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Interview mit Dr. Michael Wenzel

Exzellente Forschung braucht zeitlichen Freiraum und Vertrauen

Dr. Michael Wenzel im Interview über seinen Weg in die translationale Hirnforschung und die Bedeutung von Vertrauen und Geduld für exzellente Forschung.
Gehirn erforschen

Was hat Sie dazu bewegt, in die translationale Hirnforschung zu gehen?

Konkret bewegte mich dazu die Neurointensivmedizin am Universitätsklinikum Großhadern in München. Dort versorgten wir rund um die Uhr schwer kranke Patienten mit state-of-the-art medizinischen Verfahren, dennoch blieben unsere Möglichkeiten teils begrenzt. Das lag auch daran, dass viele fundamentale Fragen zu neurologischen Erkrankungen trotz vieler Jahrzehnte intensiver Forschung unklar geblieben sind. In meinem Fall konkretisierte sich dies immer wieder am Beispiel des Status epilepticus. Vereinfacht stellt dies einen dauerhaften Anfall dar, der oft selbst mit intensivmedizinischen Mitteln nicht unterbrochen werden kann. So entschied ich mich für einen Post-Doc an der Columbia University in New York, wo ich epileptische Anfälle mittels modernster Intravitalmikroskopie im lebenden Gehirn erforschen konnte.

"Auch wenn wir den Umständen trotzend in den letzten Jahren erstaunlich zusammengewachsen sind, bleibt für mich die persönliche Interaktion auf vielen Ebenen die gewinnbringendste Kommunikationsform."

Einfach erklärt: Woran arbeiten Sie momentan? Was wollen Sie damit erreichen? 

Epilepsie ist eine Netzwerkerkrankung, bei welcher zumeist eine lokale Fehlkommunikation zwischen Hirnzellen zu Anfällen führt. Meine Gruppe versucht, diese epileptischen Mikronetzwerke im lebenden Gehirn mit Hilfe zellulär auflösender Mikroskopie und elektrischen Messungen zu verstehen. Ziel ist es, Antworten darauf zu finden, wie ein Anfall beginnt und endet, welche zellulären Mechanismen die Anfallsausbreitung regeln und warum sich ein Anfall in einem Fall über das Gehirn ausbreitet, im anderen nicht. Die Beantwortung dieser Fragen ist fundamental wichtig für die Identifikation neuer Therapien der Epilepsie, denn nach wie vor reagiert ein Drittel der Epilepsiepatienten unzureichend auf antiepileptische Medikamente.

Welche Rahmenbedingungen sind Ihrer Meinung nach für exzellente Forschung notwendig? 

Zuvorderst stehen für mich in diesem Zusammenhang zeitlicher Freiraum und Vertrauen. In der Grundlagenforschung braucht es oft jahrelang, bis komplexe Versuchsaufbauten etabliert sind, weshalb es unabdingbar ist, genügend Zeit für derartige wissenschaftliche Projekte zu haben. Für einen Clinician Scientist stellt dies eine besondere Herausforderung dar, weil die klinische und forscherische Arbeit miteinander koordiniert ablaufen müssen. Gerade in diesem Wechselspiel spielen Vertrauen und Geduld derer, von welchen die Umsetzung ambitionierter Forschung z.B. infrastrukturell abhängt, eine essentielle Rolle. 

Hertie Network of Excellence in Clinical Neuroscience

Das Hertie Network of Excellence in Clinical Neuroscience und die Hertie Academy of Clinical Neuroscience bilden ein einzigartiges Netzwerk zur Förderung der klinischen Neurowissenschaften.

Mehr über das Hertie Network

Was möchten Sie während Ihrer Zeit im Hertie Network noch erreichen oder erleben?

Aufgrund der Corona Pandemie fanden die Aktivitäten im Hertie Network bislang fast ausschließlich virtuell statt. Auch wenn wir den Umständen trotzend in den letzten Jahren erstaunlich zusammengewachsen sind, bleibt für mich die persönliche Interaktion auf vielen Ebenen die gewinnbringendste Kommunikationsform. Das war wieder klar zu spüren, als wir Fellows uns in einem eigens organisierten Fellows‘ Retreat zusammenfanden, um uns auszutauschen und Kollaborationen zu konkretisieren. Ich wünsche mir, dass wir in der nahen Zukunft wieder häufiger persönlich zusammenkommen können als in den letzten Jahren. 

Haben Sie ein Motto/einen Vorsatz?

Stay calm, and don’t get ahead of yourself. Et hätt noch immer jot jejange.

Update Januar 2022:
Dr. Michael Wenzel erhält mit 1,5 Mio. Euro dotierten ERC Starting Grant

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