Interview mit Dr. Dr. Randolph Helfrich
Gute Forschung braucht Freiräume
Was hat Sie dazu bewegt, in die klinische Hirnforschung zu gehen?
Im 3. Semester des Medizinstudiums sah ich zum ersten Mal den Hirnscan einer funktionellen Kernspintomografie und war fasziniert von der Möglichkeit, dem Gehirn beim Denken zuzuschauen. Im Verlauf meiner Forschungstätigkeit stellte ich jedoch fest, dass die Signale im Gehirn in erster Linie elektrisch sind und daher die Elektrophysiologie die Methode der Wahl ist, um Denkprozesse mit der nötigen zeitlichen Auflösung abzubilden.
An klinischer Hirnforschung fasziniert mich, dass wir modernste Techniken nutzen, um eigentlich ein zutiefst philosophisches Paradox zu lösen: Wir versuchen mit unserem Gehirn, das Gehirn zu verstehen. Manchmal fühlt sich dieses Problem so komplex an, dass unklar ist, ob wir unser eigenes Denkorgan jemals verstehen können. Dennoch schafft die klinische Hirnforschung es trotzdem, diesem Ziel in kleinen Schritten näher zu kommen.
"Oft wird angenommen, dass ältere Menschen einfach weniger Schlaf brauchen. Neuere Erkenntnisse legen nahe, dass ihr Schlaf störanfälliger ist und Schlafstörungen möglicherweise ein Frühsymptom einer neurodegenerativen Erkrankung darstellen."
Einfach erklärt: Woran arbeiten Sie momentan?
„Haben Sie gut geschlafen?“ – Kaum eine Frage wird bei der morgendlichen Visite im Krankenhaus öfter gestellt. Meist dient diese Frage nur dem Gesprächseinstieg, dabei wäre es wichtig, hier besonders gut zuzuhören.
Schlafstörungen sind extrem häufig und weit verbreitet. Jeder von uns hat schon einmal die Erfahrung gemacht, dass nur eine einzige unruhige Nacht direkte Beeinträchtigungen von Konzentrationsvermögen, Motivation, Aufmerksamkeitsspanne, Stimmung und Gedächtnisleistung nach sich ziehen kann. Deshalb ist es wenig überraschend, dass auch die meisten neurologischen und neuropsychiatrischen Erkrankungen mit Schlafstörungen einher gehen. Allerdings ist dies ein klassisches ‚Henne-Ei-Problem’: Sind diese Schlafstörungen eine Folge von neuropsychiatrischen Erkrankungen oder tragen sie kausal zu ihrer Entstehung bei? Das Gleiche gilt für Schlafstörungen im Alter – oft wird angenommen, dass ältere Menschen einfach weniger Schlaf brauchen. Neuere Erkenntnisse hingegen legen nahe, dass ihr Schlaf störanfälliger ist und Schlafstörungen möglicherweise ein Frühsymptom einer neurodegenerativen Erkrankung darstellen.
Leider ist der Zusammenhang zwischen Schlaf, kognitiver Funktion und Krankheitsentstehung unzureichend verstanden. Dabei ist gerade ein besseres Verständnis der zugrundeliegenden Physiologie dringend notwendig, um bessere Therapieverfahren entwickeln zu können. Bisher sind typische ‚Schlafmittel’ vor allem Sedativa, welche den Patienten ruhigstellen, aber keinen physiologischen Schlaf fördern. Dies führt oft zu einem Teufelskreis zwischen schlechtem Schlaf und verstärkter Schlafmitteleinnahme, welcher schließlich in physischer Abhängigkeit ohne direkten Nutzen für den Patienten resultiert.
Was wollen Sie damit erreichen?
Ich möchte besser verstehen, wie das Gehirn sich selbst organisiert. Insbesondere nachts im Schlaf ist das Gehirn sich selbst überlassen. Aber es ist bei weitem nicht untätig – im Gegenteil: Es hat Mittel und Wege gefunden, sich weiter mit den Eindrücken des Tages auseinander zu setzen.
