HIH Ulf Ziemann
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Prof. Dr. Ulf Ziemann forscht am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen zu den Themen neurovaskuläre Erkrankungen und Neuroimmunologie. Foto: Ingo Rappers
Interview mit Prof. Dr. Ulf Ziemann

Hinter Aphasie liegt immer eine Grunderkrankung

Aufgrund einer diagnostizierten Aphasie beendete Bruce Willis vor Kurzem seine Schauspielkarriere. In unserem Interview sprechen wir mit dem Neurowissenschaftler Prof. Dr. Ulf Ziemann über die Ursachen und Therapiemöglichkeiten der erworbenen Sprachstörung.
Gehirn erforschen

Hollywood-Actionstar Bruce Willis (67) beendete vor Kurzem seine Schauspielkarriere . Er habe „einige gesundheitliche Probleme erlebt“, und vor kurzem sei bei ihm „eine Aphasie diagnostiziert worden, die seine kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt“, ließ seine Familie wissen. Zu den Ursachen der Erkrankung ist nichts weiter bekannt. Über die Fragen, was eine Aphasie überhaupt ist und welche Ursachen sowie Therapie-Möglichkeiten  es gibt, reden wir mit Prof. Dr. Ulf Ziemann, Leiter der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt neurovaskuläre Erkrankungen am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen.

Was ist eine Aphasie genau?

Eine Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung, die als Symptom auf eine verminderte Leistungsfähigkeit des Gehirns hinweist. Es gibt also immer eine dahinterliegende Grunderkrankung. Wir unterscheiden zwischen vier wesentlichen Typen der Aphasie: Bei der Broca-Aphasie (motorische Aphasie) haben die Betroffenen Schwierigkeiten mit der Spontansprache, sie reden meistens wie im Telegrammstil in unvollständigen Sätzen und haben Probleme, die richtigen Worte zu finden. Für die Wernicke-Aphasie (sensorische Aphasie) ist das gestörte Sprachverständnis charakteristisch: Die Betroffenen verstehen Gesprochenes so gut wie gar nicht. Ihr Redefluss ist überschießend mit vielen falschen oder lautlich entstellten Wörtern, so dass am Ende eher ein Kauderwelsch herauskommt. Bei der amnestischen Aphasie sind Wortfindungsstörungen kennzeichnend. Die schwerste aphasische Störung ist jedoch die globale Aphasie, bei der Spontansprache und Sprachverständnis so schwer beeinträchtigt sind, dass eine Verständigung kaum noch möglich ist. Hinzu kommen noch einige Unterformen der Aphasie, die eher selten sind. 

Hertie-Institut für klinische Hirnforschung

Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen ist eines der bundesweit größten und modernsten Zentren zur Erforschung neurologischer Erkrankungen. Mehr Informationen dasrüber finden Sie auf der Projektseite.

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Welche Ursachen haben Aphasien?

In etwa 80 Prozent der Fälle ist ein Schlaganfall die Ursache einer Aphasie. Aber auch ein Schädelhirntrauma oder ein Hirntumor kann eine Sprachstörung auslösen, beides kommt aber selten vor. Dann gibt es noch die große Gruppe der neurodegenerativen Erkrankungen, die zu Aphasien führen können. Vor allem aus dem Formenkreis der Frontotemporalen Demenz, die schon frühzeitig und isoliert zu Sprachstörungen führen können. Die Primär Progressive Aphasie (PPA) ist so eine Störung. Die Patienten haben Wortfindungsstörungen, Probleme bei der Objektbenennung und zunehmende kognitive Leistungseinbußen. Am Ende steht die Demenz. Es handelt sich also um einen schleichenden Prozess, anders als eine Aphasie nach Schlaganfall, dort treten die Symptome sofort auf. Wenn wir nun auf Bruce Willis zurückkommen, fällt auf: Der Schauspieler sollte in diesem Jahr mit dem Schmähpreis „Goldenen Himbeere“ ausgezeichnet werden, weil er 2021 gleich in acht Filmen mit seiner Leistung nicht wie gewohnt überzeugen konnte. Die Auszeichnung wurde einen Tag nach Veröffentlichung der Diagnose aus Respekt vor dem erkrankten Bruce Willis vom Veranstalter annulliert. Retrospektiv würde ich sagen, dass der Leistungsabbau damals schon ein Hinweis auf eine zu diesem Zeitpunkt bereits laufende Erkrankung war, die sich 2022 weiterentwickelt hat. Sehr wahrscheinlich liegt bei Bruce Willis eine neurodegenerative Erkrankung als Ursache für die Aphasie zu Grunde. Sein Alter von 67 Jahren ist für diese Gruppe der Frontotemporalen Demenzen nicht ungewöhnlich, sie beginnen im Schnitt zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr. 

Welche Therapien gibt es bei Aphasien? 

Da gibt es leider nicht so viele Möglichkeiten. Seit vielen Jahrzehnten ist die Logopädie die Grundlage der Aphasie-Therapie, also vor allem intensives Sprach- und Sprechtraining. Ansonsten gibt es Bemühungen, das Sprachnetzwerk des Gehirns extern durch die so genannte Transkranielle Magnetstimulation (TMS) zu modulieren, um die Sprachfähigkeit der Erkrankten zu verbessern. Das geschieht mit Hilfe einer Reizspule, die am Kopf des Patienten befestigt wird. Es gibt eine Reihe von Studien, die zeigen, dass einzelne Patienten mit Broca-Aphasien nach Schlaganfall von der TMS sehr profitieren. Am Hertie-Institut forschen wir dazu und am Uniklinikum Tübingen führen wir deutschlandweit die bisher erste TMS-Hochschulambulanz in der Neurologie. Dort behandeln wir mittlerweile eine Reihe von Patienten und Patientinnen mit Aphasien nach Schlaganfall. Für die Demenz - und wohl auch für Bruce Willis - gibt es bisher keine kausale Aphasie-Therapie, die in den neurodegenerativen Prozess eingreifen könnte. Aber es wird weltweit sehr intensiv daran geforscht.

Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung 

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