Interview über die Diagnose Parkinson, Juli 2023
Parkinson hat mein Leben verändert – nicht nur zum Schlechten
Es erwarten Sie zwei Interviews rund um das Thema Parkinson: Das erste Gespräch führen wir mit Kathrin Wersing, einer engagierten Parkinson-Patientin, die trotz ihrer Diagnose den inspirierenden Podcast "Jetzt erst recht! – Positiv leben mit Parkinson" ins Leben gerufen hat. Im zweiten Interview teilt PD Dr. Kathrin Brockmann, eine führende Expertin in der Parkinson-Forschung, ihre Erkenntnisse über die vielversprechenden Möglichkeiten einer Parkinson-Impfung. Beide Gespräche bieten Einblicke in das Leben mit Parkinson und die Hoffnung auf zukünftige medizinische Fortschritte.
Morbus Parkinson ist eine chronisch fortschreitende, neurodegenerative Erkrankung, die zu steifen Muskeln, verlangsamten Bewegungen und unkontrolliertem Zittern führt. Rund 400.000 Menschen sind hierzulande betroffen, und in der Regel wird Parkinson zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr diagnostiziert. Kathrin Wersing (44) aus Münster war 40 Jahre alt, als sie ihre Diagnose bekam. Doch die Mutter zweier Kinder ließ sich nicht unterkriegen: Um zu erfahren, wie man trotz dieser unheilbaren Erkrankung ein gutes Leben führen kann, startete sie einen eigenen Podcast: „Jetzt erst recht! – Positiv leben mit Parkinson“. Ob ihr Plan aufgegangen ist, wie ihre beiden Söhne reagiert haben – und was sich Kathrin Wersing für ihre Zukunft wünscht, erfahren Sie in unserem Interview.
Sie haben vor vier Jahren Ihre Parkinson-Diagnose bekommen – wie geht es Ihnen heute?
Im Grunde genommen geht es mir gut. An Symptomen habe ich diese typische Steifigkeit und Muskelverspannungen. Das heißt, meine rechte Hand ist ein bisschen langsamer und steifer, und die rechten Zehen sind sehr verkrampft. Das sind die sichtbaren Symptome. Den für Morbus Parkinson typischen Tremor, also das Zittern der Hände, habe ich nicht. Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis ich die Diagnose bekam. Niemand konnte sich vorstellen, dass ich in meinem Alter Parkinson haben könnte, zumal die Erkrankung schleichend voranschreitet und in der Regel erst nach Jahren erste Symptome auftreten.
Wie hat sich die Erkrankung bei Ihnen erstmals bemerkbar gemacht?
Nach der Geburt meines ersten Sohnes 2009 hatte ich einen schweren Bandscheibenvorfall und war danach nie wieder so richtig fit und belastbar. Ich war immer müde und erschöpft und bekam dann wie „aus heiterem Himmel“ eine Depression. Ich wusste nicht warum und wo die herkam, denn echte Probleme hatte ich nicht. Alle sagten zu mir: „Das ist doch kein Wunder, als Berufstätige mit kleinem Kind ist es eben viel.“ Im Laufe der Zeit kamen wechselnde Symptome hinzu, wie Schwindel und Gangunsicherheit. Zwei bis drei Jahre wurde ich wegen „psychosomatischer“ Beschwerden behandelt, aber nichts besserte sich. Im Januar 2019 merkte ich dann beim Zähneputzen, dass mein rechter Arm steifer wurde und schmerzte. Ich bin wieder zu meiner Hausärztin, die mich zum Neurologen geschickt hat, der dann nach einigen Monaten erstmals den Verdacht äußerte, dass es Parkinson sein könnte.
Wie haben Sie den Moment der Diagnose erlebt?
Es hat mich kalt erwischt. Mit Parkinson hatte ich nie gerechnet, wusste auch überhaupt nicht, was das nun für mich bedeuten würde. Meine Oma hatte zwar Parkinson, aber erst mit 80 Jahren, außerdem hat sie gezittert. Für mich war das eher eine Krankheit, die ältere Menschen betrifft. Der Neurologe sagte am Ende des Gesprächs: „Na, Sie nehmen es aber gelassen.“ Da dachte ich nur: „Oh je.“ Erst im Nachhinein habe ich das Ausmaß der Diagnose begriffen, und was die Krankheit im Körper anrichtet.
Ihre Großmutter hatte auch Parkinson, haben Sie die Erkrankung von ihr geerbt?
