Interview mit Edeltraud Fasshauer
Ich bin neugierig auf das was kommt und versuche mich auf die Zukunft einzustellen.
Mit 72 Jahren ist sie noch immer aktiv, engagiert sich ehrenamtlich, genießt die Stunden mit ihrer Familie und verreist gemeinsam mit ihrem Mann: Edeltraud Fasshauer ist für viele MS-Erkrankte ein Vorbild, eine beratende Ärztin, eine einfühlsame Zuhörerin und eine starke Frau, die das Leben so nimmt, wie es ist. Als junge Mutter und engagierte Ärztin bekam sie mit Anfang dreißig die Diagnose Multiple Sklerose. Ein großer Schock, aber Edeltraud Fasshauer ging offen damit um und gründete 1987, gemeinsam mit ihrem Mann und anderen Betroffenen die erste staatlich anerkannte Gruppe für MS-Betroffene in Halle. Bis heute betreut sie ehrenamtlich einen monatlichen Gesprächskreis, um ihre Erfahrungen weiterzugeben und Menschen zu motivieren, die eigene Krankheit anzunehmen. Nach der Wende war sie Gründungsmitglied der DMSG, Landesverband Sachsen-Anhalt und bis 2018 Vorsitzende des Landesbeirates MS-Erkrankter (LBMSE). Seit 2003 ist sie Vorsitzende des Bundesbeirates MS-Erkrankter (BBMSE) und Beisitzerin des DMSG-Bundesverbandes. Beruflich war Edeltraud Fasshauer bis 2007 als Leitende Oberärztin der Onkologischen Abteilung im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle tätig. In unserem Gespräch haben wir sie gefragt:
Bis heute engagieren Sie sich ehrenamtlich für MS-Betroffene. Was motiviert Sie dabei besonders?
Ich hoffe, dass mein jahrzehntelanger Kampf um ein selbst bestimmtes Leben trotz chronischer Erkrankung nicht umsonst war. Mit meiner ehrenamtlichen Arbeit möchte ich Menschen motivieren, ihre Krankheit anzunehmen, sie sensibilisieren, sich gut zu informieren, das eigene Leben zu verändern und sich nicht nur auf Medikamente zu verlassen. Viele neue Medikamente sind zugelassen worden, deren höhere Wirkung auch stärkere Neben- oder Langzeitwirkungen verursachen. Daher ist es wichtig, dass Betroffene MS als chronische Krankheit annehmen und sich umfassend über alle Behandlungsoptionen informieren. Zu unserem Gesprächskreis kommen immer wieder neu an MS-Erkrankte und deren Angehörige. Viele sind erstaunt, dass ich nach über vier Jahrzehnten MS noch laufen kann. Da sehe ich mich als Vorbild, denn die Angst ist groß, einmal auf Hilfsmittel wie einen Rollstuhl angewiesen zu sein.
Wann haben Sie die besten Ideen?
In meinem Berufsleben war ich am kreativsten, wenn ich gefordert wurde. So ist es bis heute: Ich habe die besten Ideen, wenn es eben nicht so hinplätschert, sondern hoch her geht.
In der DDR Selbsthilfe zu initiieren, hat viel Kraft gekostet. Aber mein Mann und ich haben nicht resigniert, sondern haben Stück für Stück mit angepackt.
Was tun Sie, wenn Sie sich was Gutes tun wollen?
Ich ziehe mich zurück und lasse das Telefon liegen. Ich lese Bücher, höre Musik, treffe mich mit Freunden oder schaue einfach nach unserem Garten. Auf jeden Fall ist meine Familie mein größtes Glück. Die Gespräche mit unseren Kindern und den fünf Enkelkindern tun uns gut. Mit allem, was ich erlebt habe – meiner Karriere als Oberärztin, die MS-Erkrankung, mein ehrenamtliches Engagement, das Leben in zwei unterschiedlichen politischen Systemen und meine Familie – hoffe ich, Vorbild für die nächste Generation zu sein.
Was können Sie besonders gut?
Auf Menschen zugehen, ihnen zuhören, Wissen vermitteln und auch verantwortungsbewusst „den Stab“ bzw. meine Ämter weitergeben. Vergangenes Jahr habe ich den Vorsitz des LBMSE Sachsen-Anhalt abgegeben und im Herbst 2019 kandidiere ich nicht mehr für den Vorsitz des BBMSE. Mir ist wichtig, dass meine Arbeit weitergeführt wird, natürlich kann es anders sein, als ich es gemacht habe. Die weitere Entwicklung begleite ich aus der Ferne und freue mich über die gelingende Gremienarbeit meiner Nachfolger.
Auf was sind sie stolz?
Ich bin stolz darauf, dass es mir gelungen ist, Beruf, Familie und meine chronische Erkrankung gut miteinander vereinbart zu haben. Mein Mann und unsere Kinder haben mir dabei sehr geholfen, an der Krankheit nicht zu verzweifeln. Seit Mitte der 80er Jahre habe ich mich dann ehrenamtlich engagiert, da es in der damaligen DDR für MS-Erkrankte keine laienverständliche Literatur über MS, geschweige Beratungsangebote gab. In diesem System Selbsthilfe zu initiieren, hat viel Kraft gekostet. Aber mein Mann und ich haben nicht resigniert, sondern haben Stück für Stück mit angepackt.
Haben Sie einen Lieblingsort?
Nach der Wende stand uns die Welt offen. Wir sind dann viel gereist und haben vor allem die USA erkundet, zumal unsere beiden Kinder zu Studienaufenthalten dort waren und wir Verwandte in Kalifornien haben. Das war eine tolle Sache und ich bin froh, dass wir das gemacht haben. Davon zehre ich heute noch. Jetzt, wo ich nicht mehr so mobil bin, erkunden wir Deutschland und Europa. Noch immer sind wir neugierig auf das, was noch kommt.
MenSchlich - kreativ und engagiert rund um MS
Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung engagiert sich sowohl in der Erforschung von Nervenerkrankungen wie Multipler Sklerose als auch in der Unterstützung von Betroffenen. In der Rubrik MenSchlich erzählen wir die Geschichten der Menschen rund um MS.
Wie tanken sie Kraft?
Mich trägt meine christliche Grundeinstellung. Mir macht es Freude, mich für Menschen einzusetzen. Positive Rückmeldungen motivieren mich zusätzlich.
Haben Sie ein Motto?
Das halbvolle Glas sehen und nicht das halbleere! Ich mag auch den Spruch von Selma Lagerlöf: Das Glück im Leben hängt von den guten Gedanken ab, die man im Leben hat.
Perfekter Tag?
Mein Mann ist seit fünf Jahrzehnten an meiner Seite, begleitet mich und wir reden ganz viel miteinander, stimmen uns gut ab. Wir können gemeinsam in den Tag starten, uns Ziele setzen und was Schönes machen. Da bietet die Großstadt viele Möglichkeiten. Ich habe keine ganz großen Pläne, da mein Körper mir Grenzen setzt. Wenn ich mir mal zu viel vornehme, ist mein Mann mein bestes Korrektiv.
Wen würden Sie zum Kaffee treffen?
Mit Angela Merkel würde ich gerne mal reden. Sie ist eine kluge Frau. Ich bin nicht mit allem einverstanden, aber bewundere ihre Standfestigkeit und ihr Kurshalten. Sie steht für Beständigkeit. Mich interessiert die Motivation, die hinter ihrer Haltung steht und wie sie Dinge aus der Vergangenheit heute sieht: Wie ich hat sie die DDR selbst erlebt. Vielleicht werden wir ihre Unaufgeregtheit noch vermissen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!