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Prof. Dr. Wolfgang Wick. Foto: Philip Benjamin.
Interview zum Welthirntumortag, Juni 2023

Auch mit einem Hirntumor kann man noch viele Jahre leben

Prof. Dr. Wolfgang Wick beschreibt neue Behandlungsansätze für Hirntumoren, die sich auf Immuntherapie, zielgerichtete Therapie und die Störung der Tumorkommunikation konzentrieren. Das Medikament Vorasidenib, das spezifische Hirntumor-Mutationen blockiert, hat in den USA Zulassung erhalten und könnte ab 2024 in Deutschland verfügbar sein. Trotz schwerer Diagnosen betont Wick die Möglichkeit, dass Patienten noch viele Jahre leben können.
Gehirn erforschen

Quick Read: Worum es geht

Prof. Dr. Wolfgang Wick beschreibt neue Behandlungsansätze für Hirntumoren, die sich auf Immuntherapie, zielgerichtete Therapie und die Störung der Tumorkommunikation konzentrieren. Das Medikament Vorasidenib, das spezifische Hirntumor-Mutationen blockiert, hat in den USA Zulassung erhalten und könnte ab 2024 in Deutschland verfügbar sein. Trotz schwerer Diagnosen betont Wick die Möglichkeit, dass Patienten noch viele Jahre leben können.

Am 8. Juni ist Welthirntumortag, um auf die besondere Situation der Betroffenen und ihrer Angehörigen aufmerksam zu machen, sowie die Hirntumorforschung zu fördern. Prof. Dr. Wolfgang Wick ist Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg und Sprecher des Standortes Heidelberg/Mannheim im Hertie Network of Excellence in Clinical Neurocience. Welche neuen Ansätze der Neuroonkologe im Kampf gegen Hirntumore verfolgt, warum Krebs eine neurologische Erkrankung sein könnte - und was ihn seine Patientinnen und Patienten gelehrt haben, erläutert Prof. Wick in unserem Interview.    

Es gibt zahlreiche Arten von Hirntumoren, wie unterscheiden sich die Erkrankungen? 
Zunächst die gute Nachricht: Nicht jeder Hirntumor ist bösartig, auch wenn der Begriff vielen Menschen Angst macht. In etwa der Hälfte der Fälle handelt es sich um Tumore der Hirnhäute, Meningeome genannt, die meistens gutartig sind, und sich durch eine Operation in der Regel heilen lassen. Die andere Hälfte der Hirntumore ist leider bösartig: Es handelt sich oft um diffus wachsende Gliome, in der Mehrzahl aggressive Glioblastome. Sie sind behandelbar, aber bisher unheilbar. Bei den hirneigenen Tumoren unterscheiden wir grundsätzlich zwischen Isozitratdehydrogenase (IDH)-mutierten und IDH-nicht-mutierten Tumoren. Das ist wichtig, denn die IDH-mutierten Tumore zeigen alle in ihrer Ursprungszelle eine ganz bestimmte Mutation, die wir sehr einfach nachweisen können. Diese Mutation ist mittlerweile sowohl Ziel für Medikamente, die spezifisch dagegen eingesetzt werden, als auch für immuntherapeutische Bemühungen. Zu erwähnen sind auch die Hirnmetastasen, das sind Absiedlungen eines Primärtumors an anderer Stelle des Körpers in das Gehirn. Sie stellen häufig eine lebenslimitierende Erkrankung dar, werden aber anders behandelt als hirneigene Tumore.  
 

"Nicht jeder Hirntumor ist bösartig, auch wenn der Begriff vielen Menschen Angst macht. In etwa der Hälfte der Fälle handelt es sich um Tumore der Hirnhäute, Meningeome genannt, die meistens gutartig sind, und sich durch eine Operation in der Regel heilen lassen. "

Welche neuen Ansätze verfolgen Sie, um bösartige Hirntumoren zu bekämpfen? 
Es gibt drei große Themen: Das erste sind immuntherapeutische Ansätze. Dahinter steht der Gedanke, die Fähigkeiten des körpereigenen Abwehrsystems zu nutzen, um Krebszellen zu bekämpfen. Wir versuchen also, die für die Hirntumor-Situation besonderen Antigene mit immuntherapeutischen Verfahren zu fassen. Zum Beispiel mit Peptiden, das sind kleine Eiweißbruchstücke, oder mit RNA, die wir von der Corona-Impfung kennen, aber auch mit Zellen, bei denen Rezeptoren genutzt werden, die zu den besonderen Eigenschaften der Hirntumorzellen passen. Das ist eine Linie der Therapie. Die zweite große Linie sind sogenannte zielgerichtete Therapien. Hirntumore haben zum Glück manchmal besondere Mutationen, wie die IDH-Mutationen, die ich eingangs nannte. Für die Blockierung dieser IDH-Mutationen gibt es jetzt ganz aktuell erste positive Signale aus einer klinischen Phase-III-Studie. Das heißt, wir kennen einen neuen spezifischen Inhibitor, also einen Hemmstoff, zur Behandlung dieser Tumore, der positiven Einfluss auf das Überleben von Patientinnen und Patienten vor der Notwendigkeit einer toxischen (Radiochemo-)Therapie mit einem neu diagnostizierten IDH-mutierten Gliom hat. Die INDIGO-Studie, an der wir Mit-Autoren sind, wurde kürzlich auf dem ASCO (American Society of Clinical Oncology) vorgestellt. Das entsprechende Medikament Vorasidenib hat in den USA bereits einen beschleunigten Zulassungsstaus bekommen, in Deutschland wird es wohl erst 2024 nach dem Prüfverfahren der Europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde (EMA) erhältlich sein. Diese molekular zielgerichteten Medikamente, die sich auf eine ganz besondere hirntumor-typische Veränderung - zum Beispiel die genomweite Veränderung der Erbinformation durch Hypermethylierung - richten, sind eine wesentliche Chance für die Zukunft. 