Diese Möglichkeit war von Beginn an Thema, gerade, weil ich so jung erkrankt bin. Die Krankenkasse hat mir eine Gendiagnostik finanziert, aber anhand der Marker, die man bisher kennt, hat sich eine genetische Disposition nicht betätigt. Die Ursache ist also bisher unbekannt.
Ab wann haben Sie verstanden, dass Sie von einer unheilbaren und fortschreitenden Erkrankung betroffen sind?
Das ging relativ schnell, weil ich großes Interesse hatte zu wissen, womit ich es zu tun habe. Ich sprach lange mit einer befreundeten Neurologin, und an ihrer besorgten und ruhigen Reaktion habe ich gemerkt, wie schwerwiegend die Erkrankung ist. „Guck bloß nicht ins Internet, Kathrin“, hatte sie mich noch gewarnt – aber genau das tut man natürlich als Betroffene. Ich wollte unbedingt wissen, wie schlimm es werden kann, und habe mir alle möglichen Dokumentationen und Videos angesehen. Dabei bin ich von einem Schrecken in den nächsten gefallen. Bis heute finde ich es schwierig, dass es keine klaren Informationen gibt, die man zum Bespiel als Buch oder Broschüre direkt nach der Diagnose für zuhause mitbekommt. Das hätte ich mir gewünscht, aber so schaut man natürlich im Internet nach und hat am Ende nur noch Angst und ist verunsichert. Es gibt ja auch viele falsche Informationen im Netz.
Wie haben Sie es geschafft, aus dieser Verzweiflung wieder herauszufinden?
Ein großer Vorteil war und ist für mich, dass ich seit fast 20 Jahren als hauptamtliche Mitarbeiterin in der Selbsthilfe arbeite und Familien mit rheumakranken Kindern betreue. Das heißt, ich kenne es aus dem Berufsleben, eine chronische, nicht heilbare Erkrankung zu haben. In meinem Job habe ich immer wieder gesehen, was dennoch möglich ist, und wie Familien, Kinder und Jugendliche Wege gehen, so dass man manchmal denkt: „Boah, wie schaffen die das?“ Nun saß ich plötzlich auf der anderen Seite des Beratungstisches und natürlich ist es anders, wenn man selbst verzweifelt ist. Aber dieses Gefühl, dass es immer einen Weg gibt, hat mich von Anfang an begleitet. Außerdem ließ mich der Gedanke nicht los, dass es irgendwo Menschen geben muss, die mir sagen können, wie ich mit dieser Krankheit gut leben kann. Zu der Zeit habe ich gern Podcasts gehört, zum Beispiel den von Life Coach Laura Malina Seiler. Irgendwann kam die Folge „Wie mache ich einen Podcast?“ Und da habe ich gedacht: Was für eine coole Idee! Wenn ich Menschen suche, die mir sagen können, wie ich mit der Erkrankung leben kann, dann muss ich irgendwie öffentlich werden. Ich hatte zwar keine Ahnung von Technik, habe nur ein paar Tutorials geguckt, aber dann im Oktober 2020 mit meinem eigenen Podcast einfach losgelegt. Der Titel stand für mich sofort fest: „Jetzt erst recht! – Positiv leben mit Parkinson“.
"Für mich war das eher eine Krankheit, die ältere Menschen betrifft. Der Neurologe sagte am Ende des Gesprächs: „Na, Sie nehmen es aber gelassen.“ Da dachte ich nur: „Oh je.“ Erst im Nachhinein habe ich das Ausmaß der Diagnose begriffen, und was die Krankheit im Körper anrichtet."
Inzwischen sind mehr als 70 Folgen erschienen, in denen Sie mit Betroffenen und Angehörigen sprechen. Auch Show-Titan und Parkinson-Patient Frank Elstner war bei Ihnen zu Gast. Welche Erzählungen oder Erfahrungen haben Sie nachhaltig beeindruckt?
Da gibt es so viele Geschichten, und ich nehme von jedem, mit dem ich spreche, ein kleines Stück mit für meinen eigenen Lebensweg. Dadurch bin ich gut begleitet und behütet, weil ich in manchen Situationen dran denke und sagen kann: „Ach stimmt, das hat Ruth dazu gesagt, oder Gunnar hat es so erlebt.“ Zum Beispiel sagte ein Mann, der richtig schwer betroffen war und sich durchs Leben kämpfte, den Satz: „Ich möchte sehen, was passiert, wenn ich nicht aufgebe.“ Wahnsinn! Oder Ruth, die seit 40 Jahren Parkinson hat und eine Weltreise mit ihrem Mann machen wollte, aber erst zögerte, sagte: „Ach was, wir fahren! Schlecht gehen kann es mir auch woanders, aber ich bin wenigstens unterwegs.“ Oder Jessica, die mit elf Jahren erste Symptome zeigte und mit 27 ihre Diagnose bekam. Sie hat so eine Lebensfreude, trotz vieler Einschränkungen. Sie sagt: „Ich entscheide mich jeden Tag wieder dafür, ein fröhlicher Mensch zu sein.“ Diese Menschen geben mir selbst so viel Kraft. Und bis heute ist es so, dass ich diesen Podcast tatsächlich in erster Linie für mich selbst mache, weil ich einfach diese Geschichten brauche. Ich brauche diesen Austausch und diese positive Ausrichtung, die mich immer wieder nach oben holt, wenn ich mal in einem Tief stecke.
Ihre Söhne waren zehn und sieben Jahre alt, als Sie die Diagnose bekamen. Wie geht man als Familie mit so einer Erkrankung um?
Das war zunächst eine schwierige Geschichte. Ich bin immer jemand gewesen, der reden muss, und dass ein offener Umgang mit einer Erkrankung hilft, habe ich aus meiner Selbsthilfearbeit gelernt. Ich war der Meinung, dass wir es schnell den Kindern erzählen sollten, doch mein Mann zögerte noch, außerdem stand Weihnachten vor der Tür. Dann haben wir aber doch einen guten Moment gesucht, an dem ich sicher war, nicht in Tränen auszubrechen. Ich erzählte also, dass ich eine chronische Krankheit habe und mein Sohn fragte gleich total erschrocken: „Mama, ist es was Schlimmes? Hast Du Krebs? Musst Du sterben?“ Ich sagte ihnen, dass ich Parkinson habe und nicht sterben muss, sondern dass ich mich mit der Zeit wohl immer etwas schlechter werde bewegen können. Sofort spürte ich die Erleichterung bei den Kindern und mein großer Sohn rief spontan: „Ach Mama, das ist ja nicht so schlimm. Du hast ja drei starke Männer zuhause, wir helfen Dir.“ Dieser Satz war so schön, den habe ich heute noch ganz tief in meinem Herzen. Meine Familie gibt mir immer wieder großen Halt. Wichtig ist, immer miteinander im Gespräch zu bleiben, ob im Job, Freundeskreis oder in der Familie. Denn gerade für jung an Parkinson Erkrankte sind die Probleme oft noch andere als für Senioren, die eine Diagnose bekommen.
Hatten Sie Angst um Ihren Job?
Da habe ich riesiges Glück. Meine Arbeitgeber sind Eltern von chronisch erkrankten Kindern, die haben meine Situation sofort verstanden und stehen bis heute hinter mir. Ich hatte nach der Geburt meiner Kinder immer eine halbe Stelle und arbeite jetzt auch halbtags weiter, das schaffe ich gut. Manchmal habe ich Tage, an denen es nicht so rund läuft, aber da fühle ich mich sehr gut unterstützt von meinen Arbeitgebern und Kollegen. Leider höre ich das von anderen Erkrankten oft anders, einige trauen sich nicht mal zu erzählen, dass sie krank sind, aus Angst, ihren Job zu verlieren. Oder sie sitzen ständig auf ihren Händen, damit niemand das Zittern bemerkt. Hier muss es noch mehr Unterstützungsangebote geben, aber auch Aufklärungsarbeit. Wer Parkinson hat, ist nicht automatisch ungeeignet, einer Arbeit nachzugehen.
Was hilft Ihnen an düsteren Tagen?
Vor allem Bewegung. Gerade bei Parkinson ist es wichtig, dass man wirklich eine Stunde Sport am Tag treibt, um der Muskelsteifigkeit und dem Fortschreiten der Erkrankung entgegenzuwirken. Ich habe Tischtennis für mich entdeckt, das spiele ich zweimal in der Woche und total gerne. Ich leite in Münster die Regionalgruppe von Ping Pong Parkinson e.V., einem Tischtennisverein für Parkinson-Erkrankte, der seit seiner Gründung vor drei Jahren mittlerweile 180 Stützpunkte in Deutschland hat. Wir sehen uns als sportliche Selbsthilfe, wir sitzen also nicht im Stuhlkreis und reden über Probleme, sondern wir können über Parkinson reden, müssen es aber nicht. In Gemeinschaft zu sein, ist und tut gut, weil man Tischtennis eben nicht allein spielen kann. Aber auch diese schnellen Bewegungen, die Reaktionsfähigkeit und die Auge-Hand-Koordination – alles Dinge, die bei Parkinson nach und nach verloren gehen – trainieren wir damit ganz gezielt. Wir sehen natürlich, dass unsere Krankheit voranschreitet, aber im Tischtennis werden wir alle besser. Das hat so eine Kraft, wenn wir begreifen, dass wir uns noch mal in etwas verbessern können, und dass es nicht immer nur abwärts geht.
