Interview mit Prof. Heinz Beck und Prof. Anja Schneider
Es ist wichtig, auch unkonventionelle Forschung zu fördern
Der Bonner Standort im Hertie Network of Excellence in Clinical Neuroscience wird von Prof. Heinz Beck und Prof. Anja Schneider vertreten. Im Interview erklären die beiden, warum moderne Forschung ohne Vernetzung nicht möglich ist und warum naturwissenschaftliche Grundlagenforschung und behandelnde Medizin eng zusammenarbeiten müssen. Das Hertie Network fördert diese interdisziplinäre und translationale Zusammenarbeit in besonderem Maß.
Wie wichtig ist Vernetzung in der Wissenschaft?
Vernetzung ist in mehrerer Hinsicht wichtig. Besonders relevant ist, dass Forschung zunehmend eine hohe Zahl sehr aufwendiger Technologien benötigt, die von Einzelpersonen und -laboren nicht mehr entwickelt werden können. Es wird deshalb immer wichtiger, im Kontext großer Nutzernetzwerke zu arbeiten und Technologien und Analyseverfahren im Open-Source-Raum in einer Community zu entwickeln und zu nutzen. Das sind zum Teil sehr große, internationale Netzwerke mit großer Reichweite, die in Zukunft noch wichtiger werden.
In wissenschaftlicher Hinsicht ist Vernetzung natürlich ebenfalls wichtig – diese Tatsache ist für sich genommen fast banal. Ein interessanter Aspekt an der Vernetzung ist – besonders bei jungen und kleinen Forschungsgruppen – die Begrenzung der Interaktionskapazität. Kleine Gruppen können – etwas abhängig von ihrer spezifischen Ausrichtung - maximal 5-10 echte Kooperationen eingehen, zu denen sie substantiell beitragen, vermutlich die meisten erheblich weniger. Insofern ist die interessante Frage nicht, ob Vernetzung wichtig ist. Vielmehr ist die wichtigste Frage, wie Vernetzung so gestaltet werden kann, dass die produktivsten und wissenschaftlich interessantesten Kooperationen möglich sind.
Was hat Sie am Hertie Network überzeugt, warum machen Sie mit?
Das Hertie Network ist generell eine sehr wichtige Förderinitiative für begabte Nachwuchswissenschaftler und forschende Ärzte. Diese Förderung ist besonders wichtig, weil krankheitsrelevante Forschung ohne Forschungspersönlichkeiten, die sowohl in Grundlagenforschung als auch Klinik hochkompetent sind, langfristig nicht gelingen kann. Gleichzeitig wird es zunehmend schwieriger - gerade im klinischen Bereich -die Anforderungen in der Patientenversorgung mit Forschung zu verbinden. Umgekehrt gilt das für die translationale Forschung von nicht-ärztlichen Wissenschaftlern.
Forschende Ärzte und translational forschende Wissenschaftler mit diesem Profil sind selten, und die Hürden für Karrieren sind nicht unbeträchtlich. Um so notwendiger wird es, diese Personen und deren Karrierewege in der klinisch-neurologischen Forschung zu unterstützen. In der Tat ist die Rückmeldung unserer Fellows, dass sie von der Förderung und dem interdisziplinären Austausch in diesem Netzwerk enorm profitieren.
Was schätzen Sie bei der Kooperation am meisten?
Zu sehen, wie sich junge klinisch Forschende im Netzwerk miteinander beschäftigen und Ideen entwickeln, die so sonst nicht entstanden wären. Und natürlich das Gefühl, etwas für junge herausragende Talente tun zu können.
Wo sehen Sie die deutsche Forschung im internationalen Vergleich? Wo ist Verbesserungsbedarf?
Hier ist sicher nicht der Platz für eine umfassende Forschungsevaluation des Standorts Deutschland. Generell muss man festhalten, dass es viele Aspekte am deutschen System gibt, um die uns befreundete Wissenschaftler aus anderen Ländern in Europa oder Nordamerika beneiden. Dazu gehört ein gut finanziertes und insgesamt sehr gut funktionierendes System der Forschungsförderung, gut finanzierte Großforschungseinrichtungen, und viele gut ausgebaute Modalitäten zur Etablierung von Nachwuchsgruppen. Wir sehen auch sehr viele, sehr kreative und ideenreiche junge Wissenschaftler ‚nachkommen‘.
Zwei Punkte könnte man herausgreifen: Erstens ist es so, dass zunehmend Kombinationen von hochkomplexen Methoden sowohl im Naßbereich als auch in der Analyse für kompetitive Forschung notwendig sind. Das führt dazu, dass Forschende, die nicht auf ein System zurückgreifen können, das ihnen einen Technologievorteil verschafft und ‚cutting-edge‘ Technologien bereitstellt, nicht mehr kompetitiv sein werden. Dies gilt ganz besonders für Forschung im klinisch-neurowissenschaftlichen Grenzbereich mit seinen sehr hohen Anforderungen an Nachwuchswissenschaftler. Hierfür wäre es notwendig, stetig Technologieentwicklung und Coreplattformen an den Universitäten weiter zu entwickeln. Es braucht hier Dauerstellen von technologieaffinen Wissenschaftlern, die sich diesem Ziel verschreiben. Eine gute Maßnahme wäre es daher, Entwicklung im Hochtechnologiebereich mit der Etablierung eines akademischen Mittelbaus in diesem Sektor zu verknüpfen.
Zweitens ist es wichtig, vermehrt unkonventionelle, und/oder riskobehaftete Forschung zu fördern. Auch wenn klar ist, dass die Auswahl aussichtsreicher Projekte in diesem Bereich besondere Schwierigkeiten birgt: Hier ist mir manchmal nicht nur das deutsche System zu konventionell.
"Die Nachwuchsförderung im Hertie Network ist besonders wichtig, weil krankheitsrelevante Forschung ohne Forschungspersönlichkeiten, die sowohl in Grundlagenforschung als auch Klinik hochkompetent sind, langfristig nicht gelingen kann."
Wie ist es um den Nachwuchs bestellt?
Die Nachwuchsförderung ist im deutschen und europäischen Rahmen sehr gut. Die Vielzahl der Programme, die sich an junge Talente in der Wissenschaft richtet und ihnen die Etablierung einer eigenen Nachwuchsgruppe erlaubt, ist durchaus beeindruckend. Nachbessern sollten wir bei den darauffolgenden Perspektiven für erfolgreiche junge Wissenschaftler. Hier sind die langfristigen Perspektiven auf eine akademische Professur auch für erfolgreiche junge Gruppenleiter für die nächsten 10-20 Jahre noch nicht ausreichend.
Ein wichtiger Aspekt ist die Interdisziplinarität – wir ermuntern unseren Nachwuchs immer intensiver zum interdisziplinären Arbeiten. Die traditionelle fächerbasierte Drittmittelevaluation und Rekrutierungspraxis muss sich in den nächsten Jahren mit diesen Nachwuchskandidaten positiv auseinandersetzen, und dieser Überschreitung von Fächergrenzen Rechnung tragen.
Was würden Sie den Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern mit auf den Weg geben wollen?
Sich – trotz der vielen Belastungen und Anforderungen an die Zeit – ab und zu für ein bis zwei Tage in Ruhe zurückzuziehen und darüber nachzudenken: Was ist mein übergreifendes, erkenntnisleitendes Interesse, für das ich stehen möchte? Ist die Ausrichtung meiner Arbeitsgruppe, meine Zeitaufteilung, meine Methodenentwicklung damit noch konsistent?
Wie bringt man naturwissenschaftliche Grundlagenforschung und behandelnde Medizin zusammen?
Im Gehirn ist diese Frage in letzter Konsequenz gedacht eine sehr große. Wir behandeln Patienten mit ZNS Erkrankungen in der Regel mit Medikamenten, die einen molekularen Wirkort haben. Wir möchten damit auf der Ebene von Krankheitssymptomen eine Besserung herbeiführen (also z.B. die Besserung einer Bewegungsstörung, eines kognitiven Defizits). Um wirklich zu verstehen, wie die Therapie funktionieren muss, müssen wir daher versuchen, den Bogen von der Ebene des Proteins bis zum Verhalten/Krankheitssymptom zu spannen. So ein skalenübergreifendes Verständnis ist in den Neurowissenschaften der heilige Gral.
Wir brauchen daher die neurowissenschaftliche Grundlagenforschung, um ganz generell ein fundamentaleres Verständnis von Hirnfunktion zu erlangen. Parallel braucht es – aus diesem skalenübergreifenden Denken heraus – klinisch-grundlagenwissenschaftliche Forschung, die versucht, den State of the Art in den Neurowissenschaften in die klinische Domäne zu bringen. Netzwerke wie das Hertie Network sind da sehr wichtig – hier gibt es eine Austauschplattform, die genau das versucht. Es haben sich in den vergangenen drei Jahre viele fruchtbare interdisziplinäre Kollaborationen entwickelt.
Welche Projekte bearbeiten Sie und Ihr Team momentan? Welche wollen Sie in Angriff nehmen?
Wir sind besonders interessiert an Mechanismen von Gedächtnis und Kognition im Nagergehirn und benutzen eine Palette von Methoden von zellulärer Physiologie hin zu in-vivo Imaging in wachen Tieren. Im Krankheitskontext arbeiten wir an Epilepsie und bearbeiten Fragen wie: Warum sprechen viele Epilepsiepatienten nicht auf Antiepileptika an? Was sind die Mechanismen für kognitive Defizite bei Epilepsien? Was sind Mechanismen für Netzwerkübererregbarkeit bei verschiedenen fokalen und genetischen Epilepsien?
Mit welchem Schwerpunkt bringt sich Ihr Standort in das Hertie Network ein?
Generell ist ein besonderes Merkmal des Bonner neurowissenschaftlichen Standorts die krankheitsrelevante Grundlagenforschung. Unser Standort hat einerseits krankheitsspezifische Schwerpunkte. So ist Bonn der Hauptstandort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) mit den Bereichen Grundlagenforschung, Klinische Forschung, Populationsforschung, Systemmedizin. Ein Schwerpunkt des Bonner Standorts sind deshalb Neurodegenerative Erkrankungen, die auch in der Klinik für Neurologie und der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie am UK Bonn eine wichtige Rolle spielen.
Ein weiterer krankheitsspezifischer Schwerpunkt sind die Epilepsien, mit dem größten europäischen Epilepsiezentrum um die Universitätsklinik für Epileptologie, und einem Forschungsinstitut (Institute für Experimentelle Epileptologie und Kognitionsforschung).
Besonderes Kennzeichen des Standorts ist aber auch die organ- und systemübergreifende Betrachtung neurologischer Erkrankungen. Hier sind besonders die neuroimmunologischen Interaktionen (mit dem Exzellenzcluster Immunosensation und dem Schwerpunkt Immunopathogenese und Inflammation) und zunehmend neurovaskuläre Mechanismen (mit der Neugründung des Instituts für Neurovaskuläre Zellbiologie) im Blickfeld.
Eine besondere Herausforderung in den Neurowissenschaften allgemein ist die enorme Menge an multimodalen Daten aus dem Bereich tiefer Verhaltensphänotypen, Daten und hochauflösenden neuronalen Aktivitätsmessungen. Dieser Herausforderung begegnet Bonn mit einer zunehmenden Interaktion mit Theoretikern, Computerwissenschaftlern und Mathematikern. Zur Beförderung dieser Interaktionen sind in Bonn transdisziplinäre Forschungsbereiche zur spezifischen Unterstützung transfakultärer und fachübergreifender Forschung geschaffen worden.