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Foto: privat
Interview mit Luisa Hofmeier, März 2025

Politiker sind schließlich auch nur Bürger, die kandidiert haben

Anlässlich des bevorstehenden Kongresses für politische Kultur spricht Hertie-Projektleiterin Luisa Hofmeier über aktuelle Herausforderungen und notwendige Veränderungen im politischen Betrieb.
Demokratie stärken

Quick Read: Worum es geht

Im Interview spricht Luisa Hofmeier, Leiterin des Hertie-Projekts Beruf:Politik, über die wachsende Entfremdung zwischen Bürgern und Politik, die Belastungen für Mandatsträger und die Frage, wie sich der Politikbetrieb verändern muss. Mit Blick auf den Kongress zur politischen Kultur wird im Interview deutlich, welche Herausforderungen zu bewältigen sind und welche Lösungsansätze für eine lebendigere, vertrauenswürdigere und zukunftsfähige politische Kultur notwendig sind.

Ampel-Aus, Neuwahlen, Sondierungsgespräche und großer innen- und außenpolitischer Druck. Man kommt kaum noch hinterher. "Ist das nicht irre?" lautet deshalb auch das Motto des   Kongress für politische Kultur, der am 27. März 2025 in Berlin und im Live-Stream stattfindet. Denn es ist höchste Zeit, um über den politischen Betrieb zu diskutieren. Mit dabei sind u.a. Ricarda Lang, Marie-Agnes-Strack-Zimmermann, Anne Will, Danyal Bayaz, Michael Roth, Peter Tauber und viele andere. Die Themen reichen von schwierigen Koalitionsverhandlungen bis zu Mental Health in der Politik. Warum wir über diese Themen sprechen müssen und warum Sie diesen spannenden Kongress im Kalender schon mal vormerken sollten, erzählt Luisa Hofmeier, Leiterin des Hertie-Projektes Beruf:Politik, in unserem Interview.

Wozu braucht es den Kongress für politische Kultur?

Es gibt eine zunehmende Entfremdung zwischen Politik und Bevölkerung. Im demokratischen Miteinander ist etwas ins Rutschen geraten. Der Diskurs ist verhärtet, das merken wir im Parlament, in Talkshows und vielleicht auch im persönlichen Umfeld. Hinzu kommen diverse Krisen. Viele Menschen haben das Gefühl: „Es sind irre Zeiten“. Und: Zu wenige können sich vorstellen, selbst in die Politik zu gehen. Dabei würde es der Entfremdung etwas entgegensetzen, wenn mehr Menschen den gedanklichen Seitenwechsel vollziehen würden: Man kann nicht nur wählen gehen, sondern sich auch selbst zur Wahl stellen. Dafür versuchen wir mit dem Projekt Beruf:Politik zu werben. Wir stellen aber fest, dass der politische Betrieb viele Menschen abschreckt. Deshalb möchten wir mit dem Kongress für politische Kultur zum Auftakt der neuen Legislaturperiode mit Politikern aller Ebenen, mit politischem Nachwuchs, Journalisten und Wissenschaftlern über Verbesserungen diskutieren. 

Haben Sie ein „abschreckendes“ Beispiel für den politischen Betrieb?

Da gibt es viele Beispiele, auf die wir aktuell übrigens mit einer Social-Media-Challenge unter dem Hashtag #IstDasNichtIrre aufmerksam machen. Ein Problem ist sicherlich die bereits benannte Verrohung der politischen Debatte und damit zusammenhängend auch die Anfeindungen und Angriffe, denen Mandatsträger ausgesetzt sind. Ein anderes Problem ist der Umgang untereinander. Es gibt in der Politik den Ausspruch „Freund, Feind, Parteifreund“, der beschreibt, dass die härtesten Kritiker in den eigenen Reihen stehen. Der Umgang miteinander ist gerade auf Bundesebene sehr hart. Hinzu kommt: Politik – egal ob Spitzen- oder Kommunalpolitik – ist freizeit- und familienunfreundlich. Ständige Erreichbarkeit, Abend- und Wochenendtermine sind gängig. Auch für Ehrenamtliche, die übrigens den Großteil der Politiker in Deutschland ausmachen. Wertschätzung aus der breiten Bevölkerung gibt es dafür kaum. Im Gegenteil. Das Image von Politikern ist sehr negativ. Wäre das anders, würden sicherlich mehr Menschen in die Politik streben: Denn viele suchen ja nach einer sinnstiftenden Tätigkeit, mit der man etwas für die Gesellschaft tut, die Welt verändert und bei der man Selbstwirksamkeit erlebt. Der Politikberuf erfüllt all das.

Sind das Themen, die Sie auch bei dem Kongress für politische Kultur behandeln? Können Sie einen Einblick in das Programm und auf das Panel geben?

Wir werden uns mit einer Bandbreite an Themen beschäftigen, immer mit dem Ziel vor Augen, konkrete Lösungsansätze zu diskutieren. Starten werden wir mit der Frage, wie man Kompromisse findet und belastbare Koalitionen schafft – also einem sehr aktuellen Thema. Dabei sein werden unter anderem Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und die Wissenschaftsministerin von Mecklenburg-Vorpommern Bettina Martin. Vorher hält Ricarda Lang eine Keynote mit dem Titel „Von irre zu irre gut – wie wir den politischen Betrieb verändern können“. Besonders gespannt bin ich auf das Panel „Politik fragt Medien - vom guten und schlechten Streiten“. Dort wird Volt-Gründer Damian Boeselager zwei Schwergewichte des Journalismus interviewen: Anne Will und Claus Kleber. Wir haben aber zum Beispiel auch ein Panel zum Thema: „Was können Manager und Politiker voneinander lernen?“ mit Eva Christiansen (CDU), Armand Zorn (SPD) und Thomas Sattelberger (FDP).

Es wird auch ein Panel zum Thema „Tabu Mental Health“ geben. Was hat es damit auf sich?

Dabei geht es um den Umgang mit psychischen Belastungen oder auch Erkrankungen in der Politik – das sind noch immer absolute Tabu-Themen. Politiker sind aber natürlich, wie die Gesamtbevölkerung, auch betroffen. Verstärkend kommen beispielsweise hohe Arbeitsbelastung oder das Ertragen von Hass und Hetze hinzu. Gesprochen wird öffentlich über Probleme aber erst, wenn es schon zu spät ist und jemand mit Burnout oder aus anderen gesundheitlichen Gründen aufhört. Für unser Panel habe wir drei namhafte Politik-Aussteiger gewinnen können, die offen über ihre Erfahrungen sprechen: SPD-Außenexperte Michael Roth, Ex-CDU-Generalsekretär Peter Tauber und FDP-Spitzenpolitikerin Katja Suding. Ich bin den dreien dankbar, dass sie bei der Enttabuisierung helfen.

"Das Land ist politisiert und wir sollten diese Chance nutzen, um mehr Menschen Wege in die Politik zu bahnen."

Welche Chancen sehen Sie aktuell, dass sich die politische Kultur positiv verändern kann?

Die Bereitschaft, sich zu verändern, ist eher da, wenn der Druck hoch ist. Und weil gerade die Parteien der Mitte unter enormem Druck stehen, hoffe ich, dass wir eine Veränderung sehen werden. Das Phänomen konnte man – auf einer anderen Ebene – übrigens bei der Linkspartei ganz gut beobachten, denn dass die Partei plötzlich so aktiv auf TikTok ist, hat auch damit zu tun, dass die eigene Existenz auf dem Spiel stand. Dann tanzt auf einmal Gregor Gysi vor der Kamera. Eine noch größere Chance sehe ich darin, dass wir gesellschaftlich gerade ein wahnsinnig hohes Interesse an Politik haben. Es gibt zwar eine Parteienverdrossenheit, aber die Politikverdrossenheit, über die wir lange gesprochen haben, würde ich so nicht mehr feststellen. Das sieht man auch an der hohen Wahlbeteiligung: Das Land ist politisiert und wir sollten diese Chance nutzen, um mehr Menschen Wege in die Politik zu bahnen und dadurch die Verbindung zwischen Repräsentanten und Wählern zu stärken.

Welchen Beitrag kann die Hertie-Stiftung dazu mit diesem Kongress leisten? Wie wichtig ist dieses Engagement?

Politiker sind für unsere repräsentative Demokratie unabdingbar. Ebenso ist unabdingbar, dass die Wählerinnen und Wähler ihren Volksvertretern vertrauen. Sonst funktioniert das ganze Prinzip der Repräsentation ja nicht. Das ist der Kern, womit wir es hier zu tun haben, und warum sich die Hertie-Stiftung diesem Feld widmet. Unser Beitrag ist, dass wir Themen setzen, die anderweitig unterbeleuchtet bleiben, und Diskussionen anstoßen. Und dabei auch für einen wohlwollenderen Blick auf Politiker werben. Sie sind schließlich auch nur Bürger, die kandidiert haben. Zugleich muss sich die Politik dringend überparteilich mit den Problemen des Politikberufs auseinandersetzen – um etwas gegen die Vertrauenskrise in der Bevölkerung zu unternehmen und die nächste Generation nicht zu vergraulen. Wir stellen fest, dass dies aber zu wenig und vor allem nicht überparteilich geschieht, auch weil es an Formaten hierfür fehlt. Räume für diesen Austausch müssen Institutionen schaffen, die eben nicht parteipolitisch engagiert sind und deswegen kommt der Hertie-Stiftung hier eine besondere Rolle zu. Gleichzeitig arbeitet die Stiftung seit Jahrzehnten mit jungen Menschen. Wir erreichen deswegen mit unseren Workshops und unseren Veranstaltungen auch Personen in unseren Alumni-Netzwerken, die sonst vielleicht nicht ihren Weg in Politik finden würden.

Wie wird es mit den Ergebnissen, die auf dem Kongress erarbeitet werden, weitergehen?

Zum einen werden wir die Ergebnisse zusammentragen und aufbereiten, also in einer Best Practice-Sammlung. Die kann man dann auf unseren diversen Kanälen finden, wie zum Beispiel auf LinkedIn, TikTok, Instagram oder unserem Newsletter, den wir nach dem Kongress starten und für den man sich jetzt schon anmelden kann. Die Ergebnisse werden uns zudem dabei weiterhelfen, das Programm von Beruf:Politik weiterzuentwickeln. Es bleibt also spannend.

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