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Der Job als Gründerin kostet Tamara Schenk viel Kraft und war mit vielen Terminen und Reisen verbunden, seit Jahren litt sie unter Migräne. Foto: privat
Interview mit Tamara Schenk

Die Zeit nach einem Schlaganfall gleicht häufig einer Achterbahnfahrt

Vom Leben auf der Überholspur, den Schlaganfall und dem Kampf zurück in die Normalität.
Gehirn erforschen

Am 29. Oktober ist Welt-Schlaganfalltag 

Als erfolgreiche Unternehmerin („KOA“) und Netzwerkerin lebte Tamara Schenk (33) ein Leben auf der Überholpur - bis ein schwerer Schlaganfall sie beim Mittagessen in Südafrika vor zehn Monaten ausbremste. Seitdem kämpft sich die Berlinerin tapfer zurück ins Leben und lässt die Welt auf ihrem Instagram-Blog daran teilhaben. Das Interesse ist riesig, vor allem bei jungen Menschen. Warum es Tamara Schenk so wichtig ist, über ihren Schlaganfall aufzuklären, welche Pläne sie hat, und woher sie ihre Kraft nimmt, erzählt sie uns in ihrem ersten Interview seit der lebensbedrohlichen Hirnblutung, die den Schlag auslöste.

Ihr Schlaganfall ist jetzt zehn Monate her - wie geht es Ihnen heute?

Die Zeit nach einem Schlaganfall gleicht häufig einer Achterbahnfahrt, das geht nicht nur mir so: Es gibt wirklich sehr gute Tage, an denen man denkt, man könnte Bäume ausreißen, und dann gibt es diese Tage, an denen nichts läuft, alles scheint blockiert zu sein. Aber im Moment geht es mir sehr gut. Ich freue mich auf meine zweite Reha in Hannover und bin gespannt, wie „mein“ Team in der Klinik meine Fortschritte einschätzen wird. Man selbst nimmt die Entwicklung ja oft nicht so wahr wie Außenstehende. 

Welche Einschränkungen haben Sie zurzeit noch?

Meine rechte Körperhälfte spüre ich nur zu 40 bis 45 Prozent, und das Gehen ist auch noch etwas wackelig. Außerdem kann ich mit meiner rechten Hand kaum schreiben oder tippen, das fällt mir schwer, auch wenn ich fleißig übe. Aber wenn ich sehe, wie bewegungslos ich direkt nach dem Schlaganfall war, erkenne ich eine enorme Verbesserung. Damals konnte ich nichts: Nicht gehen, nicht sprechen, teilweise war ich erblindet. Meine ganze rechte Seite war bewegungslos, so dass meine Mutter mich füttern musste. Alles musste ich neu lernen, und ich bin noch lange nicht wieder die Alte. Aber heute kann ich zum Glück wieder flüssig sprechen, mich allein anziehen, selbstständig essen, duschen und meinen Alltag verrichten. Zu etwa 80 Prozent bestimme ich selbst, was mein Köper machen soll.    

Welche Erinnerung haben Sie an den 27. Dezember 2021, als der Schlaganfall Sie traf?

Ich war damals mit meinem Partner in Südafrika und wir saßen mit Freunden beim Lunch. Danach wollten wir zu einem Konzert gehen, auf das ich mich sehr gefreut hatte, und weswegen ich überhaupt mit zum Essen gegangen war. Eigentlich ging es mir an dem Tag nicht gut. Ich hatte Kopfschmerzen, wie ich sie bisher nicht kannte, obwohl ich Migräne-Patientin bin. Ich fühlte mich so, als wäre ich von allem abgetrennt und nicht in meinem Körper zuhause. Ganz merkwürdig. Dennoch bin ich über dieses Unwohlsein hinweggegangen, dachte mir: „Das wird schon wieder, ich komme mit“, so wie es wohl viele Menschen tun, die es gewohnt sind, die Alarmsignale ihres Körpers zu ignorieren. Plötzlich fiel mir bei Tisch die Gabel aus der rechten Hand, mehrmals. Ich hatte keine Kontrolle über meine rechte Körperhälfte und dachte noch: „Hä, wieso funktioniert die nicht?“ Mein Partner und unsere Freunde haben mich noch angeguckt, als ob etwas Schlimmes passiert wäre, dann war ich weg. Sie haben mich sofort ins Auto gelegt und sind in die Klinik gerast. Mir war auch das Gesicht entglitten, und allen war gleich klar, dass ich einen Schlaganfall gehabt haben muss, und dass die Zeit drängt. Aufgewacht bin ich vier Tage später auf der Intensivstation.      

Wie ging es weiter?

Ich lag im künstlichen Koma, darüber weiß ich aber nichts mehr. Später sagte man mir, dass ich einen ziemlich großen so gennannten hämorrhagischen Schlaganfall hatte, weil ein Gefäß in meinen Kopf geplatzt und viel Blut ausgetreten war. Ich konnte es kaum fassen. Niemals zuvor hatte ich mich mit dem Thema beschäftigt, dachte, ein Schlaganfall würde eher alte Menschen treffen, so wie meine Oma vor einigen Jahren. Ich war gerade 32 Jahre alt, hatte zwei Jahre zuvor ein eigenes Unternehmen gegründet, KOA - ein Karrierenetzwerk für Frauen. Wir waren dabei, in Berlin ein Festival vorzubereiten, es lief super an - und nun diese Vollbremsung. Aber der Alptraum ging ja noch weiter: Ich wurde nach insgesamt acht Tagen noch in Kapstadt in die Reha verlegt, doch ein Tag später spürte ich, dass es mir nicht gut geht - und plötzlich war ich wieder weg. Als ich aus dem Koma aufwachte, lag ich erneut auf der Intensivstation.

Was war passiert?  

Mein Gehirn war angeschwollen, was wohl relativ häufig passiert und lebensgefährlich ist. Damit der steigende Druck das Hirn nicht an die Schädeldecke quetscht, überlegten die Ärzte, mich zu operieren, aber sie befürchteten Komplikationen. Stattdessen entschieden sie, mir weiterhin Medikamente gegen die Schwellung zu geben - und mich hinzusetzen: Ich musste von dort an 25 Tage und Nächte im Sitzen verbringen, also auch aufrecht schlafen. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens. Ich durfte nur eine Stunde am Tag Besuch bekommen, mein Handy nicht benutzen, konnte nur südafrikanisches TV gucken. Ich habe mich unendlich einsam gefühlt, denn es gab niemanden, der mir erklären konnte, was es eigentlich bedeutet, einen Schlaganfall zu haben, und wie ich damit umgehen soll. Damals habe ich mir geschworen, mit meinem Fall an die Öffentlichkeit zu gehen, um andere Betroffene und ihre Angehörigen zu unterstützen. Ich möchte ihr Sprachrohr sein, weil ich weiß, wie wichtig es vor allem für junge Schlaganfall-Patienten ist, von jemandem ihrer Generation möglichst viel über diese Erkrankung zu erfahren. Und das am besten über Kanäle, die junge Menschen auch erreichen. Mein Instagram-Video, in dem ich erstmals über meinen Schlaganfall berichtete, wurde mittlerweile mehr als 1,5 Millionen Mal angesehen. Der Bedarf ist also da. Neulich schrieb mir eine junge Frau, dass sie ihre Mutter sofort in die Klinik gebracht hatte, weil sie Schlaganfall-Symptome zeigte - diese kannte sie aus meinen Videos. Ich habe danach nur geheult, so bewegt war ich, dass meine Geschichte doch noch etwas Gutes bewirken konnte. Zum Glück verlief bei mir am Ende auch alles relativ positiv: Die Schwellung im Hirn ging zurück und ich konnte nach über vier Wochen in Südafrika direkt in das International Neuroscience Institute nach Hannover geflogen werden, wo für etwa drei Monate die Anschlussbehandlungen stattfanden.

Wer hat Ihnen in der schlimmen Zeit zur Seite gestanden?

Meine Familie, mein Partner und meine Freunde haben immer daran geglaubt, dass ich wieder gesund werde, oder es zumindest behauptet, und mir damit Mut gemacht. Meine Mutter hat in der Klinik teilweise auf dem Boden der Toilette geschlafen, weil sie mich wegen meiner Ängste nicht allein lassen wollte. Mein Freund hat mir ein neues Handy gekauft, in dem nur die Kontakte der engsten Freunde waren, und hat allen gesagt, dass nur positive Themen besprochen werden dürfen. Überragend war auch mein Geschäftspartner von KOA, der mit dem besten Team der Welt dafür gesorgt hat, dass das Unternehmen weiterlief. KOA ist auf Hawaii das Wort für „Krieger“ und diese Bedeutung hat mich nach dem Schlaganfall massiv motiviert, denn unsere Firma will Frauen dabei unterstützen, ihren Träumen zu folgen, und genau den Job zu finden, der sie erfüllt und zu ihnen passt. Ich erlebe mich heute auch als „Kriegerin“, denn ich kämpfe darum, mein Leben zurückzuerobern und gesund zu werden. Dafür starte ich jeden Tag um 7 Uhr und absolviere einen festen Plan, der aus Physiotherapie, Ergotherapie, Psychoneurologie und Pilates besteht. Es macht mir Spaß, auch wenn es oft anstrengend ist, aber ich habe nie eine Sekunde daran gezweifelt, dass ich es schaffen kann. Das ist auch meine Botschaft an andere Betroffene: Gib Dich nie auf, sei eine Kriegerin oder ein Krieger! Das Leben ist zu kostbar.

Was machen Sie seit dem Schlaganfall bewusst anders?

Ich habe mehr „Me-Time“, also mehr Pausen. Heute entscheide ich nur noch zu meinen Gunsten. Wenn ich müde bin, gehe ich schlafen, egal was ansteht. Und ich kann Aufgaben auch mal abgeben, ich muss nicht alles selbst erledigen. Es gibt nichts Wichtigeres als die eigene Gesundheit, das habe ich schmerzhaft gelernt. Der Schlaganfall war wie ein Weckruf: In der Zeit vorher hatte ich sehr viel Stress, ein Unternehmen zu gründen, kostet Kraft.   Dann kam noch Corona, und unser Festival lag auf Eis. Als es wieder anlief, hatte ich sehr viele Termine, auch abends: hier eine Einladung, dort eine Vernissage - es ging nur darum zu funktionieren. Kein Wunder, dass ich unter Migräne litt. Durch den Schlaganfall musste ich akzeptieren, dass mein Körper laut „NEIN!“ sagt, und dass ich meine Grenzen respektieren muss und darf.  Heute verbringe ich viel Zeit mit den Therapien, aber gleichzeitig bin ich auch sehr glücklich - es klingt absurd, aber ich bin durch diese Grenzerfahrung dichter an mich herangerückt, ich lerne immer mehr, was ich brauche und will - das setzt eine Kraft frei, die mich beflügelt, und mit der ich anderen Betroffenen eine Hilfe sein möchte.

Welchen Rat haben Sie für Schlaganfall-Betroffene und ihre Angehörigen?

Gib nie auf, auch wenn es mal nicht so gut läuft, und sehe Dich nie als Opfer, das bist Du nicht. Ich werde auch irgendwann wieder auf der Bühne stehen, das weiß ich. Die Fortschritte sind nicht immer sofort erkennbar, aber es gibt sie. Der Weg ist lang, nimm Dir nicht zu große Ziele vor, gehe in kleinen Schritten und sei stolz auf das, was Du heute geschafft hast. Für Angehörige gilt: Seid geduldig, verliert nie den Glauben an die Genesung, ermutigt den Betroffenen immer wieder, damit er auch weiter an sich glauben kann. Und bitte: Behandelt Schlaganfall-Patienten nicht so, als wären sie schwer von Begriff. Nur weil wir mit einem beschädigten Sprachzentrum nicht die Worte finden, heißt das nicht, dass wir euch nicht verstehen. Sprecht in einem normalen Tempo mit uns. Ich war teilweise so wütend, weil ich dachte: „Warum redest Du so komisch mit mir? Ich bin doch nicht bescheuert!“. Heute ist es mir wichtig, die Stimme für die Betroffenen zu sein. Allen anderen möchte ich ans Herz legen: Geht nicht über eure Grenzen hinweg, wenn es euch nicht gut geht. Legt auch mal das Handy zur Seite, verbringt Zeit mit Freunden und Familie und achtet auf eure Gesundheit, das ist die beste Vorsorge, auch gegen Schlaganfall.

"Kann Stress einen Schlaganfall auslösen?"

