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Ronja Völk, Foto: privat
Interview mit Ronja Völk

Der Neuro-Blog ist unser Beitrag gegen Fake News in der Hirnforschung

Wie kommuniziert man Wissenschaft zeitgemäß? Darüber sprechen wir mit Ronja Völk, Naturwissenschaftlerin und Autorin des Blogs HIRN UND WEG.
Gehirn erforschen

Verändert Meditation die Hirnstruktur? Was passiert bei Hitze im Kopf? Und wie reagiert das Gehirn auf zu viel Limonade? Darum geht es auf HIRN UND WEG, dem Neuro-Blog der Hertie-Stiftung. Seit Mai 2021 ist die Seite auf der scilogs-Plattform des Verlags Spektrum der Wissenschaft am Start. Ronja Völk (27) war für mehr als ein Jahr Mitglied der HIRN UND WEG-Redaktion. In unserem Interview erzählt die Naturwissenschaftlerin, warum gute Wissenschaftskommunikation so wichtig ist, wie sie ihren ersten Shitstorm erlebte – und wer ihr großes Vorbild in Sachen Hirngesundheit ist.  

Was ist das Ziel des Neuroblogs?

Der Blog soll vor allem ein junges Publikum für das Gehirn und die Neurowissenschaften begeistern, indem er in spannenden Beiträgen über das Gehirn und seine Themenvielfalt informiert. Gleichzeitig geht es darum, Wissenschaft in leicht verständlicher Sprache zu vermitteln und komplexe Inhalte unterhaltsam und lebensnah zu vermitteln. Die Leserinnen und Leser sollen Spaß daran haben, die Beiträge zu lesen und interessante Fakten über das Gehirn, seine Fähigkeiten, Prozesse und Erkrankungen erfahren.

Warum haben Sie sich für die Mitarbeit beworben, als der Blog gegründet wurde?

Ich mag Wissenschaftskommunikation und ich schreibe gern. Als ich die Ausschreibung der Hertie-Stiftung für den neuen Neuroblog gesehen habe, merkte ich sofort: das passt perfekt zu mir. Als ich dann angefangen habe für den Blog zu schreiben, war es einfach toll, auch ein Feedback auf meine Artikel zu bekommen. Ich habe zum Beispiel einen Eintrag über ADHS bei Erwachsenen geschrieben. Viele Menschen glauben ja, dass Kinder ADHS haben, und es sich im Alter „rauswächst“. Heute weiß man:  Das auffälligste Symptom - die Hyperaktivität - lässt bei vielen Kindern mit dem Alter nach, doch Unaufmerksamkeit und Impulsivität bleiben bei 60 bis 80 Prozent weiterhin bestehen. In meinem Text habe ich versucht, die Erwachsenen-ADHS nicht als Krankheit zu betiteln, sondern eher akzeptierend, also dass Menschen eben unterschiedlich sein können. Dafür habe ich von den Leserinnen und Lesern viele positive Rückmeldungen bekommen, was mich sehr gefreut hat.

Welche Ausbildung haben Sie?

Ich habe zunächst meinen Bachelor in pharmazeutischer Biotechnologie gemacht und dann in Heidelberg meinen Master in molekularer Biotechnologie. Heute arbeite ich als Medical Writer bei einem Pharmaunternehmen in Ulm. Das war auch der einzige Grund, warum ich mit dem Neuroblog-Job aufgehört habe. Die Nachwuchsförderung der Hertie-Stiftung für die Blog-Arbeit bekommt man nur während der Ausbildung, also dem Studium. Ich selbst habe während des Masterstudiums anderthalb Jahre für den Blog geschrieben, und es war eine lehrreiche Zeit. Angefangen haben wir zu viert. Aktuell schreiben drei Studierende der Medizin und eine Studentin der Neurowissenschaften für den Blog. Ich fände es allerdings sehr schön, wenn ich weiterhin in der Wissenschaftskommunikation tätig bleiben könnte. Ich rede gerade mit den jetzigen Autoren des Neuroblogs darüber, wie wir zusammen ein kleines Projekt umsetzen können.

Wer sind Ihre Leserinnen und Leser?

Hauptsächlich erreichen wir junge Erwachsene. Das ist auch unsere primäre Zielgruppe. Gerade die Jüngeren landen über den Hertie-Instagram-Kanal @neuro.logisch auf unserem Blog. Über den Web-Browser kommen eher Leser ab 50 Jahren auf die Seite. Die sind natürlich auch herzlich willkommen.    

"Es ist wichtig, bereits jungen Menschen die Fakten aus der Hirnforschung möglichst einfach zu vermitteln, aber dennoch zu versuchen, die Komplexität des Ganzen zu zeigen."

Wie finden Sie Ihre Themen?

Es gibt so ein paar Dinge, die mich im Laufe meines Lebens immer schon interessiert haben, wie zum Beispiel Künstliche Intelligenz, psychische Störungsbilder oder auch das Déjà-vu. Die habe ich auf einer Themen-Liste notiert und nacheinander abgearbeitet. Inspiriert hat mich auch das Büchlein „The Brain in Minutes“, in dem Grundideen der Neurologie erklärt werden. Es ist eine gute Fundgrube für Ideen, die ich dann umfangreicher aufgearbeitet habe. Einmal habe ich allerdings ein Thema bearbeitet, dessen Theorie seit 2018 veraltet war, da konnte ich meine ganze Recherche in die Tonne kloppen.

Welche Herausforderungen gibt es noch bei der Neuroblog-Arbeit?

Sich zu überlegen, wie man gut und richtig recherchiert; also welche Quellen ich zum Beispiel nutzen möchte oder sollte. Ich selbst habe den Anspruch, dass die Dinge, über die ich schreibe, richtig und überprüfbar sind. Dafür habe ich mir zunächst einen groben Überblick über das Thema verschafft und dann in soliden Quellen recherchiert. Dadurch war für mich persönlich auch das Zeitmanagement herausfordernd: Ich habe damals studiert und „nebenbei“ an meiner Masterarbeit geschrieben und im Labor gearbeitet. Das war manchmal viel. Mir hat es letztendlich geholfen, die Stundenzahl aufzuschreiben, die ich für bestimmte Aufgaben brauche, und dann genau zu planen, so dass ich wusste: Heute Abend muss ich noch zwei Stunden arbeiten und am Samstag nochmal vier, und dann habe ich meinen Beitrag fertig.

Warum ist Wissenschaftskommunikation im Neuro-Bereich wichtig?

Viele Menschen neigen dazu, sich die Dinge einfach zu machen und in Boxen einzuordnen, wenn sie einmal etwas gehört haben. Ich habe zum Beispiel relativ viel über psychische Störungsbilder geschrieben. Da haben die Leute oft Bilder aus dem Fernsehen vor Augen, wie ihrer Meinung nach jemand mit ADHS oder Autismus ist. Das merken wir an den Kommentaren. Wenn man sich aber mit dem Thema beschäftigt, weiß man, wie vielseitig es ist, und dass es sich nicht mit einer Antwort erklären lässt. Deshalb ist es wichtig, bereits jungen Menschen die Fakten aus der Hirnforschung möglichst einfach zu vermitteln, aber dennoch zu versuchen, die Komplexität des Ganzen zu zeigen. Wissenschaftskommunikation leistet hier einen wichtigen Beitrag. Wie relevant sie ist, haben wir ja im Zusammenhang mit Corona mehrfach erlebt. Dort kann zum Beispiel Unwissenheit über die Relevanz des Maskentragens oder auch gezielte Desinformation über das Virus die öffentliche Meinung so stark beeinflussen, dass es sogar zu einer Spaltung in der Gesellschaft kommt. Faktenbasierte Wissenschaftskommunikation, die jeder versteht oder an bestimmte Zielgruppen angepasst ist, kann dem entgegenwirken. Das ist heutzutage in einer Gesellschaft, die immer stärker polarisierende Meinungen vertritt, besonders wichtig. Der Neuroblog ist unser Beitrag gegen Fake News in der Hirnforschung.

Hatten Sie schon mal einen Shitstorm nach einem Blog-Beitrag?

Und wie! Ich hatte geschrieben, wie das Corona-Virus ins Gehirn gelangt. Das passiert über den Riechnerv, und ich hatte die Erkenntnisse, die wir nach einem Jahr Pandemie hatten, zusammengetragen. Mehr nicht. Was folgte, waren Kommentare von Leuten, die mich der Lüge bezichtigten, weil es das Corona-Virus in ihren Augen gar nicht gäbe. Gleichzeitig ging sofort die Impfdiskussion los, obwohl ich das Thema gar nicht angesprochen hatte. Es war erschreckend zu lesen, was die Menschen zum Teil für ihre Realität halten. Aber auch, wie massiv ich angegangen wurde. Das hat mich schon überrascht.