Gerade wegen dieses positiven Einflusses von Schlaf auf unsere Kognition brauchen wir ein besseres Verständnis von Schlaf im Alter; auch in Anbetracht einer immer älter werdenden Bevölkerung. Auch Schichtarbeit, besonders Nachtschichten wie bei Klinikpersonal üblich, resultiert in Veränderungen von natürlichen Schlafzyklen und erhöht das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Brauchen wir daher eine bessere Vorsorgediagnostik, um diese Effekte von Schlafentzug besser abzufedern? Kinder brauchen relativ gesehen zu Erwachsenen mehr Schlaf. Ergibt es daher Sinn, dass sie bereits früh morgens in der Schule sein müssen, wenn ihre Lernleistung wahrscheinlich noch nicht optimal ist? Kann Schlaf als eine Art „Gesundheitsversicherung“ dienen? Schon heute wissen wir, dass besserer Schlaf das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen senkt, Übergewicht verhindert und die Immunantwort auf Infektionen verbessert; kann dieses Potential auch für neurodegenerative Erkrankungen genutzt werden?
Welche Rahmenbedingungen sind für exzellente Forschung notwendig?
Forschung ist ein kreativer Beruf und Kreativität lässt sich nicht erzwingen. Daher braucht gute Forschung Freiräume: Nicht nur physischen Raum im Sinne von Laborplatz, sondern auch Zeit, um ohne Druck neue Ideen entwickeln zu können, und finanziellen Spielraum, um auch unorthodoxe, neue Wege gehen zu können. Gerade bei gleichzeitigen klinischen Verpflichtungen oder Einbindung in Lehre ist es wichtig, Freiräume zu schaffen, um auch einfach mal etwas auszuprobieren.
Außerdem ist gute Forschung selten eine Leistung eines einzelnen Forschers, sondern entsteht meist durch die Interaktion mit anderen Wissenschaftlern, die nachhaken, Ideen beisteuern und einen frischen Blickwinkel mitbringen. Gerade in den Neurowissenschaften werden Durchbrüche nicht in einer Fachdisziplin erzielt, sondern brauchen das Zusammenspiel von Medizinern und Naturwissenschaftlern. Daher ist eine stimulierende und kooperative Umgebung mindestens genauso wichtig wie die idealen Voraussetzungen für einen einzelnen Forscher.
"Die Hertie Academy liefert genau die Rahmenbedingungen, die gute Forschung ausmachen."
Hertie Network of Excellence in Clinical Neuroscience
Das Hertie Network of Excellence in Clinical Neuroscience und die Hertie Academy of Clinical Neuroscience bilden ein einzigartiges Netzwerk zur Förderung der klinischen Neurowissenschaften.
Was erhoffen Sie sich von der Hertie Academy?
Die Hertie Academy liefert genau die Rahmenbedingungen, die gute Forschung ausmachen: Zeitlicher Spielraum im Rahmen einer Freistellung, finanzieller Freiraum durch die Förderung sowie der Austausch mit Gleichgesinnten. Meine bisherigen Erfahrungen bezüglich dieser Interaktion mit anderen Wissenschaftlern im Bereich Klinische Neurowissenschaften waren bereichernd – gerade, weil die Hertie Academy viele junge Forschende zusammenbringt, die sich in einer ähnlichen Phase ihrer wissenschaftlichen Karriere befinden und sich im Rahmen der Academy auf Augenhöhe begegnen und austauschen können.
Welche Wissenschaftlerin/welchen Wissenschaftler aus Vergangenheit oder Gegenwart würden Sie gerne einmal treffen und warum? Oder lieber jemand anderes, außerhalb des Wissenschaftskosmos'?
Hans Berger zeichnete als erster die elektrischen Gehirnströme eines Menschen auf und entdeckte die prominenten neuronalen Rhythmen, die wir heute als Oszillationen kennen. Gerne würde ich ihn dazu befragen, wie er die Entwicklungen in der Forschung zum Thema neuronale Oszillationen in den letzten Jahren bewerten würde.
Haben Sie ein Motto/einen Vorsatz?
Kein direktes Motto, aber ich habe begeistert viele Bücher von Agatha Christie gelesen, die dort Hercule Poirot des Öfteren auf die kleinen grauen Zellen verweisen lässt: “It is the brain, the little gray cells on which one must rely. One must seek the truth within – not without."
Der perfekte Tag – wie sieht der für Sie aus?
Mein perfekter Tag beginnt mit einer Tasse gutem Cappuccino, bei dem ich in Ruhe einige interessante Paper lesen kann und an dem ich keine weiteren Verpflichtungen habe, als den neuen Ideen nachzugehen. Mittags dann vielleicht eine kurze Wanderung durch den Schönbuch oder Richtung Schwäbische Alb, gegen Abend mit Freunden musizieren und gemeinsam kochen – das wäre ein ziemlich fantastischer Tag.
Was ist Ihr liebstes Brainfood?
Pasta in jeder Form.