3 Fragen an Prof. Dr. Matthias Endres, Direktor der Klinik für Neurologie und Experimentelle Neurologie an der Charité in Berlin und einer der Standortsprecher des Hertie Network of Excellence in Clinical Neuroscience. 

Was ist ein hämorrhagischer Schlaganfall? 
Grundsätzlich unterscheiden wir zwei Arten von Schlaganfall: den hämorrhagischen und den ischämischen. Der hämorrhagische Schlaganfall ist eine Hirnblutung, bei der ein Gehirngefäß zerreißt, und es zu Einblutungen in das Gehirngewebe kommt. Etwa 15 Prozent aller Schlaganfälle sind Hirnblutungen. Häufiger ist der ischämische Schlaganfall oder auch Hirninfarkt, der durch einen Gefäßverschluss ausgelöst wird. Beide Schlaganfall-Formen sind Notfälle und müssen umgehend medizinisch versorgt werden. 

Welche Rolle spielt Stress als Auslöser für einen Schlaganfall?  
Stress allein ist nie der Auslöser für einen Schlaganfall, aber er kann die Entstehung begünstigen. Absolut gesehen sind Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen, insbesondere das Vorhofflimmern, die größten Risikofaktoren. Ein hämorrhagischer Schlaganfall (Hirnblutung) wird vor allem durch langanhaltenden Bluthochdruck begünstigt, so dass eher ältere Menschen um die 70 Jahre davon betroffen sind, weil ihre Blutgefäße über die Jahre Schaden genommen haben. Stress kann bei ihnen zu Bluthochdruckspitzen führen, so dass es dann zu einer Hirnblutung kommen kann. Erleidet ein junger und bisher gesunder Mensch eine Hirnblutung, steckt häufig eine anlagebedingte Ursache dahinter, wie zum Beispiel eine Gefäßmissbildung wie ein Blutgefäßknäuel, das dann einblutet. Es gibt auch kleine Blutschwämmchen, die familiär gehäuft auftreten, und zu Einblutungen neigen. Auch der Riss eines Aneurysmas, einer ballonartigen Aussackung in der Blutgefäßwand, kann eine Hirnblutung auslösen, dann handelt es sich aber um eine sogenannte Subarachnoidalblutung, also eine Einblutung in die Hirnhäute.  Ein ischämischer Schlaganfall (Hirninfarkt) ist meist Folge von chronischen Gefäßerkrankungen, bei der zum Beispiel Ablagerungen wie Kalk das Gefäß von innen einengen. Außerdem gelten Bluthochdruck, Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel als Risikofaktoren für einen Hirninfarkt. 

Stimmt der Eindruck, dass immer mehr junge Menschen einen Schlaganfall bekommen? 
Hier muss man unterscheiden, ob es sich um einen anlagebedingten oder einen erworbenen Schlaganfall handelt - und was überhaupt „junge Menschen“ bedeutet.
Beim Schlaganfall spricht man üblicherweise unterhalb der Altersgrenze von 55 Jahren von jüngeren Schlaganfallpatienten. Das Durchschnittsalter von Schlaganfallpatienten liegt bei über 70 Jahren, es ist also statistisch vor allem eine Erkrankung des hohen Alters. Wenn hingegen Babys, Kinder oder junge Erwachsene bis etwa 25 Jahren einen Schlaganfall bekommen, ist die Ursache dafür häufig anlagebedingt, wie z.B. durch strukturelle Herzerkrankungen oder Gerinnungsstörungen, also schicksalhaft. Ich gehe deshalb nicht davon aus, dass die Zahlen dieser sehr jungen Schlaganfallpatienten gestiegen sind. Anders ist es bei den erworbenen Ursachen von Schlaganfällen. Dort zeigen Studien, dass es eine Zunahme von Schlaganfällen bei nicht mehr ganz so jungen Menschen gibt, vor allem in der vierten und fünften Lebensdekade. Der Grund ist die Häufung der klassischen Gefäßrisikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel, die wir bei den unter 50-Jährigen beobachten. Auch wenn der Schlaganfall eine Erkrankung des hohen Alters ist, ist er bei jungen Menschen inzwischen keine Seltenheit mehr. Zudem ist die Aufmerksamkeit für die Erkrankung gestiegen, und wir haben z.B. mit hochauflösender Bildgebung viel bessere Möglichkeiten, auch kleinere Schlaganfälle zu diagnostizieren.

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung  

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