Wie sind Sie mit der Situation umgegangen?

Ich bin ruhig geblieben. Wenn sich die Leute über das Impfen aufregen möchten oder nicht, können sie das tun. Über die Attacken habe ich mich mit meinen Schreibkollegen ausgetauscht und auch der Redaktionsleitung mitgeteilt, welche Reaktionen ich bekommen habe. Wir haben den Umgang damit besprochen und entsprechende Kommentare nicht veröffentlicht. Über die Hass-Kommentare zu reden, hat mir sehr geholfen und mich beruhigt. Es gibt eben Menschen, die gern ihre Meinung im Internet lesen und verbreiten. Das hat nichts mit mir persönlich zu tun.

Welcher Irrglaube über das Hirn hält sich Ihrer Meinung nach besonders hartnäckig?

Viele Menschen nehmen an, dass man als Kind mit bestimmten Charaktereigenschaften und einer bestimmten Intelligenz geboren wird, und dass sich das Gehirn unabhängig davon entwickelt. So ist es nicht. Unsere Erlebnisse und Fähigkeiten können unser Gehirn im Laufe unseres Lebens strukturell verändern.  

Zum Guten und zum Schlechten?

Vermutlich ja. Alles funktioniert, wie in einem Kreis: Dadurch, dass wir bestimmte Dinge lernen, verändert sich unser Gehirn und dadurch können wir wieder andere Dinge lernen. Alles beeinflusst sich gegenseitig. Man ist nie fertig, sondern hat die Möglichkeit, sich ständig ganz bewusst weiterzuentwickeln. Ganz nach dem Motto: Neues zu lernen und zu erleben, verändert das Gehirn. Das war jetzt ein Plädoyer für das Lebenslange Lernen.   

HIRN UND WEG

Der Neuro-Blog der Hertie-Stiftung leistet einen Beitrag zur Förderung von Wissenschaftskommunikation und zum besseren Verständnis des Gehirns, seiner Funktionsweise und seiner Erkrankungen.

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Was fasziniert Sie am Gehirn am meisten?

Mich fasziniert diese unglaubliche Komplexität. Dazu habe ich mal einen Artikel verfasst: Wenn man das Gehirn kartografieren würde, also jede einzelne Nervenzelle samt der Nebensynapsen aufklappen und aufzeichnen, würde man mehr Daten generieren als im Moment in der ganzen Welt gespeichert sind. Diese Komplexität finde ich total spannend, und sie sieht auch noch sehr schön aus: Ich habe in meinem Wohnzimmer ein Bild an der Wand, das einen Mäuse-Hippocampus zeigt, der mit der so genannten Brainbow-Technik in den Farben des Regenbogens eingefärbt wurde. Der Hippocampus ist ein Teil des Gehirns, sozusagen das „Tor zum Gedächtnis“ und an Lernprozessen beteiligt. Auf der Aufnahme sieht man die einzelnen Neuronen, und wie sie sich zusammenfügen. Ich schaue es gern an.

Was tun Sie persönlich, damit Ihr Hirn gesund bleibt?

Mein Lebensmotto ist, dass ich immer versuche, allen Menschen, Lebensstilen und Ideen gegenüber neugierig und offen zu bleiben, denn unser Gehirn wird mit der Zeit ja etwas steifer und braucht Abwechslung. Meine Schwiegeroma ist mir dabei ein großes Vorbild: Sie ist über 80 Jahre alt, und hat sich mit 75 ihr erstes Tattoo stechen lassen, einen kleinen Schmetterling. Sie hat ihren Geburtstag in den USA gefeiert, im Kino den Herr-der-Ringe-Marathon angesehen, der fast neun Stunden dauert, und sie lässt sich die Hardrock-Musik ihrer Enkel auf CD brennen, damit sie weiß, was die jungen Leute beschäftigt. Sie ist so ein offener Mensch, unglaublich fit und strotz vor Lebensfreude. So möchte ich auch alt werden irgendwann.    

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung  

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