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Foto: P2M Box-Promotion
Interview mit Dilar Kisikyol, Dezember 2024

Im Boxring sagen wir Parkinson den Kampf an

Boxweltmeisterin Dilar Kisikyol über die Kraft des Boxens und ihr Projekt "KO-Parkinson", das Frauen mit Parkinson durch gezieltes Boxtraining hilft.
Gehirn erforschen

Quick Read: Worum es geht

Dilar Kisikyol ist eine Kämpferin – im Ring und für die gute Sache. Die Profiboxerin beendete gerade ihre Karriere  und wurde bei ihrem letzten Kampf für ihr ehrenamtliches Projekt  „KO-Parkinson“ mit dem Hertie-Preis für Engagement und Selbsthilfe ausgezeichnet.   „KO-Parkinson“  ist die deutschlandweit erste Boxgruppe für Frauen, die an Parkinson erkrankt sind.   Wie die 32-Jährige zur Gründung der Gruppe kam, was Boxen bei Parkinson bewirken kann und welche Zukunftspläne sie schmiedet, verrät sie im Interview.

Ihr Vorname Dilar ist kurdisch und bedeutet „Feuerherz“, und wenn Boxweltmeisterin Dilar Kisikyol (32), die als Drillings-Frühchen in Leverkusen zur Welt kam, ihre Geschichte erzählt, ist lebhaft zu spüren, dass man es mit einer geborenen Kämpferin zu tun hat – im Ring und für die gute Sache: Als Profiboxerin beendete Dilar Kisikyol jetzt ihre Karriere, gleichzeitig wurde die studierte Sozialpädagogin für ihr ehrenamtliches Box-Projekt „KO-Parkinson“ mit dem Hertie-Preis für Engagement und Selbsthilfe 2024 ausgezeichnet und darf sich über 5.000 Euro Preisgeld freuen. „KO-Parkinson“ ist die deutschlandweit erste Boxgruppe für Frauen, die an Parkinson erkrankt sind. Warum Dilar Kisikyol diese Gruppe gegründet hat, was der Boxsport bei Parkinson bewirken kann, und für welche Zukunftspläne die Wahl-Hamburgerin brennt, erzählt sie in unserem Interview. 

Sie haben im September mit einem letzten emotionalen Profi-Fight Ihre 16-jährige Boxkarriere als ungeschlagene Weltmeisterin im Leichtgewicht beendet und sind anschließend im Ring für Ihren unermüdlichen Einsatz für Parkinson-Patientinnen mit dem Hertie-Preis für Engagement und Selbsthilfe 2024 ausgezeichnet worden. Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?

Das war wirklich sehr, sehr emotional! Der Kampf selbst war wie eine Belohnung für mich und meine Boxkarriere - und dann zusätzlich noch die Preisverleihung für mein Parkinson-Engagement. Beides zusammen war überwältigend und hat mir nochmal gezeigt, wie wichtig es ist, ein guter Mensch zu sein und sich auch für andere einzusetzen. Das war in dem Moment die Bestätigung für mich, ich habe danach immer wieder gesagt: „Einen schöneren Abschied hätte ich mir nicht vorstellen können.“

Sie haben in Hamburg eine Box-Gruppe für Frauen aufgebaut, die an Parkinson erkrankt sind – warum gerade Parkinson?

Ich bin in das Thema sozusagen „reingerutscht“. Vor zehn Jahren habe ich eine Ausbildung als Gymnastiklehrerin absolviert und in dem Zusammenhang in einer Reha-Einrichtung in einer Parkinson-Gruppe hospitiert. Ich habe den Übungsleiter so bewundert!  Die meisten Teilnehmenden hatten große Probleme mit ihrem Gleichgewicht, und der Gruppenleiter ist so freundlich und zugewandt auf sie eingegangen und hat sie motiviert. Ich weiß noch: Eine Frau konnte sich kaum halten, da hat er blitzschnell reagiert und sie aufgefangen. Ich dachte nur: „Wow, Respekt, wie er das macht.“ Später dann wurde ich vom Hamburger Boxverband gefragt, ob ich Frauen- und Inklusionsbeauftragte werden möchte. Ich habe zugesagt, und nach ein paar Wochen kam tatsächlich eine Anfrage vom Hamburger Sportbund, ob es denn schon ein Parkinson-Box-Projekt geben würde - zwei an Parkinson erkrankte Frauen hatten den Sportbund kontaktiert, nachdem sie einen TV-Beitrag zu dem Thema gesehen hatten. Als sich dann noch eine weitere Frau per Mail nach einem Boxtraining für Parkinsonerkrankte erkundigte, habe ich dem Sportbund gesagt: „Okay, dann setzen wir uns am besten mal alle zusammen.“ Wir kamen dann auch wirklich alle zusammen: die zwei erkrankten Frauen, die Ansprechperson vom Hamburger Sportbund und ich. Es war total verrückt, wie aufgeregt die beiden Frauen waren, sie haben sich so sehr ein Boxtraining gewünscht. Die eine hatte sogar schon ein Logo erstellt und das Ganze „KO-Parkinson“ genannt. Ich habe nur gesagt: „Okay, dann müssen wir jetzt loslegen.“ Eine Woche später haben wir angefangen, das war im Dezember 2021. Heute sind 11 Frauen in der Gruppe dabei, die Jüngste ist 45 Jahre alt, die Älteste 80. 

