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Porträt Luisa Mutschler, Foto: Peter Pflaum
Interview über das medMS-Doktorandenprogramm, April 2023

Die Verknüpfung von Wissenschaft und Politik begeistert mich sehr

Mitte April startet die nächste Bewerbungsrunde für das medMS-Doktorandenprogramm der Hertie-Stiftung. Doch was ist das genau? Luisa Mutschler (23) hat als Stipendiatin daran teilgenommen. In unserem Interview erzählt sie, wie sie die Förderung erlebt hat - und warum sie sich auf den Sommer freut...
Gehirn erforschen

Die Hertie-Stiftung schreibt zweimal jährlich im Rahmen ihres medMS-Förderprogramms insgesamt bis zu zehn Stipendien für Studierende der Humanmedizin aus, die sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit mit der Erkrankung Multiple Sklerose befassen. Ab dem 15. April startet die nächste Bewerbungsrunde für das Wintersemester. Doch was steckt genau hinter dem medMS-Doktorandenprogramm? Luisa Mutschler (23) aus München hat daran teilgenommen. Wie sie die Förderung erlebt hat, was Bewerberinnen und Bewerber mitbringen sollten – und welche Pläne die politisch interessierte Doktorandin hat, erzählt sie in unserem Interview.      

Sie promovieren zur Multiplen Sklerose (MS). Warum interessieren Sie sich gerade für diese Erkrankung? 

Ich finde das Thema Immunologie, das ja auch die Autoimmunerkrankungen wie die MS beinhaltet, einfach super interessant. Vor allem, weil das Immunsystem des Menschen vermutlich eine sehr viel größere Rolle spielt als bisher angenommen. Warum werden bei der MS durch eine Fehlsteuerung des Immunsystems körpereigene Strukturen angegriffen? Diese Autoreaktivität finde ich total spannend. Gleichzeitig interessiere ich mich für Neurologie, denn wir haben noch lange nicht verstanden, wie das Gehirn genau funktioniert. Hinzu kommt, dass die MS eine Krankheit ist, die vor allem Frauen in meinem Alter betrifft. Es motiviert mich, wenigstens ein bisschen dazu beizutragen, dass sich daran etwas ändern könnte. 

"Die MS ist eine Krankheit, die vor allem Frauen in meinem Alter betrifft. Es motiviert mich, wenigstens ein bisschen dazu beizutragen, dass sich daran etwas ändern könnte."

Was hat Sie motiviert, am medMS-Doktorandenprogamm teilzunehmen? 

Begonnen hat alles mit dem Start meiner Doktorarbeit. Ich promoviere am Institut für Klinische Neuroimmunologie an der LMU München, und innerhalb unseres Instituts gibt es schon andere Stipendiatinnen und Stipendiaten der Hertie-Stiftung, die total begeistert von dem Programm und seinen Möglichkeiten berichtet haben. Nach eigener Recherche war meine Begeisterung dann noch größer. Vor allem ist das Zusammenspiel aus Gehirn erforschen und Demokratie stärken, den beiden Schwerpunktbereichen der Hertie-Stiftung, für mich so ansprechend, da ich auch politisch sehr interessiert bin. Die Verknüpfung von Wissenschaft und Politik und das Netzwerk, das daraus entstehen kann, hat mich sehr motiviert, mich zu bewerben. Als ich die Zusage bekam, habe ich mich sehr gefreut und bin seit Herbst 2021 dabei.  
 

Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Doktorarbeit genau? 

Der Titel lautet:  Einzelzell-ATAC-Sequenzierung von autoreaktiven T-Zellen im Blut und Liquor von Patienten mit Multipler Sklerose. Sehr vereinfacht lässt sich sagen, dass ich durch eine spezielle Labortechnik, der ATAC-Sequenzierung, Rückschlüsse auf die Morphologie und Funktion von T-Zellen aus dem Blut und Hirnwasser von MS-Patienten ziehen möchte, um letztendlich zu verstehen, was genau im pathogenen, also krankheitsauslösenden, Prozess der Multiplen Sklerose passiert. Ich habe das Privileg, diese Untersuchungen im Rahmen einer sehr spannenden Kohorte machen zu dürfen: Es handelt sich um Zwillingspaare, von denen ein Zwilling erkrankt ist und der andere nicht. Mittlerweile gehören mehr als 90 Paare dieser Gruppe an. Das ist sehr interessant, weil man aus Studiengründen schon automatisch eine gesunde Kontrollgruppe dabeihat.
 

Was macht das medMS-Programm für Sie aus?

Vor allem das riesige Netzwerk, das die Hertie-Stiftung hat, aber auch die vielen Angebote. Als ich die Zusage bekommen habe, hätte ich nie geahnt, was dieses Programm alles mit sich bringt. Wo fange ich an? In der Regel ist man immer zu fünft in einem Jahrgang, begleitet von Dr. Eva Koch, selbst Ärztin, die das medMS-Programm bei der Hertie-Stiftung leitet. Es findet ein ständiger Austausch statt, bei dem es viel um die Doktorarbeit geht, also um Etappenziele, langfristige Perspektiven oder auch Problemstellungen persönlicher oder beruflicher Natur. Das ist eine echte Hilfestellung. Und natürlich ist es spannend zu sehen, woran die anderen im Jahrgang forschen. Einmal im Jahr findet in Frankfurt das große Berichtssymposium statt, auf dem man sein Thema präsentiert. Ehemalige Stipendiaten und Stipendiatinnen kommen auch dazu, und wir diskutieren unsere Ergebnisse, aber auch die Doktoreltern sind eingeladen. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, sich für eine Summerschool zu bewerben, in der man über einen Zeitraum von einigen Wochen ein eigenes Projekt erarbeitet oder präsentiert. Aber auch Workshops werden angeboten. Ich war zum Beispiel auf einem Kommunikationsworkshop, das hat richtig Spaß gemacht. Und dann gibt es natürlich noch die monatliche finanzielle Unterstützung von 800 Euro über ein Jahr. Das ist wirklich eine privilegierte Situation, weil man sich komplett auf sein Forschungsprojekt konzentrieren kann.    

Gibt es ein besonderes Highlight, von dem Sie noch immer profitieren? 

Gleich zwei: Ein Highlight ist der Besuch des Europäischen MS-Kongresses ECTRIMS, den jeder Jahrgang unternimmt. Wir waren in Amsterdam, und es war sehr bereichernd, sich dort auszutauschen. Vor Ort habe ich viele ehemalige medMS-Stipendiaten erlebt, die einen Vortrag gehalten und ein Poster präsentiert haben. Es ist einfach sehr lehrreich, einen Einblick zu bekommen, woran die Welt gerade forscht; aber auch Arbeitsgruppen aus anderen Ländern kennenzulernen, die an einem ähnlichen Projekt arbeiten wie man selbst, und die man sonst wohl nie erreicht hätte. Von diesen Erfahrungen und Kontakten profitiere ich bis heute. Witzig ist auch: Zurzeit absolviere ich in Basel am Spital ein Praktikum, und gleich am ersten Tag bin ich zufällig einer Assistenzärztin zugeteilt worden, die in einem vorherigen Jahrgang von der Hertie-Stiftung gefördert wurde, und die ich beim Dinner in Amsterdam getroffen hatte. Das ist natürlich toll, wenn man jemanden aus dem Netzwerk trifft. Das können übrigens auch Menschen aus dem Hertie-Kosmos sein, die nichts mit Medizin zu tun haben. Alle medMS-Stipendiaten und -Stipendiatinnen werden in das Programm Fellows & Friends der Hertie-Stiftung aufgenommen, um eine frühzeitige Vernetzung zu fördern. In dem Rahmen war ich auch auf dem jährlichen Hertie Summit in Berlin, auf dem alle Fellows und Alumni zusammenkommen. Das war und ist mein zweites Highlight. 

Warum genau? 

Weil so viele offene und interessierte Menschen aufeinandertreffen, die alle sehr ähnliche Wertevorstellungen haben. Außerdem hatte ich die Chance, auf dem Summit 2022 gemeinsam mit den ehemaligen Stipendiatinnen Klara Eglseer und Lea Merkel, die mit mir am Institut in München promovieren, einen Workshop zum Thema Mental Health in Academia: How do we empower budding scientist? zu veranstalten. Das war eine großartige Erfahrung und hat riesigen Spaß gemacht. Wir wurden in jeder Phase unterstützt, von der Ablauf-Planung bis zum Moderationscoaching. In diesem Sommer sind wir wieder auf dem Hertie Summit und haben diesmal sogar die Ehre, die Eröffnungsveranstaltung zu gestalten. Wir sind schon eifrig dabei, Personen für unser Podium zu gewinnen. Ich freue mich schon sehr auf den Summit. 

"Es wird viel Wert darauf gelegt, welches Menschenbild man vertritt, und wie man seine Zeit außerhalb von Studium und Labor verbringt. Offenheit und Toleranz sollte man auf jeden Fall mitbringen."

Voraussetzungen für das medMS-Programm

Was sollte man mitbringen, wenn man sich für das medMS-Programm bewerben möchte?  

Echte Begeisterung für Forschung und für die Arbeit im Labor, ansonsten wird es schwer, ein gesamtes Jahr durchzustehen. Nur um an das Stipendium zu kommen, ohne eine gewisse Leidenschaft für sein Thema und die dazugehörige Arbeit, funktioniert nicht, weil es dann schnell anstrengend wird. Zudem habe ich das Gefühl, dass sich die Stiftung auch sehr für die Persönlichkeit eines Bewerbers interessiert. Es wird viel Wert darauf gelegt, welches Menschenbild man vertritt, und wie man seine Zeit außerhalb von Studium und Labor verbringt. Offenheit und Toleranz sollte man auf jeden Fall mitbringen.        
 

Nehmen Sie noch weitere Angebote der Hertie-Stiftung in Anspruch?

Ich bin politisch sehr interessiert und habe den Workshop „Wissenschaft und Politik“ mit Frau Prof. Römmele von der Hertie School besucht. Das war sehr spannend, sich gemeinsam mit 17 weiteren Politikinteressierten aus der Wissenschaft, aber unterschiedlicher beruflicher Herkunft, drei Tage in Berlin auszutauschen. Der Input hat mich noch mehr für die politische Arbeit begeistert. Immerhin schwindet das Vertrauen in die aktuell etablierte Politik und ihre Repräsentantinnen immer mehr, und faktenbasierte wissenschaftliche Kommunikation kann dazu beitragen, die gesellschaftlichen Probleme anzugehen. 

Haben Sie vor, Ihre wissenschaftliche Expertise einmal in eine gesellschaftliche Debatte einzubringen?

Auf jeden Fall. Ich glaube, dass die demokratischen Verhältnisse in Deutschland sehr davon profitieren können, wenn Politik und Wissenschaft zielorientiert zusammenarbeiten. Ich interessiere mich im Besonderen für gesundheitspolitische Themen, nicht zuletzt für die Stärkung der Forschung. Vor ein paar Wochen war ich im Headquarter der Vereinten Nationen in New York und total fasziniert von diesem Ort, der sozusagen allen Menschen gehört, und wo es keine Trennung nach unterschiedlicher Herkunft gibt. Ich kann mir gut vorstellen, mich später für Menschenrechtsthemen einzusetzen, vor allem für das Recht auf Gesundheit. Aber jetzt konzentriere ich mich erstmal darauf, im Herbst ein gutes zweites Staatsexamen zu schreiben und meine Doktorarbeit zu verfassen. Und auf die Summer School, für die ich mich im Rahmen des medMS-Programmes beworben habe. Ich würde gern auf dem Kongress der International Society of Neuroimmunology, der Mitte August in Quebec stattfindet, einen Teil meiner Daten präsentieren und mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern darüber diskutieren. 

Das klingt alles ziemlich aufregend - wie bekommen Sie in der Freizeit den Kopf frei? 

Sport und Bewegung sind für mich ein super Ausgleich zu der Kopfarbeit. Vor allem das Laufen macht mir Spaß, im Moment bereite ich mich auf meinen ersten Halbmarathon vor. Ansonsten verbringe ich noch gern Zeit mit Freunden und Familie, zum Beispiel beim gemeinsamen Spieleabend, Kochen oder einem Theaterbesuch. Langweilig wird mir jedenfalls nicht. 
 
Gibt es einen Podcast, den Sie gern hören?

Ja, die Ted Talks Daily sind meine All-time-Favourites, die sehe und höre ich unglaublich gern, weil die Vortragenden immer so begeistert von ihrem Thema sind. Und den Podcast „Ehrlich jetzt?“ der ZEIT, in dem Spitzenpolitiker und Spitzenpolitikerinnen interviewt werden, den höre ich auch gern.

Welchen Politiker oder welche Politikerin würden Sie denn gerne mal treffen?

Am allerliebsten Angela Merkel. Sie ist für mich ein Vorbild, weil sie als Wissenschaftlerin, Frau und Führungspersönlichkeit in der Politik wahnsinnig viel erreicht hat. Ich würde sie gern fragen, ob sie es wirklich für realistisch hält, dass es in unserem aktuellen politischen System für Wissenschaft und Politik eine sinnvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe geben kann. Möglicherweise hat sie einen Ratschlag für unsere Generation, die das gerade versucht umzusetzen. 
 

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung  

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