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Interview mit Dr. Dr. Randolph Helfrich, September 2024

Ein guter Traumschlaf schützt unser Hirn

Dr. Dr. Randolph Helfrich spricht über den Zusammenhang von Schlaf und verschiedenen neurologischen Erkrankungen sowie über die Bedeutung des REM-Schlafs für eine gesunde Hirnfunktion.
Gehirn erforschen

Quick Read: Worum es geht

Dr. Dr. Randolph Helfrich  erklärt, wie entscheidend Schlafrhythmen, vor allem der REM-Schlaf, für die Hirngesundheit und das Risiko neurologischer Erkrankungen wie Epilepsie und Demenz sind. Seine Forschung zeigt, dass gestörter Schlaf zu kognitiven Beeinträchtigungen führen kann und beschäftigt sich mit neuen Therapieansätzen, die den Schlaf gezielt verbessern und das Gehirn schützen sollen.  

Haben Sie gut geschlafen? Die Antwort auf diese Frage ist weitaus ernstzunehmender als landläufig angenommen, denn nur eine einzige unruhige Nacht kann unsere Motivation, Stimmung und vor allem die Gedächtnisleistung stark beeinträchtigen, so Studien. Welcher Zusammenhang zwischen unserer Hirnleistung im Schlaf und neurologischen Erkrankungen besteht, untersuchen Dr. Dr. Randolph Helfrich (38), Leiter der Forschungsgruppe Intrakranielle Kognitive Neurophysiologie am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen, und sein Team – mit interessanten Ergebnissen: Welche Rolle der Schlafrhythmus bei Demenz spielt, warum der sogenannte REM-Schlaf so wichtig ist (vor allem für Epilepsiepatienten), an welchen neuen Therapien das Helfrich Lab forscht, und wie wir uns den Schlaf im Sinne der Hirngesundheit zu Nutze machen können, lesen Sie in diesem Interview.  

Sie haben untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen neurologischen Erkrankungen und der Hirnaktivität im Schlaf gibt. Welcher Gedanke steckt dahinter?

Um eine krankhafte Veränderung irgendeiner Form am Gehirn festzustellen, ist es sinnvoll, sich den Schlaf anzusehen. Wenn ein Mensch schläft, kann man seinem Gehirn bei der eigenen Arbeit zuschauen, ohne dass man sich als Wissenschaftler mit äußeren Einflüssen beschäftigen muss, denen das Gehirn ausgesetzt ist. Tagsüber ist das Hirn mit Sehen, Hören und anderen Sinneseindrücken beschäftigt, und es bewegt sich zudem noch in der Welt. Erschwerend kommt hinzu, dass bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen die Kommunikation der Zellen und ihr Zusammenspiel, das man sich wie bei einem Orchester vorstellen muss, ohnehin nicht so gut funktioniert und einfach unpräzise wird. Dies kann man im Schlaf sehr gut erkennen. 

Was haben Sie in Ihrer aktuellen Forschung herausgefunden?

In einer Studie aus 2018 konnten wir bereits zeigen, dass es zu Gedächtnisdefiziten kommt, wenn die Schlafrhythmen eines Menschen aus dem Gleichgewicht geraten und bestimmte Gehirnregionen nicht mehr richtig miteinander kommunizieren können. Damals haben wir Patientinnen und Patienten untersucht, die eine Vorstufe zu einer dementiellen Entwicklung haben, und konnten zeigen, dass jeweils ihre zwei Hirnareale, die für die Gedächtnisbildung verantwortlich sind, zwar noch ganz gut funktionieren, aber dass das Zusammenspiel gestört ist. Gleichzeitig konnten wir zeigen, dass nur bei optimalem Zusammenspiel dieser Schlafrhythmen neue Erinnerungen abgespeichert werden können. Unsere aktuelle Forschung hat nun gezeigt, dass die sogenannte REM-Schlafphase eine entscheidende Rolle in diesem Prozess spielt. Die Buchstaben REM stehen für „Rapid Eye Movement“, was auf Deutsch in etwa „rasche Augenbewegung“ bedeutet. Die meisten - und vor allem die intensivsten - Träume treten während dieser Schlafphase auf.

Warum sind diese neuen Erkenntnisse zur REM-Schlafphase so bedeutend?

Der REM-Schlaf wurde ja erst 1953 entdeckt; er wird auch als der „paradoxe Schlaf“ oder „Traumschlaf“ bezeichnet. Das Interessante an dem Schlaf ist, dass, wenn man sich die Gehirnaktivität ansieht, alles aussieht wie bei einem wachen Gehirn. Das ist bedeutsam, denn jahrelang hatte man angenommen, dass ein Mensch schläft, wenn bestimmte Muster der Hirnaktivität zu erkennen sind. Aber dann sieht das Gehirn plötzlich wach aus, nur der Proband schläft in Wirklichkeit. Es war immer eine offene Frage der Wissenschaft, wie das funktionieren kann. Was wir festgestellt haben, ist, dass gewisse Signale, die man früher immer für ein Rauschen gehalten hat, gar nicht dieses Rauschen sind, sondern dass da tatsächlich wertvolle Signale beziehungsweise Hinweise enthalten sind. Wir haben eine Methode entwickelt, um zu erkennen, wie man den REM-Schlaf messen und erkennen kann, und warum er so gut ist.

"Wir wissen also, was wir selbst für unsere Schlafhygiene tun können. Wie wir den Effekt noch verstärken können, ist allerdings noch eine offene Frage für die Wissenschaft."

Warum ist der REM-Schlaf so gut?

Wir haben festgestellt, dass der REM-Schlaf dazu beiträgt, dass Erregbarkeit oder neuronale Übererregung, die man über den Tag während des Lernens einsammelt, wieder herunterreguliert wird. Denn während wir wach sind und Informationen aufnehmen, häuft das Gehirn diese Informationen an. Nachts, während das Gehirn sich selbst überlassen ist, müssen diese vielen Infos wieder aussortiert und aufgeräumt werden. Wenn man nicht schläft, wird dieser Prozess nicht umgesetzt. Man weiß zum Beispiel, dass eine Nacht, in der man nicht geschlafen hat, einer der stärksten Auslöser eines epileptischen Anfalls ist, weil das Gehirn sich nicht wieder ausbalancieren konnte. In unserer Studie haben wir einen Marker dazu gefunden, mit dem man diesen Prozess messen kann. Wir konnten zeigen, dass das Gehirn im REM-Schlaf wieder in einen herunterregulierten Zustand überführt wird, so dass man am nächsten Tag wieder optimal funktionieren und lernen kann. Das hat klinisch ein paar sehr interessante Implikationen. Zum Beispiel weiß man, dass epileptische Anfälle eigentlich nie oder nur ganz selten aus dem REM-Schlaf kommen, sie kommen zu über 90 Prozent aus dem Non-REM-Schlaf. Das bedeutet, dass wir einen Hirnzustand identifiziert haben, der für sich selbst protektiv ist, und dass es einen Schlafzustand gibt, der dafür sorgt, dass diese Wirkung eintritt.

Wäre es denn möglich, Menschen mit Epilepsie zu mehr REM-Schlaf zu verhelfen?

Das ist eine sehr gute Frage: Wie verschafft man einem Patienten mehr REM-Schlaf? Das ist eine Frage, die lässt sich heute noch nicht beantworten. Da fragen Sie mich in ein paar Jahren noch mal. Wir raten den Patientinnen und Patienten allgemein dazu, dass sie regelmäßig schlafen, weil man weiß, dass das protektiv ist. Außerdem sollten sie versuchen, zu festen Zeiten ins Bett zu gehen, und nicht immer mal wieder zwei Stunden später als üblich, weil dadurch der Schlafzyklus verschoben wird. Wir wissen also, was wir selbst für unsere Schlafhygiene tun können. Wie wir den Effekt noch verstärken können, ist allerdings noch eine offene Frage für die Wissenschaft. 

Veränderungen des Schlafes lassen sich bereits Jahre vor dem Auftreten von Alzheimer, Parkinson oder Epilepsie beobachten. Sind die Schlafstörungen eine Folge dieser neurologischen Erkrankungen oder tragen sie eher dazu bei, dass diese entstehen?

Das ist ein klassisches Henne-Ei-Problem. Wir nehmen an, dass sich auf mikroskopischem Level am Gehirn etwas verändert, was sich in seiner eigenen Organisation niederschlägt. Das heißt, die Schlafstörungen sind sicherlich eine Folge von Veränderungen, die noch so klein sind, dass man sie mit den bloßen Augen nicht erkennen kann. Deswegen ist es meiner Ansicht nach sinnvoll, ein Tool zu haben, um diese Veränderungen frühzeitig zu erkennen. Daran wird geforscht. Gleichzeitig wissen wir alle, dass sich ein paar schlecht geschlafene Nächte oder eine durchgemachte Nacht bemerkbar machen: Die Aufmerksamkeit und die Merkfähigkeit sind gestört, aber auch die Emotionskontrolle, man ist gereizter. Im Umkehrschluss bedeutet das also, dass wir durch eine Verbesserung des Schlafs selbst dazu beitragen können, dass sich manche dieser kognitiven Fähigkeiten wieder verbessern, sollten sie sich mit der Zeit verschlechtert haben.

Was halten Sie von Schlafmitteln?

Leider haben wir kein gutes Schlafmittel. Man muss ehrlich sagen, dass alle entsprechenden verfügbaren Medikamente auf dem Markt zwar Schlafmittel genannt werden, aber eigentlich Sedativa sind. Das sind Mittel, die einen ruhigstellen. Wenn man den Schlaf oder eine Nacht unter so einem Medikament anschaut, sieht man, dass das Gehirn ganz andere Muster produziert als im physiologischen Schlaf. Es wird also ein schlafähnlicher Zustand erzeugt, aber kein physiologischer, richtiger Schlaf hergestellt. Das ist noch ein Kernproblem an den Schlafmitteln und der Grund, warum wir im klinischen Alltag diese Medikamente sehr ungern dauerhaft einsetzen.

"Wir  gehen der Frage nach: Wie kann man mit elektrischer Manipulation innerhalb des Gehirns tatsächlich etwas verändern, was den Schlaf moduliert?"

Welche neuen Therapieansätze könnten Sie aus Ihren Studienergebnissen ableiten?

Weil wir gerade bei den Schlafmitteln sind: Die Idee müsste schon sein, Medikamente oder Medikamentenkombinationen zu finden, die den physiologischen Schlaf nachbauen. Dazu gehört zum Beispiel, dass man nicht nur ruhiggestellt wird und in so eine Art Tiefschlummer-Schlaf verfällt, sondern dass man es schafft, auch den REM-Schlaf wiederherzustellen. Das impliziert, dass man versucht, diese REM-Zyklen, die sonst alle 90 Minuten im Rahmen des normalen Nachtschlafs von selbst ablaufen, nachzuvollziehen oder nachzubauen. Das ist ein bisschen Zukunftsmusik, weil wir jetzt gerade erst dabei sind zu verstehen, wie wir diese Prozesse auslesen und verändern. Aber das wäre eine Perspektive. Die andere Perspektive, an der wir auch arbeiten, ist, nicht nur mit Medikamentenintervention vorzugehen, sondern mit elektrischer Intervention. Das Gehirn in seiner eigenen Sprache ist elektrisch. Das heißt: Unsere Nervenzellen feuern in Verbünden, das ist sehr koordiniert, und was wir dort mit dem EEG messen, sind elektrische Muster. Die Frage ist nun: Kann man durch eine elektrische Manipulation von außen oder innen versuchen, Schlafmuster wieder herzustellen? Und lässt sich die Sprache des Gehirns an der Stelle imitieren? Dazu gab es ein paar Vorläuferstudien über die vergangenen 15 Jahre, die das zum Teil mit Elektroden, die auf den Schädel eines Probanden geklebt wurden, probiert haben. Nur werden die Effekte hier immer klein bleiben. Wir haben nun den extremeren Weg gewählt und gehen der Frage nach: Wie kann man mit elektrischer Manipulation innerhalb des Gehirns tatsächlich etwas verändern, was den Schlaf moduliert?

Wie gehen Sie dabei vor?

Wir führen dazu gerade eine Studie mit Parkinson-Patienten durch, bei denen eine tiefe Hirnstimulation stattfindet, also im Volksmund ein „Hirnschrittmacher“ eingesetzt wurde. Dabei werden Elektroden ins Gehirn eingesetzt und überaktive Zellen durch die dauerhafte Einleitung eines schwachen elektrischen Stroms gehemmt. Wir untersuchen, ob es in Zukunft möglich sein könnte, gestörte Hirnrhythmen beispielsweise mit dieser elektrischen Stimulation wieder in den richtigen Takt zu bringen und dies als Therapie zu nutzen. Dieser Prozess findet nur innerhalb des Gehirns statt. Die Stimulation des Gehirns von außen gibt es bereits, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg. Einige kennen vielleicht das sogenannte weiße Rauschen, das man Babys ganz gerne mal zum Einschlafen vorspielt. Die sensorische Stimulation hilft bei der Entspannung, weil der Ton des weißen Rauschens andere Geräusche eher ausblendet. Oder es gibt Elektroden, die man sich selbst in den Stirnlappenbereich kleben kann. Sie stimulieren elektrisch mit dem Ziel, aufmerksamer zu sein, oder eine Gedächtnisleistung zu verbessern. Das hat in Deutschland noch nicht wirklich Feuer gefangen, aber in den USA gibt es dafür durchaus einen Markt. Zurzeit sind das alles eher Spielereien, denn es wird in gewisser Art und Weise Strom appliziert, ohne zu wissen, in welchem Stadium sich das System, das man modulieren will, befindet. Aber ich gehe davon aus, dass sich dazu in den nächsten zehn bis 20 Jahren einiges entwickeln wird. 

Das ist dann eher der Bereich Selbstoptimierung?

Genau, diesen Absatzmarkt gibt es bereits. Jetzt stellt sich nur die vielleicht auch philosophische Frage: An welcher Stelle handelt es sich um Selbstoptimierung, und an welcher Stelle spricht man von frühzeitigen Behandlungen altersbedingter Veränderungen, die noch keinen Krankheitswert haben? Das ist sicher für jeden sehr individuell. Aber ich glaube an die Idee, den Schlaf zu nutzen. Ich komme noch mal zum Beispiel von Parkinson zurück. Da sieht man Schlafveränderungen als REM-Schlafverhaltensstörung schon zehn Jahre vor Krankheitsbeginn, wie man aus retrospektiven Studien weiß. Manche Patienten würden es nicht wissen wollen, aber andere würden sicherlich die Chance ergreifen, an der Stelle schon modulierend eingreifen zu wollen.

Wie sorgen Sie selbst für einen guten Schlaf?

Oh, der ist zurzeit durch meine kleine Tochter, die gerade sechs Monate alt ist, etwas eingeschränkt. Aber es gibt ja viele Möglichkeiten: nicht zu spät ins Bett gehen, kein Kaffee nach 16 Uhr, nicht zu viel Alkohol und eine kühle Schlafumgebung. Das Wichtigste ist meiner Ansicht nach das Abschalten, das vielen Menschen leider so schwerfällt. Man sollte versuchen, vor dem Schlafengehen nicht noch stark zu stimulieren, also keine aufregenden Filme sehen oder möglichst nicht Fernsehen, denn dadurch gelangen extrem viele visuelle Informationen ins Hirn. Dann lieber etwas lesen, sich Zeit nehmen und versuchen, den Tag bewusst abzuschließen, und ihn nicht mehr in die Nacht hineinzuziehen.

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung

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