Und wie war der Start?

Ich war immer davon ausgegangen, dass ich das Aufwärm-Training genauso machen würde wie in den Gruppen bisher: Die Teilnehmerinnen laufen schnell durch den Boxring, die Musik wird laut aufgedreht und so weiter. Da habe ich aber ganz schnell gemerkt: So geht es nicht, und auch die Frauen haben gesagt: „Dilar, das strengt uns zu sehr an.“ Selbst die Musik war zu viel. In dem Moment habe ich erst begriffen, dass das Training in dieser Gruppe viel ruhiger, langsamer und behutsamer vonstatten gehen muss. Ich habe durch die Gruppe gelernt, dass weniger mehr ist. Ich möchte schließlich niemanden überfordern, aber auch niemanden unterfordern. Deshalb ist es in der Gruppe auch so wichtig, auf jede Einzelne einzugehen und sich immer wieder neue Übungen einfallen zu lassen. Unser Projekt ist eigentlich eine Kombination aus Krankengymnastik oder Reha-Sport und dem Box-Sport. Das gab es in der Form bisher nicht. Die Teilnehmerinnen sind jedenfalls begeistert, immer wieder höre ich: „Dilar, wenn wir beim Reha-Sport sind, ist das oft langweilig, hier haben wir so viel Spaß!“. Ich freue mich natürlich, dass ich mit dem, was meine größte Leidenschaft ist, anderen so viel Mut, Zuspruch und Freude bereiten kann.

Wie kann gerade das Boxen Menschen mit Parkinson unterstützen?

Es ist einfach ein tolles Ganzkörpertraining. Die Arm- und Beinkoordination wird gefordert, die Reaktionsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit. Die Teilnehmerinnen sagen mir immer wieder: „Man merkt gar nicht, dass man sich so viel bewegt“. Vor allem nach dem Training fühlen sie sich besser. Wenn ich überlege, was die Gruppe für eine Entwicklung durchgemacht hat von der ersten Stunde bis heute. Die Frauen meinten mal, es sei ihnen am Anfang schwergefallen, bis vier zu zählen. Ich habe erst gar nicht verstanden, was sie meinen. Es ist dieser Bewegungsablauf, also abwechselnd links und rechts zu schlagen. Heute ist mir das natürlich klar. Wenn man an Parkinson erkrankt ist, kann es zunächst leicht überfordern, diese Bewegungsabläufe durchzuführen. Da hilft das regelmäßige Training. Und wenn man in einer Gemeinschaft trainiert, die sich gegenseitig motiviert und Spaß hat, ist das für alle Gold wert.

"Wenn man mit einer so unberechenbaren Erkrankung wie Parkinson zu kämpfen hat, es aber eine Gruppe gibt, in der man Halt und Zusammengehörigkeit findet, ist es ein gemeinsamer Kampf."

Kämpfen die Frauen in der Gruppe auch gegeneinander?

Nein, nein! Bei uns wird niemandem ins Gesicht geboxt, es gibt auch keinen Kampf. Ich gestalte die Übung immer spielerisch, sodass niemand überfordert wird. Es geht darum, den Box-Sport im Sinne der Gesundheitsförderung zu nutzen, also um Bewegungsabläufe zu automatisieren und die Fitness zu steigern. Wir machen einfache Partnerübungen, Reaktionsübungen, Schattenboxen, Trippeln auf der Stelle.   

Welche Erfolge erkennen Sie und auch die Frauen durch das Box-Training?

Natürlich freuen sich die Frauen, wenn ich ihnen sage, dass ihre Bewegungen inzwischen auch nach Boxen aussehen. Das war am Anfang überhaupt nicht der Fall, alles wirkte noch sehr unbeholfen. Mittlerweile haben die Frauen die Erfahrung gemacht, dass sich ihre körperlichen Fähigkeiten und ihre Selbstwahrnehmung durch das Boxtraining verbessern können, das ist etwas Besonderes, denn üblicherweise wird man durch eine Parkinsonerkrankung - die ja fortschreitet und unheilbar ist - eher damit konfrontiert, dass sich die Dinge verschlechtern. Erstaunlich ist aber auch für mich, dass die Frauen so sehr auf mentaler Ebene an Stärke gewonnen haben. Die Teilnehmerinnen wurden mal in einem Interview gefragt, was das Boxen mit ihnen gemacht hat, und na klar haben alle ihre körperlichen und kognitiven Veränderungen genannt. Ich war überrascht, dass alle aber auch sagten: „Ich gehe so viel selbstsicherer durch den Alltag.“ Oder: „Meine Persönlichkeit hat sich durch das Boxen gestärkt.“ Wenn man mit einer so unberechenbaren Erkrankung wie Parkinson zu kämpfen hat, es aber eine Gruppe gibt, in der man Halt und Zusammengehörigkeit findet, ist es ein gemeinsamer Kampf. Das tut einfach gut. Oftmals haben die Frauen neben Parkinson ja noch mit anderen Belastungen zu kämpfen, manchmal auch mit Depressionen. Wenn ich dann sehe, wie sie in der Trainingshalle aufblühen, wie sich ihre Stimmung verbessert und welche Beziehungen sie zueinander haben, macht mich das glücklich. Dafür brennt mein Herz.  

Haben Sie schon eine Idee, was sie mit dem Preisgeld machen möchten?

Wir möchten uns mit Sportkleidung ausstatten, auf der unser Logo „KO-Parkinson“ zu sehen ist, damit unsere Gruppe auch äußerlich als eine Einheit rüberkommt. Außerdem wollen wir neben dem wöchentlichen Training noch mehr gemeinsame Aktivitäten starten. Neulich haben wir zum Beispiel eine amphibische Hafenrundfahrt mit einem Schwimmbus gemacht und waren danach essen. Das fühlt sich an wie in einer kleinen Familie. Wir haben auch eine gemeinsame WhatsApp-Gruppe und tauschen uns dort aus. Das ist besonders wichtig in Zeiten, in denen die Frauen vielleicht nicht regelmäßig zum Training kommen können, weil es ihnen körperlich nicht gut geht. Niemand ist allein mit seiner Erkrankung.

Ihre Profikarriere als Boxerin ist beendet, welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Ich werde mich auf jeden Fall weiter für das Parkinson-Boxen engagieren. Aktuell starte ich eine Kooperation mit den Geschäftsführern von Baden Health GbR, die eine Parkinson-Intensivtherapie entwickelt haben, mit der sie auch den erkrankten Fernsehmoderator Frank Elstner begleiten. Boxen gehört als Bestandteil dazu, und wir haben nun gemeinsam ein Trainingsprogramm für Therapeutinnen und Therapeuten erarbeitet, das wir als Fortbildung anbieten. Mein Ziel ist es, als Referentin in Kureinrichtungen, Kliniken oder Physiopraxen zu gehen, um dem Team vor Ort Werkzeuge an die Hand zu geben, so dass sie das Parkinson-Boxen selbst anbieten und umsetzen können. Meine Parkinson-Boxgruppe leite ich natürlich weiter.

Sie leiten die Gruppe ehrenamtlich, oder?

Ja, das stimmt. Aber das Schöne ist ja, dass ich durch Preis- oder Fördergelder auch mal eine kleine Aufwandsentschädigung bekomme. Das Wichtigste war aber immer für mich, was sich aus meinem Engagement entwickeln wird. Ich habe damals mit der Gruppe einfach losgelegt, weil ich es so toll fand, wie die Frauen mir gegenübersaßen. Und wenn ich jetzt erlebe, wie sehr mich diese Aufgabe erfüllt, was ich an Dankbarkeit und Freude zurückbekomme, dann ist das für mich genau der richtige Weg. Ich wollte mir immer etwas aufbauen, was ich auch nach der Boxkarriere machen kann, und jetzt gibt es für mich wirklich das Ziel, zu sagen: Ich will das Parkinson-Boxen deutschlandweit bekannt machen. Dafür sind bereits weitere Projekte mit anderen Partnern geplant. Ich kann mir zum Beispiel sehr gut vorstellen, das Boxen auch für Menschen mit Multipler Sklerose anzubieten und mich auf das therapeutische Boxen bei neurodegenerativen Erkrankungen zu fokussieren. Am Ende geht es ja immer um das Boxtraining, das den Menschen zugutekommt. Vieles ist hier möglich.

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung  

Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)  in Tübingen ist eines der bundesweit größten und modernsten Zentren zur Erforschung neurologischer Erkrankungen. Das HIH ist ein modellhaftes Forschungszentrum im Zusammenspiel öffentlicher Ressourcen und privater Stiftungsmittel.

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Interview mit Prof. Dr. Kathrin Brockmann zu Parkinson

3 Fragen an Prof. Dr. Kathrin Brockmann, Forschungsgruppenleiterin der „AG Klinische Parkinsonforschung“ am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen e.V. (DPG)

1. Welche positiven Effekte hat das Boxtraining bei Parkinson?

Zunächst ist es wichtig zu unterscheiden, dass ausschließlich das Boxtraining ohne Körperkontakt - also ohne direkte Schläge gegen den Gegner - positive Auswirkungen hat. Für den klassischen Boxkampf mit Körperkontakt gilt das nicht. Das regelmäßige kontaktlose Boxtraining kann sich auf das Gleichgewichtsverhalten, den Gang, die Feinmotorik und Koordination positiv auswirken. Einige Studien berichten sogar von positiven Effekten auf die Kognition. Es kommt also genau in den Bereichen zu einer Verbesserung, in denen Parkinson-Erkrankte in ihrem Alltag über Schwierigkeiten berichten.  

2. Warum eignet sich gerade das Boxtraining bei Parkinson-Symptomen?

Boxen ist eine Sportart, für die wir sehr viel Koordination, Gleichgewicht, aber auch muskuläre Fitness und Kreislaufregulation brauchen. Durch diese Komplexität werden viele Körpereigenschaften, die mit Bewegung, aber eben auch mit Reaktionsgeschwindigkeit und geistiger Flexibilität zu tun haben, adressiert und geübt. Beim Tanzen ist das ähnlich komplex. Auch hier werden Gleichgewicht, Koordination, Feinmotorik und das Rhythmusgefühl trainiert. Auch Tischtennis eignet sich für Menschen mit Parkinson wunderbar. Der positive Trainings-Effekt ist also nicht boxspezifisch, sondern trifft auf viele Sportarten zu, die unser System besonders herausfordern. 

3. Können Schläge auf den Kopf wie beim Boxen nicht sogar die Entwicklung von Parkinson befördern? Der dreifache Boxweltmeister Muhammad Ali war an Parkinson erkrankt. 

Wir wissen, dass wiederholte Kopftraumata mit und ohne Bewusstlosigkeit nicht nur das Risiko für Parkinson, sondern generell das Risiko für neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Demenz vom Lewy-Körper Typ, oder die frontotemporale Demenz ganz eindeutig erhöhen. Wiederholte traumatische Kopfverletzungen gehen mit einer Nervenzellschädigung einher. Dann kommen noch weitere Prozesse, wie zum Beispiel eine Entzündungsreaktion im Gehirn, eine eingeschränkte Energiereserve sowie ein mangelnder Abbau schädlicher Stoffe in den Nervenzellen hinzu. Am Ende sind das genau die biologischen Stoffwechselprozesse, die wir als Ursache der Parkinson-Erkrankung aber auch bei Alzheimer kennen. Es gibt also eindeutig einen Zusammenhang. In Zahlen: Das Parkinson-Risiko erhöht sich durch wiederholte Kopf-Traumata im Schnitt um den Faktor 1,5 bis 3, je nach Studie. Das wurde wiederholt gezeigt und ist sehr valide. Das körperbetonte Boxen mit direkten Schlägen auf den Gegner ist also nicht als gesundheitsfördernde Sportart zu empfehlen, sondern ein Risikofaktor für die Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen. Das Gleiche ist in Studien gezeigt worden für Rugby, American Football oder auch Eishockey, also Kontakt- Sportarten, bei denen wir gegeneinanderprallen.  

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