Welcher ist Ihr dritter großer Ansatz im Kampf gegen Hirntumore? 
Die Kommunikation des Tumors zu stören, um ihn besser bekämpfen zu können. Wir haben an der Unimedizin gemeinsam mit Wissenschaftlern des Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg herausgefunden, dass sich einzelne, gut vernetzte Zellen im Tumorgewebe ihrerseits zu einer Art Gehirn entwickeln und eine Schrittmacherrolle einnehmen. Diese Zellen geben sozusagen den Takt von Aktivitätssignalen für das gesamte Tumorzell-Netzwerk vor, mit gravierenden Folgen: In den Tumorzellen werden molekulare Mechanismen aktiviert, die das Wachstum des bösartigen Glioblastoms vorantreiben und seine Widerstandskraft erhöhen. Uns ist es nun gelungen, diesen Code der Tumorkommunikation zu knacken. Es zeigt sich, dass diese Netzwerke ganz eigene biologische Strukturen nutzen, und dass es diese Verbindungen eben nicht nur zwischen den Tumorzellen selbst gibt, sondern auch zwischen Nervenzellen und Tumorzellen. Dadurch wissen wir, dass auch Nervenzellaktivität in einem wesentlichen Ausmaß die Hirntumor-Situation unterstützt, und dass der Hirntumor seine Lage im Gehirn tatsächlich zunutze macht und von der Nervenzellaktivität für die eigene Entwicklung profitiert. Kurz gefasst könnte man nun folgern, dass Krebs pathophysiologisch, also in seiner krankhaften Entstehung, eine neurologische Erkrankung ist. Diesem neuen Ansatz gehen wir jetzt nach und versuchen, die Übertragung von Nervenzellen auf die Hirntumorzellen zu blockieren. Es gibt Medikamente im Epilepsie-Bereich, die das können, was aber nicht bedeutet, dass sie jetzt auch Hirntumore heilen. Aber die Art der Therapie könnte dazu beitragen, den Hirntumor für bekannte Therapiemaßnahmen empfindlicher zu machen. Studien dazu, an denen wir auch beteiligt sind, laufen bereits.     

Wie lange dauert es, bis ein entsprechendes Medikament auf dem Markt wäre?
Ich würde vermuten, dass wir noch ein paar Jahre brauchen, aber keine zehn Jahre mehr. Studien mit Medikamenten, die diese Kommunikationsstrukturen unterbrechen, laufen schon. Zum Vergleich: Dass die IDH-Mutationen relevant für einen Hirntumor sind, haben wir vor 15 Jahren herausgefunden, heute steht das Medikament kurz vor der Zulassung. Ich habe das Gefühl, dass die Innovationszyklen heute schneller gehen.  

"Wie diese schwerkranken Menschen mit ihrer Situation umgehen, beeindruckt mich immer wieder. Diesen Lebensmut und letztendlich diese Kraft, mit der gerade auch jüngere Patienten ihre so lebensverändernde Erkrankung annehmen, bewundere ich sehr. Davon können wir alle lernen.  "

Was raten Sie einem Patienten, der eine ungünstige Hirntumor-Diagnose bekommt?
Mir ist es wichtig, dass die Patientinnen und Patienten ihre Lebensplanung nicht nach einer statistischen Prognose ausrichten. Die Frage, ob jemand irgendeinen Mittelwert erreicht, ist nicht relevant, sondern dass wir gemeinsam versuchen, die individuelle Patientensituation so gut wie möglich zu halten, solange eine Chance besteht. Auch mit dieser Erkrankung kann man noch viele Jahre leben oder sogar eine normale Lebenserwartung erreichen. Die Patienten müssen weiter Pläne machen, in den Urlaub fahren oder andere wichtige Themen außerhalb der Erkrankung weiterverfolgen. Es sei denn, es geht ihnen richtig schlecht. Deshalb kommt es darauf an, dass wir es gemeinsam schaffen, Komplikationen zu verhindern. Was wir den Patienten anbieten können, ist, dass sie mit dieser schrecklichen Erkrankung nicht allein sind, sondern dass es eine Menge hoch spezialisierter Zentren gibt, in denen sie sich beraten lassen können und sicher sein dürfen, nichts verpasst zu haben. Der Rest ist Schicksal.

Kann ich selbst etwas tun, um mein Hirntumor-Risiko zu verringern?
Leider nein. Es gibt keine vorbeugenden Maßnahmen. Aber wir wissen, dass Patienten, die stets auf Bewegung und gesunde Ernährung geachtet haben, nach der Operation eine bessere Prognose haben und generell mit der Erkrankung und der Therapie besser umgehen können. 
 

Gibt es etwas, was Sie von Ihren Patientinnen und Patienten gelernt haben?
Wie diese schwerkranken Menschen mit ihrer Situation umgehen, beeindruckt mich immer wieder. Diesen Lebensmut und letztendlich diese Kraft, mit der gerade auch jüngere Patienten ihre so lebensverändernde Erkrankung annehmen, bewundere ich sehr. Davon können wir alle lernen. Großartig finde ich auch diejenigen, die in dieser Phase sogar noch für andere da sind, und sich zum Beispiel in Selbsthilfegruppen engagieren. Davor habe ich großen Respekt, und es zeigt, dass selbst angesichts einer schweren Erkrankung oft noch vieles möglich ist. 
 

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung    

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