Interview mit Prof. Andrea Römmele, November 2024
Deutschland muss jetzt sicherheitspolitisch erwachsen werden
Donald Trump hat die US-Präsidentschaftswahl gewonnen und damit eine neue Ära für die USA und die internationale Politik eingeläutet. Prof. Dr. Andrea Römmele befürchtet einen Wandel hin zu autokratischen Strukturen und betont, dass Europa sicherheitspolitisch eigenständiger werden muss. Sie sieht zudem die Notwendigkeit engerer europäischer Zusammenarbeit und einer handlungsfähigen Regierung in Deutschland.
Der Republikaner Donald Trump (78) hat die Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewonnen. Was bedeutet der Machtwechsel in den USA für die Demokratie, Deutschland und Europa? Direkt nach der Wahl sprechen wir darüber mit Prof. Dr. Andrea Römmele, Vizepräsidentin der Hertie School und Politikwissenschaftlerin, die das Ereignis vor Ort in Washington beobachtet hat.
Trump und Harris lieferten sich bis zum Wahltag ein Kopf-an-Kopf-Rennen, so dass kaum jemand eine Prognose auf den Sieg wagte. Noch in der Nacht nach der Wahl steht Trump als Sieger fest. Was hat den Ausschlag gegeben?
Die Prognosen haben gesagt, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben wird, aber auch, dass eine Kleinigkeit oder ein Schwenk in die ein oder andere Richtung dem einen oder der anderen zu einem klaren Sieg verhelfen kann. Letztendlich haben die Republikaner es geschafft, ihre Leute an die Wahlurne zu bringen, Harris konnte die Demokraten in dem Maße nicht mobilisieren. Das sieht man vor allem auch, wenn man das Ergebnis mit dem aus 2020 vergleicht, also wie viele Wählerinnen und Wähler Joe Biden an die Wahlurne gebracht im Vergleich zu Harris, da ist doch ein deutlicher Unterschied.
An den Wahlkampfthemen hat es nicht gelegen - Trump und Harris haben ja sehr unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt?
Sagen wir mal so: „It's the economy, stupid” ("Es ist die Wirtschaft, Dummkopf"). Mit diesem Wahlkampf-Slogan gewann Bill Clinton 1992 die US-Präsidentschaftswahlen, und der Spruch hat auch bei dieser Wahl den Ausschlag gegeben. Der Slogan soll ausdrücken, dass es einfach nur darum geht, wie es den Wählerinnen und Wählern wirtschaftlich geht. Und obwohl die wirtschaftliche Großwetterlage in den USA anhand der Daten positiv ist, spüren es die Amerikanerinnen und Amerikaner nicht: Weil die Preise für den Einkauf im Supermarkt in den letzten Jahren enorm in die Höhe gegangen sind, das Tanken an der Zapfsäule – und Autofahren ist hier eine große Sache – ist teurer geworden, Wohnen ist teurer geworden, Häuserkauf ist teurer geworden. Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger spüren es nicht, dass die Wirtschaft gut dasteht. Es ist nicht so, dass Harris nicht darauf eingegangen wäre, aber erstens wird die wirtschaftspolitische Kompetenz bei Trump gesehen und zweitens hat Harris es zu komplex erklärt. Sie ist damit nicht durchgedrungen und Trump hat bei dem Thema einfach gepunktet.
Trump, der für verschärfte Rhetorik und autoritäre Tendenzen bekannt ist, hat mit den Republikanern auch die Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus – und kann quasi „durchregieren“. Was bedeutet das für die US-Demokratie?
Trump hat jetzt eine Carte Blanche und die Demokratie wird sich ein Stück weit zu einer Autokratie entwickeln. Das ist bereits klar im Wahlkampf erkennbar gewesen, wenn man sich Trumps - mehr oder weniger - Wahlprogramm anschaut. Das ist alles beschrieben in dem „Project 2025“ der Heritage Foundation. Trump will zum Beispiel das Justizministerium umbauen, und zwar so, dass dort nur loyale Vertreter sitzen, sodass es ihm letztendlich möglich ist, politische Gegner zu verfolgen, also den Demokraten das Leben schwerer zu machen. Er will sogenannte Deportations-Camps einführen, wo illegale Einwanderer erst hingeschickt und dann wieder des Landes verwiesen werden. Das sind schon autokratischere Züge, die wir hier sehen. Zumindest in den nächsten zwei Jahren werden wir das sehen. Danach wird ein Drittel des Senats und auch das ganze Repräsentantenhaus wieder neu gewählt, in den sogenannten Midterms. Da kann es sich wieder drehen, aber die nächsten zwei Jahre können wir einen völlig entfesselten Donald Trump erleben.
Welche Folgen wird Trumps Sieg für Deutschland und Europa haben?
Trump hat wirtschaftspolitisch einen sehr protektionistischen Kurs vorhergesagt, also praktisch wieder „America First“ mit Handelszöllen, die Deutschland ganz empfindlich treffen könnten, weil Deutschland eben Export-Weltmeister ist. Der zweite Punkt ist: Sicherheitspolitisch müssen wir jetzt erwachsen werden. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass der große Bruder Amerika es schon richten wird. Ganz im Gegenteil: Donald Trump hat ja auch im Wahlkampf mal mit dem Gedanken gespielt: „Ach, vielleicht tritt ja die USA aus der NATO aus“ - was nicht so einfach ist - aber, dass wir mehr Geld in unsere eigene Sicherheit investieren müssen, ist vollkommen klar. Ich würde sagen, auf uns kommt eine weitere Zeitenwende zu. Europa muss hier auch enger zusammenrücken und selbst für seine Sicherheit sorgen.
Wie wird es mit der Ukraine weitergehen?
Trump hat deutlich gesagt, dass die Hilfen eingestellt werden. Er hat den engen Schulterschluss mit Putin, und ich befürchte den schlimmen Fall, dass die Unterstützung wirklich zurückgeht und es einen diktierten Frieden in der Ukraine geben wird, der eben von Russland diktiert wird.
In Deutschland hat sich die Ampel gerade aufgelöst, im Januar will der Kanzler die Vertrauensfrage stellen, die Opposition drängt schon jetzt auf Neuwahlen …
Wir brauchen zügig eine handlungsfähige Regierung, die die großen Transformationsthemen - Sicherheit, Klima, Digital, Infrastruktur etc. - angeht und auch Lösungen präsentiert. Nur so können Menschen wieder Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen.
Hertie School
Die Hertie School bereitet herausragend qualifizierte junge Menschen auf Führungsaufgaben an den Schnittstellen zwischen öffentlichem Sektor, Wirtschaft und Zivilgesellschaft vor. An der staatlich akkreditierten privaten Hochschule für modernes Regieren lehren und forschen international anerkannte Wirtschafts-, Sozial- und Rechtsforschende. Im Jahr 2003 von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung in Berlin gegründet, wird die Hochschule seither maßgeblich von der Stiftung getragen.
Wie sollte sich Deutschland für die Zukunft mit einem Präsidenten Trump aufstellen, auch in Europa möglicherweise?
Sehr viel geschlossener! Sich nicht mehr im Klein-Klein verlieren, sondern in den großen Linien denken. Ob wir das jetzt wollen oder nicht, wir müssen mit dieser Regierung Trump zusammenarbeiten. Da gilt es, die Kontakte in das republikanische Umfeld zu intensivieren, weiter zu pflegen und ausbauen. Diese moralische Überheblichkeit, die wir in der ersten Amtszeit Trumps gezeigt haben, die steht uns jetzt nicht zu. Wir müssen den Fakten in die Augen schauen. Er ist gewählt, und Trump hat ja nicht nur die Präsidentschaftswahl gewonnen, er hat den Kongress hinter sich, und er hat auch die „popular vote“ gewonnen, das bedeutet, dass auch die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner ihn gewählt hat. Das war 2016 nicht so, da stand die Mehrheit hinter Hillary Clinton. Trotzdem hat Trump gewonnen, weil er das Electoral College, also das Wahlleute-System, gewonnen hat. Bei der Wahl jetzt hat er auch noch die Mehrheit der Stimmen aus der Bevölkerung bekommen, das ist praktisch der Ritterschlag.
Sie haben den US-Wahlkampf hautnah miterlebt - worauf dürfen sich Ihre Studentinnen und Studenten an der Hertie School in den Vorlesungen freuen?
Ich habe mich entschlossen, im nächsten Jahr ein großes Demokratie-Seminar anzubieten. Das habe ich aus meinem Jahr in den USA als Thomas Mann Fellow mitgenommen. Ich habe sonst immer eher etwas zu Parteienwahlkampf und Wahlen gemacht, aber ab 2025 wird es jedes Jahr ein großes Demokratie-Seminar an der Hertie School geben. Das ist mir wichtig.
INFO Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung