Interview anlässlich des Jubiläums 175 Jahre Paulskirche, Mai 2023
Unser Grundgesetz ist ein absolutes Erfolgsmodell
Vor 175 Jahren trat in der Frankfurter Paulskirche erstmals die Deutsche Nationalversammlung zusammen und ebnete den Weg zu unserem heutigen Grundgesetz. Demokratie, Freiheit, Grundrechte und Debatte bilden seitdem das Fundament unserer Verfassung und müssen von jeder Generation aufs Neue verstanden, bewahrt und gelebt werden. Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung hat deshalb gemeinsam mit der Stiftung Polytechnische Gesellschaft 600 Schülerinnen und Schüler eingeladen, um das Jubiläum „175 Jahre Deutsche Nationalversammlung“ gebührend in der Frankfurter Paulskirche zu feiern. Die Festveranstaltung „Jugend für Demokratie“ am 23. Mai moderiert Susanna Naumer (17), Bundessiegerin aus dem Jahr 2021 von Jugend debattiert. Was die Frankfurter Schülerin mit dem historischen Jubiläum verbindet, wie es ihrer Ansicht nach heute um die Demokratie steht – und mit welchem Politiker sie gern mal ein Eis essen würde, lesen Sie in diesem Interview.
In der Paulskirche eine Veranstaltung zu moderieren, ist für eine Schülerin sicher nicht alltäglich – sind Sie schon aufgeregt?
Ich würde lügen, wenn ich es abstreiten würde. Vor jeder Veranstaltung, auf der man vor Publikum spricht, ist natürlich Aufregung dabei. Aber mich motiviert das eher, mich besonders intensiv vorzubereiten. Dazu gehört die Faktenrecherche, aber ich möchte mich auch ein bisschen in den Geist der damaligen Zeit versetzen, um überzeugend präsentieren zu können.
Der Veranstaltungstitel lautet „Jugend für Demokratie – 175 Jahre Paulskirche – eine Livedebatte“. Worum geht es genau?
Vor 175 Jahren tagten in der Paulskirche die Mitglieder des ersten gesamtdeutschen Parlaments, um über eine freiheitliche Verfassung und die Bildung eines deutschen Nationalstaats zu beraten. Dieser Frankfurter Nationalversammlung verdanken wir die „Paulskirchenverfassung“, den Grundrechtskatalog, die Anfänge des Parteienwesens und der modernen parlamentarischen Debatte. Die Paulskirche symbolisiert somit wie kein anderer Ort in Deutschland die Tradition einer demokratischen und freiheitlichen Verfassung. Mit unserer Veranstaltung wollen wir zeigen, inwieweit dieser Weg, den die Nationalversammlung geebnet hat, nicht nur für unsere Gesellschaft relevant ist, sondern vor allem auch für uns als Jugendliche, die diese demokratische Tradition weitertragen wollen.
"Dass unsere Demokratie lebendig ist, erleben wir in unserem Alltag, beispielsweise durch Projekte wie Jugend debattiert, oder wenn wir im Schulunterricht oder auf der Straße völlig frei über Wirtschaft und Politik diskutieren können. Global gesehen ist das keine Selbstverständlichkeit. "
Wie setzen Sie diesen Aspekt im Programm um?
Frankfurter Oberstufenschülerinnen und -schüler aus den Demokratieprojekten Junge Paulskirche und Jugend debattiert haben die Festveranstaltung gemeinsam vorbereitet und gestaltet. Es wird zum Beispiel eine Jugend debattiert-Schaudebatte zum Thema „Sollen im Deutschen Bundestag Quoten eingeführt werden“ geben und eine Podiumsdiskussion mit hochkarätigen Gästen zu den Umbruchjahren 1848, 1949 und 1989. Außerdem stellen Schülerinnen und Schüler exemplarisch drei Debatten zum Memorandum der Jungen Paulskirche 2022/2023 vor.
Was verbinden Sie als junger Mensch mit dem 175. Jubiläum der Nationalversammlung?
Für mich ist das Jubiläum in besonderer Weise bedeutsam, da ich seit acht Jahren auf ein Gymnasium gehe, das nach Heinrich von Gagern benannt ist, der 1848 Präsident der Frankfurter Nationalversammlung war. Man könnte also fast schon sagen, dass ich persönliche Verbindungen habe. Und natürlich sehe ich in der Nationalversammlung einen wichtigen Grundstein für die demokratischen Errungenschaften in unserem Land. Zum anderen ist so ein Festakt auch ein Weckruf, denn die Frankfurter Nationalversammlung konnte gerade mal ein Jahr existieren, weil es damals Kräfte im Deutschen Bund gegeben hat, die diese Idee, dass tatsächlich das Volk die Politik bestimmt und nicht irgendwelche monarchischen Eliten, untergraben wollten. Das zeigt uns nochmal für die heutige Zeit, wie wichtig Engagement und Eintreten für eine Demokratie sind.
Ist dieses Bewusstsein in Ihrer Generation präsent - oder doch eher die Ausnahme?
Sehr präsent, und durch die außenpolitischen Entwicklungen, die wir im vergangenen Jahr alle verfolgt haben, ist noch mal ganz eindrücklich geworden, wie sehr die Demokratie unter Druck steht. Wenn man sich jetzt noch vor Augen hält, dass bevölkerungsstarke Länder wie China autoritär sind, dann kommt man recht schnell darauf, dass eben nur ein geringer Teil der Weltbevölkerung tatsächlich freie Lebensumstände genießen kann. Als junge Generation haben wir das verstanden. Dass unsere Demokratie lebendig ist, erleben wir außerdem in unserem Alltag, beispielsweise durch Projekte wie Jugend debattiert, oder wenn wir im Schulunterricht oder auf der Straße völlig frei über Wirtschaft und Politik diskutieren können. Global gesehen ist das keine Selbstverständlichkeit.
Sie dürfen mit 17 Jahren in Hessen noch nicht wählen, während in anderen Bundesländern 16-Jährige ihre Stimme abgeben. Ärgert Sie das?
Nein. Demokratisches Engagement bedeutet nicht nur, dass ich wähle, sondern auch, dass ich meine Meinung äußern kann. Auch unsere Veranstaltung in der Paulskirche bezieht die Jugend konkret ein, so dass sie im demokratischen Diskurs mitmischen kann. Es gibt viele Möglichkeiten für Minderjährige, sich zu engagieren, zum Beispiel in der Schülervertretung. Außerdem finde ich es richtig, dass ich erst mit 18 Jahren wählen darf, da ich erst als Volljährige als mündig und geschäftsfähig gelte, und somit verantwortlich für mein Handeln bin. Wählen bedeutet eben auch, Verantwortung zu übernehmen, und nicht nur, über etwas abzustimmen.
Gibt es eigentlich etwas, was Ihnen im Grundgesetz fehlt?
Unser Grundgesetz ist für mich ein absolutes Erfolgsmodell. Gerade weil es so einfach und klar ist, und dennoch eine große Schlagkraft hat. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ lautet Artikel 1, und damit kann jeder etwas anfangen, egal, ob er Jura studiert hat oder nicht. In diesem Duktus werden unsere Grundrechte formuliert, und ich hätte die Befürchtung, dass neue Absätze oder Ergänzungen den Inhalt verwässern könnten. Der Blick auf das Wesentliche könnte verloren gehen.
Sie sind Bundessiegerin 2021 von Jugend debattiert, von welchen Erfahrungen profitieren Sie am meisten – auch jetzt vor der Moderation?
Das fängt schon bei der Recherche an: Durch Jugend debattiert habe ich gelernt, in welchen Quellen ich seriöse Fakten finden kann. In Zeiten von Fake News ist das besonders wichtig. Zum anderen lernt man bei Jugend debattiert, vor einem größeren Publikum überzeugend zu sprechen. Also darauf zu achten, wie ein Wortbeitrag aufgebaut und präsentiert wird, so dass er das Interesse weckt und hält. Das wird mir in der Paulskirche helfen. Und dann geht es natürlich darum, sprachlich präzise zu formulieren, und dem Publikum eine komplexe Thematik, auf die ich mich ja nun wochenlang vorbereite, verständlich darzulegen. Die Zeit bei Jugend debattiert und dieses Handwerkszeug sind für mich einfach Gold wert, ob als Moderatorin, in der Schule oder in meinem privaten Alltag. Ich habe außerdem so viele interessante und tolle Menschen durch Jugend debattiert kennengelernt, mit denen ich mich regelmäßig austausche, so dass ich mich durch dieses Netzwerk sehr unterstützt fühle.
Womit beschäftigen Sie sich sonst noch in Ihrer Freizeit?
Ich habe mich kürzlich im Fitnesscenter angemeldet und betreibe Kraftsport, außerdem bin ich ein großer Fan von Action-Filmen wie „Mission Impossible“ oder „James Bond“. Ich lese auch gern, am liebsten Thriller wie „Blackout“ von Marc Elsberg. Am liebsten treffe ich mich aber mit anderen Leuten, und mich auszutauschen. Das kenne ich so von zuhause. Ich habe zwei jüngere Schwestern und mit meinen Eltern diskutieren wir am Abendbrottisch über alles mögliche. Deshalb bin ich wohl auch bei Jugend debattiert gelandet.
Welche Zukunftspläne haben Sie?
Ich mache jetzt erst mal mein Abitur und werde voraussichtlich ab September ein internationales Freiwilliges Soziales Jahr in den USA absolvieren, bei einer Organisation, die sich für Völkerverständigung einsetzt. Darauf freue ich mich sehr, weil ich noch nie in den USA war. Im Wintersemester 2024 beginne ich dann mein Jurastudium. Einen konkreten Berufswunsch habe ich noch nicht, aber ich sehe mich im Spannungsfeld zwischen Recht und Politik.
Sie haben freie Auswahl: Mit wem würden Sie sich gern mal auf ein Eis treffen?
Mit Wolodymyr Selenskyj. Ich finde es beeindruckend, wie er sich vom Schauspieler ohne politischen Background zum Staatsmann entwickelt hat. Seit Kriegsbeginn spricht er jeden Tag zu den Bürgerinnen und Bürgern seines Landes. Mich würde interessieren, ob er auch mal für ein paar Minuten abschalten kann - und ob er manchmal einfach nur auf dem Sofa liegt und eine Serie schaut.
INFO Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung