mit dem persönlichen Namen des Spenders versehen, sondern mit einem Code. Mittlerweile haben wir mehr als 500.000 biologische Proben von etwa 37.000 Spenderinnen und Spendern. Das ist eine wahre Schatztruhe, denn so steht uns Biomaterial für viele spezifische Fragestellungen unserer Forschung zur Verfügung. Ich kann zum Beispiel die Proben von 500 Parkinsonpatienten anfragen, die im Nervenwasser einen bestimmten Marker haben, der eine Ablagerung eines krankhaften Eiweißes im Gehirn widerspiegelt. Dazu muss ich bei dem Komitee der Biobank einen Antrag stellen und kann dann mit den Proben meine Analysen durchführen. Weil wir uns die Biomarker-Profile vor allem in Relation zu den klinischen Informationen ausgeben lassen können, schaffen wir es, den Patienten als Gesamtes mit seiner biologischen und klinischen Signatur zu analysieren. So können wir immer genauere Untergruppen definieren, die uns wichtige Hinweise auf Ursache und Verlauf der Erkrankung geben.      

Wie kommen Sie an die Bioproben? Die meisten Erkrankten werden zu Lebzeiten vermutlich nicht mehr von Ihrer Forschung profitieren.

Das ist ein wichtiger Punkt, denn an der Stelle kommt der gute Link zwischen der Parkinson- Ambulanz und dem Hertie-Institut zum Tragen. Hier greifen die Zahnräder ineinander, weil ich in beiden Einheiten beschäftigt bin. Mein Team und ich sprechen in der Parkinson-Ambulanz die Patienten direkt an und bitten um eine Blutspende für die Wissenschaft und die Forschung am HIH, dadurch haben wir schon mal die Möglichkeit, die Erbinformationen zu sammeln. Wenn generelles Interesse an Forschung und Studien besteht, werden auch Nervenwasser und weitere Biomaterialien gespendet. Die Parkinsonpatienten habe ich diesbezüglich immer als sehr offen und interessiert erlebt. Hinzu kommt das gute Verhältnis der Ärztinnen und Ärzte in meinem Team zu den Betroffenen. Sie nehmen sich viel Zeit, um über Ursachen und Zusammenhänge der Erkrankung aufzuklären. Wenn man den Patienten von Anfang an offen begegnet, sind sie interessiert und bereit, ihren Beitrag für die Forschung zu leisten, und auch an Studien teilzunehmen. Dass Parkinson-Ambulanz und HIH so ineinandergreifen, ist etwas ganz Besonders in Tübingen.

"In der Studie haben wir jetzt ein anderes Modell gewählt: Wir beginnen früher mit der Therapie, also schon bevor sich mit der Demenz das eigentliche Symptom, das wir behandeln wollen, zeigt." 

Inwiefern?

Es ist an vielen Standorten nicht selbstverständlich, dass Translation so zügig umgesetzt werden kann. In Tübingen spürt man die Mission der Hertie-Stiftung, die sich sehr für die kurzen Wege zwischen Forschung und Klinik engagiert und somit vor allem die Brücke zwischen Arbeit in der Klinik und im Labor stützt.

Welche Rolle spielen Biomarker in der Entwicklung neuer Therapien?

Es ist ein Feld, das sich revolutioniert hat. Vor zwanzig Jahren waren Biomarker und Parkinson kaum ein Thema. Das Problem, das wir bei neurologischen Erkrankungen haben, ist, dass wir mit dem Gehirn in einem formal abgeschotteten System arbeiten. Wegen der natürlichen Blut-Hirnschranke, die zum Beispiel dafür sorgt, dass eine Blutinfektion nicht gleich das Gehirn angreift, können wir nicht alle Prozesse, die im Gehirn biologisch ablaufen, im Blut messen. Inzwischen gibt es aber unterschiedliche Biomarker, die uns darüber Aufschluss geben können. Vor allem durch ein Testverfahren, das vor etwa fünf Jahren entwickelt wurde. Seitdem können wir das für Parkinson erkrankungsspezifische Eiweiß Alpha-Synuclein, welches sich im Gehirn fehlfaltet und ablagert, im Nervenwasser messen. Das ist vor allem am Anfang wichtig zur Abgrenzung von anderen seltenen Parkinsonformen sowie möglicherweise auch für den Verlauf, denn je mehr sich von diesem krankhaften Eiweiß im Nervensystem ablagert, umso schneller schreitet die Erkrankung voran. 

Sie starten demnächst eine Parkinson-Studie, die von der Michael J. Fox Foundation mit 1,9 Millionen Euro unterstützt wird. Worum geht es dabei?

Es handelt sich um die Studie Prevent Dementia in GBA-PD, die wir am HIH geplant haben, und die ab 2023 in acht europäischen Zentren durchgeführt wird. Die Studie richtet sich an jüngere Parkinsonpatienten, die einen schnelleren Verlauf mit Gedächtniseinschränkungen haben. Die Patienten haben im Schnitt ein Alter von Anfang 50, der Jüngste bei uns in Tübingen ist 28 Jahre alt. Das sind Menschen, die noch im Beruf stehen, Familien und Kinder haben, aber wissen, dass sie ein hohes Risiko haben, im Rahmen der Parkinson Erkrankung eine Demenz zu entwickeln. Bei ihnen wird die Parkinsonerkrankung durch eine Veränderung der Erbinformation im GBA-Gen begünstigt. Veränderungen in diesem Gen sind der häufigste erbliche Risikofaktor für Parkinson, den wir im Moment kennen. Man hat sich lange gefragt, was der Grund für die schnelle Demenzentwicklung trotz des jungen Erkrankungsalters ist. Dann hat man herausgefunden: Bei Parkinson haben wir manchmal Ablagerungen von zusätzlichen Eiweißen, die wir aus anderen Demenzerkrankung kennen, und die bei Parkinson eine Demenz begünstigen - nur ist das bei Patienten mit der GBA-Mutation genau nicht der Fall ist. Diese Patienten haben ausschließlich sehr viel von dem Parkinsoneiweiß Alpha-Synuclein abgelagert, das sehr schnell durch das Gehirn wandert. Allein dieses Eiweiß ist der treibende Faktor für die Demenz bei Patienten mit GBA-Veränderungen, wie wir mit meinem Team erstmals zeigen konnten. Nur leider kommen wir bisher mit unseren Therapien meist zu spät: Wenn man sie verabreicht, bestehen schon viele Eiweißablagerungen. In der Studie haben wir jetzt ein anderes Modell gewählt: Wir beginnen früher mit der Therapie, also schon bevor sich mit der Demenz das eigentliche Symptom, das wir behandeln wollen, zeigt. Sobald die Parkinson-Patienten ihre Diagnose aufgrund von Unbeweglichkeit und Zittern bekommen, aber noch keine kognitiven Einschränkungen vorliegen, ist das der Moment, an dem wir ansetzen müssen, um den Eintritt der Demenz nach hinten zu verschieben. Dafür nutzen wir einen Antikörper, der genau das Eiweiß abfangen soll. Er wird über eine intravenöse Infusion verabreicht.     

"Für mich ist es von Anfang an wichtig, den Betroffenen mit Ehrlichkeit zu begegnen, damit sie ihre Erkrankung verstehen."

Wieviel Zeit würde man gewinnen, bis die Demenz einsetzt?

Das ist tatsächlich eine der noch nicht zu beantwortenden Quiz Fragen, es gibt noch keine Daten. Unsere Studie ist die weltweit erste Studie, die sich überhaupt zum Ziel gesetzt hat, die Parkinson-Demenz schon in der Prodromalphase, also in der Vorphase, zu behandeln.

Wie hoch der Anteil der Patienten, die unter der Variante leiden?

In Deutschland sind es ca. 10 Prozent aller Parkinson-Patienten.  

Wie erleben Sie die Parkinson-Patienten, die oft so ein tragisches Schicksal haben?  

Die Situation ist natürlich belastend, gerade am Anfang. Die erste Frage nach der Diagnose lautet immer: Wo stehe ich in fünf oder zehn Jahren? Werde ich einen Rollstuhl brauchen, wann brauche ich Pflegehilfe? Werde ich geistige Einschränkungen haben und wann? Für mich ist es von Anfang an wichtig, den Betroffenen mit Ehrlichkeit zu begegnen, damit sie ihre Erkrankung verstehen. Und damit sie wissen, was sie auch selbst dazu beitragen können, um den Verlauf zu beeinflussen. Es gibt sehr gute Studien, die belegen, dass 20 bis 30 Minuten Bewegung oder Sport täglich den Langzeitverlauf von Parkinson positiv beeinflussen. Ebenso Balanceübungen, Kreuzworträtsel und soziale Interaktionen. Wichtig ist, dass man damit zu Beginn der Erkrankung anfängt, um die vielen gesunden Anteile im Gehirn weiter zu stärken.        

Was tun Sie für sich als Ausgleich zu Ihrer Arbeit?

Im Sommer bin ich immer zum Schwimmen im Freibad, und meinen Urlaub verbringe ich gern beim Wandern, mit dem Rucksack von Hütte zu Hütte. Ein gesunder Lebensstil ist mir wichtig. Ich spiele gern Gesellschaftsspiele, auch als Rollenspiele. Das macht einfach Spaß. 

Was ist Ihr liebstes Brainfood?

Heidelbeeren! Sie sind entzündungshemmend und antioxidativ, puffern also die Giftstoffe ab, die sich in den Nervenzellen anlagern. Außerdem schmecken sie einfach gut.

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung  

Das Interview hat dich zum Nachdenken angeregt? teile es