Was hilft Ihnen noch, um mit Ihrer Erkrankung zurecht zu kommen?
Ich versuche, ein bisschen zur Ruhe zu kommen und mich immer wieder an den Satz einer Gesprächspartnerin aus meinem Podcast zu halten. Sie sagte: „An schlechten Tagen habe ich mir abgewöhnt, über die Krankheit nachzugrübeln.“ Ich kriege mich auf jeden Fall schneller wieder ein als früher. Natürlich habe ich auch diese Tage und Stunden, an denen mich die Zukunftsangst überfällt, alles andere wäre gelogen. Meditation hilft mir dann, aber auch rauszugehen, mich mit Freunden treffen und wirklich zu sagen: „Mir geht es gerade nicht gut.“ Das ist für mich immer etwas, was wirklich eine große Kraft hat und mich beruhigt, wenn ich es in einem vertrauten Kreis aussprechen darf. Aber ich spüre auch, dass mich die Zuversicht immer wieder zurückholt, und dass ich für mich eine innere Sicherheit habe, dass es immer einen Weg geben wird, egal was kommt, egal was sein wird. Es wird für mich immer einen Weg geben. Heute habe ich dieses Grundvertrauen.
War das früher nicht so?
Nein, tatsächlich nicht. Ich habe mich persönlich weiterentwickelt, vor allem durch die Parkinson-Erkrankung. Heute habe ich ein Vertrauen ins Universum, dass die Dinge so kommen, wie sie kommen sollen. Und dass man, wenn man offen dafür ist, auch die richtigen Türen zur richtigen Zeit findet. Wenn ich darüber nachdenke, was mir alles passiert ist durch den Parkinson, was ich alles gemacht habe, wen ich alles kennengelernt habe! Das wäre doch im Leben nicht passiert ohne diese Erkrankung. Also manchmal habe ich schon gedacht, ich habe einen ziemlich großen positiven Krankheitsgewinn, auch wenn ich natürlich gern gesund wäre. Aber heute lebe ich viel mehr im Hier und Jetzt, kann vieles bewusster genießen. Schöne Momente mit den Kindern, eine Blume. Dann mache ich gern ein inneres Foto und speichere es für mich ab, um es mir am Abend noch einmal anzusehen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Mir ist es wichtig, anderen Menschen zu vermitteln, dass wir unserer Krankheit nicht hilflos ausgeliefert sind. Viele glauben ja: „Okay, ich muss Tabletten nehmen und mehr geht nicht.“ Das stimmt nicht! Wenn wir begreifen, was wir selbst in der Hand haben und tun können durch Sport, eine positive Einstellung, mit Gemeinschaft, dann ist das so viel. Ich möchte gern noch ein bisschen Energie reinstecken, um diese Botschaft weiterzutragen. Und dann habe ich mir vorgenommen, dass ich es noch erlebe, dass Parkinson besser behandelbar wird, oder sogar geheilt werden kann. Vorher trete ich nicht ab. Vielleicht profitiere ich selbst nicht mehr davon, aber ich möchte noch sehen, dass es möglich ist für andere. Darauf freue ich mich.
INFO Text von Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung
3 Fragen an PD Dr. Kathrin Brockmann, Forschungsgruppenleiterin der „AG Klinische Parkinsonforschung“ am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen und Leiterin der Parkinson-Ambulanz am Uniklinikum
1. Warum hat nicht jeder Parkinson-Patient dieses Zittern der Hand, den Tremor?
Die Parkinson-Erkrankung zeigt sich mit unterschiedlichen Symptomen. Der Tremor ist zwar häufig, muss aber nicht zwingend auftreten. Das klassische idiopathische Parkinson-Syndrom, von dem die meisten der Patientinnen und Patienten betroffen sind, klassifizieren wir bisher anhand der klinischen motorischen Symptome: Einerseits gibt es die Tremor-dominante Form, bei der das Zittern vorherrscht, dafür aber die Akinese (Unbeweglichkeit) und der Rigor (Steifigkeit der Muskulatur) nur minimal ausgeprägt sind. Dann gibt es zur Abgrenzung den akinetisch-rigiden Typ, der keinen Tremor hat, sondern eher die Bewegungsarmut und die Steifigkeit. Und dann gibt es eine Mischform, bei der Tremor, Akinese und Rigor zusammen ähnlich stark auftreten. Allerdings können die Parkinson-Formen ihre Einteilung im Laufe der Zeit wechseln. Das bedeutet, dass jemand, der im Moment mit vornehmlich Tremor in der Tremor-dominanten Gruppe klassifiziert ist, irgendwann als Mischtyp eingruppiert wird, wenn im Verlauf Unbeweglichkeit und Muskelsteifigkeit vermehrt dazu kommen. Eher unwahrscheinlich ist, dass jemand von der akinetisch-rigiden Form in die Gruppe des Tremor-dominanten Parkinson wechselt, also im Verlauf die vormals im Vordergrund stehende Unbeweglichkeit und Muskelsteifigkeit in eine reine Zitter-Form übergeht.
Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen ist eines der bundesweit größten und modernsten Zentren zur Erforschung neurologischer Erkrankungen. Das HIH ist ein modellhaftes Forschungszentrum im Zusammenspiel öffentlicher Ressourcen und privater Stiftungsmittel: Es wurde 2001 von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, dem Land Baden-Württemberg, der Eberhard Karls Universität Tübingen, ihrer medizinischen Fakultät sowie dem Universitätsklinikum Tübingen gegründet und 2004 eröffnet.
2. Stimmt der Eindruck, dass immer mehr jüngere Menschen an Parkinson erkranken?
Man könnte eher sagen, dass generell immer mehr Menschen an Parkinson erkranken, weil wir eine alternde Gesellschaft sind. Denn das größte Risiko an Parkinson zu erkranken, ist unser Alter. Wir wissen aber, dass ca. 10 Prozent der an Parkinson erkrankten Menschen 40 Jahre und jünger sind. Unser Bewusstsein, eine Erkrankung aufklären zu lassen, ist heute sehr viel sensibler als vor 30 Jahren. Auch Mediziner wissen inzwischen sehr viel besser darüber Bescheid, dass auch junge Menschen an Parkinson erkranken können, und dass es für die Diagnose nicht immer einen Tremor braucht. Mit Hilfe neuer genetischer Untersuchungen ist es zudem einfacher geworden, Erbfaktoren zu identifizieren, die ein frühes Auftreten von Parkinson begünstigen können. Denn je jünger ein Patient ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung eine genetische Ursache hat (etwa in 10 Prozent der Fälle). Diese Entwicklung sorgt sicherlich dafür, dass junge Menschen, die an Parkinson erkrankt sind, sichtbarer werden. Dennoch braucht es weiterhin Aufklärungsarbeit zu dem Thema, damit junge Betroffene nicht erst eine Odyssee hinter sich bringen müssen bis zur Diagnose.
3. Das HIH ist an zwei Studien zur Parkinson-Impfung beteiligt. Was hat es damit auf sich?
Die Impfung gegen Parkinson ist ein neuer vielversprechender Ansatz der Immuntherapie, um die bestehende Erkrankung zu verlangsamen oder gar aufzuhalten. Es handelt sich also nicht um eine Schutz-Impfung, sondern um eine therapeutische Impfung. Ziel ist es, mit der Gabe eines Antikörpers das bei der Parkinson-Krankheit fehlgefaltete und verklumpte Eiweiß alpha-Synuclein abzufangen, sodass sich dieses nicht von Nervenzelle zu Nervenzelle im Gehirn ausbreiten kann. Der Antikörper wird dabei über eine Infusion in die Vene in das Blut verabreicht und gelangt dann über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn. Das HIH ist seit 2018 an einer weltweiten Studie beteiligt, um die Wirksamkeit eines solchen Antikörpers an Parkinsonpatienten zu untersuchen. Derzeit laufen erfreulicherweise viele solcher neuen Therapiestudien, die an den Ursachen ansetzen. Mehrere dieser Studien haben das fehlgefaltete alpha-Synuclein als Angriffsziel. Es wird versucht, das fehlgefaltete Eiweiß abzufangen, seine Verklumpung zu verhindern oder seinen Abbau zu fördern. Wir wissen heute aber auch, dass von Anfang an regelmäßige körperliche, geistige und soziale Aktivitäten einen großen Stellenwert in der Therapie haben und die Kompensationsfähigkeit des Gehirns stärken. Wir blicken auf jeden Fall positiv in die Zukunft.
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INFO Die Fragen stellte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung