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Jubiläums-Interview mit Dr. Nikolaus von Bomhard, Oktober 2024

Die Hertie-Stiftung hat die großen Themen unserer Zeit frühzeitig erkannt

Anlässlich des 50. Jubiläums der Hertie-Stiftung spricht Kuratoriumsmitglied Dr. Nikolaus von Bomhard, Aufsichtsratschef der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, über den Beitrag der Hertie-Stiftung zur Demokratie und die Relevanz der Hirnforschung.

Quick Read: Worum es geht

Dr. Nikolaus von Bomhard , Aufsichtsratschef der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft und seit 2017 im Kuratorium der Hertie-Stiftung, teilt im Jubiläums-Interview seine Beweggründe für die Mitarbeit in dem Gremium und berichtet über beeindruckende Begegnungen. Er erörtert, welche Governance-Praktiken von Unternehmen auf Stiftungen übertragbar sind und welche Herausforderungen die Hertie-Stiftung in den nächsten Jahren meistern muss. Zudem spricht er über die Bedeutung einer nachhaltigen Geldanlage und seine persönliche Verbindung zu den Schwerpunkten der Stiftung.  

Der Erfolg der Hertie-Stiftung ist auch einem Kuratorium zu verdanken, das die Geschicke der Stiftung beratend begleitet und dem Vorstand bei grundlegenden Entscheidungen zur Seite steht. Dr. Nikolaus von Bomhard, langjähriger Vorstandsvorsitzender und heutiger Aufsichtsratschef der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, ist seit 2017 Mitglied im Kuratorium der Hertie-Stiftung. Welche Begegnungen ihn nachhaltig beeindruckt haben, was eine große Stiftung von einem erfolgreichen Wirtschaftsunternehmen lernen kann - und worin für Stiftungen die Kunst einer erfolgreichen Geldanlage besteht, erzählt der Jurist und Top-Manager in unserem Jubiläums-Interview.  

"Die personelle Zusammensetzung und die Zielsetzung der Stiftung fand ich großartig."

Warum sind Sie dem Ruf ins Kuratorium der Hertie-Stiftung gefolgt? Wie kam es dazu? 

Der Auslöser war ein ganz Einfacher: Mein Vorgänger als Aufsichtsratsvorsitzender der Münchener Rück, Dr. Hans-Jürgen Schinzler, war selbst Mitglied im Kuratorium der Hertie-Stiftung. Im Rahmen der Amtsübergabe sagte er zu mir: „Ich habe das ein oder andere Mandat. So wie ich Sie kenne“ – und wir kannten uns gut – „würde Sie genau dieses interessieren.“ Da nannte er das erste Mal die Hertie-Stiftung. Er wollte aus Altersgründen aus dem Kuratorium ausscheiden und ermunterte mich regelrecht: „Es würde mich freuen, wenn Sie das machen.“ So kam ich mit der Hertie-Stiftung in Berührung und habe mir natürlich sofort angesehen: Was macht die Stiftung? Wer ist dort tätig? Ich kannte einige Mitglieder aus dem Vorstand und natürlich auch im Kuratorium. Die personelle Zusammensetzung und die Zielsetzung der Stiftung fand ich großartig, so dass ich mich ohne zu zögern für die Aufgabe im Kuratorium interessiert und entschieden habe.   

Sie waren 13 Jahre lang Vorstandsvorsitzender der Münchener Rück und kennen sich als Top-Manager mit Wirtschaft und Finanzen aus - haben Sie einen bestimmten Part im Kuratorium der Stiftung, oder wie muss man sich die Zusammenarbeit vorstellen?   

Es ist sicher so, dass ein Kuratorium mit den Aufgaben, die es bei der Hertie-Stiftung hat, immer dann gut besetzt ist, wenn es im besten Sinne divers ist. Da hat jeder so ein bisschen ein Ticket, würde ich mal vorsichtig sagen. Bei mir ist es in der Tat die unternehmerische Erfahrung und speziell die Welt der Finanzen, sodass ich damals auch im Anlageausschuss saß, den es heute in der Form nicht mehr gibt. Aber wir telefonieren uns noch regelmäßig zusammen, um über die Anlagen zu sprechen. Das andere ist meine Governance-Erfahrung, also zu wissen, wie Institutionen arbeiten und wie eine gute Governance aussehen müsste. Gleichzeitig ist es wichtig, ein persönliches Netzwerk von Menschen zu haben, die sich vielleicht für die Stiftung – in welcher Form auch immer – interessieren oder interessieren sollten. Auf diese Mischung kommt es meiner Ansicht nach an. Und wenn man sieht, wer im Kuratorium der Hertie-Stiftung sitzt, sind dort verschiedene Klassen der Wissenschaft vertreten, immer mit Blick auf die Aspekte, die man fördern möchte. Die Politik ist vertreten, aber eben auch die Unternehmenswelt.   

"Man kann es eine glückliche Fügung nennen oder auch kluge Voraussicht, dass die Hertie-Stiftung das Thema Demokratie so früh und so engagiert in den Fokus genommen hat."

Die Demokratie steht unter Druck, das Wirtschaftswachstum hierzulande stagniert – was sind die großen Herausforderungen, vor denen die Hertie-Stiftung künftig steht? 

Ich glaube, man kann es eine glückliche Fügung nennen oder auch kluge Voraussicht, dass die Hertie-Stiftung das Thema Demokratie so früh und so engagiert in den Fokus genommen hat. Denn es ist das Thema für unsere Gesellschaft. Unsere Gesellschaftsform, eine westlich geprägte Demokratie, steht unter Druck aus sehr nachvollziehbaren und weniger nachvollziehbaren Gründen. Sich vor diesem Hintergrund mit dem Stiftungsschwerpunkt Demokratie stärken an die Wurzeln des Problems heranzubewegen und zu versuchen, mit den Mitteln, die einem zur Verfügung stehen, Stellung zu beziehen, und eben auch im besten Sinne zu bilden, ist einfach großartig. Für mich ist das allein schon hinreichend als Raison d'être, also als Daseinszweck der Hertie-Stiftung, natürlich neben dem ebenso wichtigen Fokus auf die Neurowissenschaften, dem zweiten großen Förderschwerpunkt. Im Englischen würde man sagen: „Spot on!“  

Wie war es für Sie, sich im Kuratorium mit dem Hertie-Schwerpunkt Gehirn erforschen zu beschäftigen? Ist dieses Thema etwas für Sie?  

Bei der Demokratie tue ich mich natürlich leichter mitzureden als bei der Frage der Hirnforschung. Andererseits finde ich es bemerkenswert, wenn man mit forschenden Medizinern spricht und diese einem ehrlich sagen: „Bei den neurodegenerativen Erkrankungen sind wir leider noch nicht so weit, wie wir es uns wünschen würden.“ Und dass man an dieser Stelle so dezidiert, engagiert und auch wieder so frühzeitig diese große und bedeutende Herausforderung angeht, finde ich großartig. Frau Dr. Astrid Proksch, die Geschäftsführerin des Bereichs Gehirn erforschen, habe ich recht früh kennengelernt, und das hat mir auch persönlich geholfen. Eines meiner Familienmitglieder ist an Multipler Sklerose erkrankt, es gibt für mich also auch ein ganz besonderes Interesse an der Hirnforschung. Als Nicht-Naturwissenschaftler steht man zwar manchmal nur staunend vor den wissenschaftlichen Fragen und Antworten, aber die Relevanz des Forschungsgebietes ist überragend, weil eben noch enorm „Strecke gemacht“ werden kann und muss.   

Welches Erlebnis in der Hertie-Stiftung ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? 

Nach den Kuratoriumssitzungen kam es öfter vor, dass die Stiftung für uns noch persönliche Treffen organisiert hat. Einmal tagten wir im Jüdischen Museum und es folgte eine Anschlussveranstaltung, die mich viel über den Geist der Stiftung erfahren ließ. Für jemanden wie mich, der in München und Portugal lebt, also räumlich vom Stiftungssitz in Frankfurt weit entfernt, und zudem nicht in einem Kuratorium eines einzelnen Stiftungswerkes vertreten ist, sind diese Begegnungen nicht nur hochinteressant und relevant, sondern auch emotional sehr bewegend. So erinnere ich mich an ein Treffen mit Alumni und Stipendiaten der START-Stiftung. Wir saßen an diesem Abend in einer Runde zusammen und haben uns intensiv miteinander unterhalten. Es war für mich berührend zu sehen, wie die Stiftung mit ihrer Unterstützung diesen jungen Menschen hilft sich zu entwickeln, und was dann aus ihnen wird oder geworden ist, wie sie sich präsentieren, was sie sagen, welche Ziele sie haben. Sehr gern erinnere ich mich aber auch an die Begegnungen mit Prof. Henrik Enderlein, dem damaligen Präsidenten der Hertie School. Er war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, gerade für mich, der damals neu war bei der Hertie-Stiftung. Ihn zu erleben mit all seinen Aktivitäten, die er weit hinaus über seine Position als Hochschulpräsident verfolgte, hat mich sehr beeindruckt. Es war für mich und uns alle eine bittere Erfahrung, dass er viel zu früh verstorben ist. Gleichzeit steht Henrik Enderlein für die vielen anderen großartigen Persönlichkeiten – ich kenne auch die jetzige Präsidentin der Hertie School Frau Prof. Woll und schätze sie sehr – die mit der Arbeit der Hertie-Stiftung verbunden sind.  

"Die Menschen machen die Stiftung erfolgreich. Es braucht das Geld dazu, klar, aber am Ende sind es immer die Menschen."

Was wünschen Sie der Hertie-Stiftung für die nächsten 50 Jahre? 

Das Wichtigste für eine Stiftung ist es, dass sie die richtigen Menschen gewinnt für die relevanten Herausforderungen unserer Gesellschaft. Das fängt bei der Geschäftsführung und dem Vorstand an und geht über die Mitarbeitenden bis ins Kuratorium, wobei man im besten Sinne divers aufgestellt sein sollte. Dabei geht es nicht darum, dass irgendwelche Schlüssel für irgendwelche Geschlechter eingehalten werden. Nein, es geht darum, dass aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft Menschen zusammenkommen, auch mit internationaler Erfahrung, die einen guten Umgang miteinander pflegen und die Ausrichtung der Stiftung immer wieder hinterfragen und neu auf das kalibrieren, was in den großen beiden Themenfeldern gerade wirklich relevant ist. Ich wünsche der Hertie-Stiftung weiterhin das wissenschaftliche Know-how und auch das Gespür dafür, wo sie als Stiftung nachlegen und Schwerpunkte setzen muss. Wenn die Universitäts- und Forschungslandschaft oder andere Institutionen der Zivilgesellschaft ein Thema oder eine Frage bereits gut abdecken oder sogar eine Lösung bieten können, bedarf es der Stiftung nicht. Die Stiftung soll ja einige der Themen adressieren, die sonst liegenbleiben. Dafür muss ich Menschen gewinnen, die nahe genug an den großen Themen sind, die das Sensorium dafür haben, aber auch den Mut, bestimmte Aktivitäten zu gegebener Zeit einzustellen. Man kann nicht immer nur aufbauen, die Mittel sind begrenzt. Mut bedeutet dann: „Hier übergeben wir jetzt eines unserer Projekte oder Vorhaben in andere Hände oder einfach in die Welt da draußen. Wir machen jetzt etwas anderes, das Defizit ist hier viel größer und keiner kümmert sich darum.“ Also, die Menschen machen die Stiftung erfolgreich. Es braucht das Geld dazu, klar, aber am Ende sind es immer die Menschen.   

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung

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