Frankfurt, 26.04.2022. Die Themen Inklusion und Diversität werden, nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Demografie und Fachkräftemangel, auch in der Arbeitswelt immer wichtiger. Dennoch haben sich Beschäftigungsperspektiven und Arbeitsbedingungen speziell für chronisch erkrankte Menschen bisher nicht ausreichend verbessert: Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Civey unter 2500 Entscheiderinnen und Entscheidern* im Auftrag der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.
Darin gaben zwar 49 Prozent der Befragten an, dass sie mit der praktischen Integration von chronisch Erkrankten in ihrem Unternehmen zufrieden seien – die Mehrheit jedoch zeigte sich hier unentschieden oder sogar unzufrieden (38 Prozent und 13 Prozent). Mehr als jeder zweite Befragte (52 Prozent) sagte, sein Unternehmen verfüge bislang nicht über eine konkrete Strategie, um Inklusion und Diversität in der Personalakquise zu fördern, weitere 18 Prozent äußerten sich auch hier unentschieden.
„Die Umfrageergebnisse zeigen: Der Bewusstseinswandel ist da. Doch es ist noch ein weiter Weg, bis er – über entsprechende Strukturen in den Unternehmen – die Jobchancen und Arbeitsbedingungen für Menschen mit chronischen Erkrankungen wie MS flächendeckend verbessert“, sagt Dr. Eva Koch, Leiterin der Multiple-Sklerose-Projekte bei der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.
Awareness-Kampagne für Arbeitgebende: Information, Inspiration und Hilfestellung
Die Stiftung fördert die Multiple-Sklerose-Forschung, die Arbeit von MS-Initiativen und die Einzelfallhilfe für MS-Betroffene seit ihrer Gründung im Jahr 1974. Aktuell informiert sie mit ihrer digitalen Awareness-Kampagne auf der Website und ihren Social-Media-Kanälen über das Thema Multiple Sklerose am Arbeitsplatz. Neben dem Abbau von Vorurteilen möchte die Hertie-Stiftung Arbeitgebende dazu motivieren, offen für die Bedürfnisse aller Mitarbeitenden zu sein, um jedem die Möglichkeit zu geben, seine individuelle Leistungsfähigkeit auszuleben. Dazu gehört auch eine Offenheit gegenüber Menschen, die mit einer chronischen Erkrankung leben.
Wie die Umfrage zeigt, scheitert die Inklusion am Arbeitsplatz bislang vor allem an zu starren Arbeitszeitmodellen (38 Prozent Zustimmung), aber auch an mangelndem Vertrauen in die Fähigkeiten von Betroffenen (34 Prozent) und Vorurteilen (27 Prozent) – hier sehen die privatwirtschaftlichen Entscheider den größten Veränderungsbedarf. Die Hertie-Stiftung möchte dazu beitragen, solche Stigmatisierungen abzubauen. „Menschen mit einer Multiple Sklerose oder einer anderen chronischen Erkrankung bei Stellenbesetzungen außen vor zu lassen bedeutet, auf Kompetenz und Wissen zu verzichten“, sagt Hertie-Projektleiterin Koch.
Doch es gibt ermutigende Beispiele aus der Arbeitswelt: Vertreter namhafter Unternehmen bereichern die Kampagne der Hertie-Stiftung mit persönlichen Erfahrungsberichten. Auch der Bundesverband Deutscher Arbeitgeber (BDA) und die Bundesagentur für Arbeit unterstützen das Projekt. Untenstehend Auszüge aus den Statements, die als Video-Interviews auch auf der Kampagnen-Website zu finden sind.
Marina Zdravkovic, Vorsitzende der Gesamtschwerbehindertenvertretung Siemens AG: „Das Thema Inklusion ist keine Eintagsfliege – es ist ein Statement, wie wir als Gesellschaft miteinander leben und umgehen möchten. Wir sind stolz darauf, dass wir bei Siemens bereits seit 2014 eine Beschäftigungsquote von fünf Prozent haben: Mehr als fünf Prozent unserer Belegschaft sind Kolleginnen und Kollegen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen. In unserer Inklusionsvereinbarung haben wir vereinbart, wie wir zum Beispiel mit Bewerbungen von Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung umgehen, was wir für Weiterbildung und Qualifizierung und insbesondere für Barrierefreiheit bei Gebäuden und Technologien tun. Viele Arbeitgebende sind sich nicht bewusst, dass es bei vielen dieser Themen auch Unterstützung von staatlicher Seite gibt.“
Carlos Frischmuth, Managing Director Hays: „Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Multiple Sklerose verfügen über einzigartige Kompetenzen, die sie sich in der Regel auch über einen gewissen Leidensweg erworben haben. Dadurch zeigen sie beispielsweise große Empathie auch für andere Menschen in schwierigen Situationen – eine Kompetenz, die sie gewinnbringend für ihr Unternehmen einsetzen können. Wir kommen nicht umhin, über einen echten Kulturwandel in den Unternehmen zu sprechen: Er beginnt mit vermeintlich ganz einfachen Dingen wie Teilzeitmodellen, die aber in vielen Organisationen bis heute nicht selbstverständlich sind.“
Nikolas Schmitz-Lau, Personalchef Deutsche Börse AG: „Wir verzeichnen ein immer größeres Vertrauen von Betroffenen, sich zu öffnen und zu sagen: Hört her, ich habe eine chronische Erkrankung. Das zeigt uns, dass die Mitarbeitenden spüren: Wir sehen das nicht als negatives Attribut, das Karrierepfade und Entwicklungsmöglichkeiten versperrt, sondern wir leben Gleichbehandlung. Ob es eine chronische Erkrankung oder eine andere Beeinträchtigung ist: Jeder trägt seinen eigenen kleinen ‚Rucksack‘. Die Pandemie hat gezeigt: Es kommt auf gegenseitige Unterstützung und den Zusammenhalt an.“
Civey hat für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung vom 12. bis 22.04.2022 online 2.500 Privatwirtschaftliche Entscheider ab 18 Jahren befragt. Die Ergebnisse sind aufgrund von Quotierungen und Gewichtungen repräsentativ unter Berücksichtigung des statistischen Fehlers von 3,3 %. Weitere Informationen zur Methodik finden Sie hier. Wenn Sie Interesse an den Rohdaten zur Veröffentlichung haben, kontaktieren Sie uns bitte unter unten genanntem Pressekontakt.
Pressekontakt
Gemeinnützige Hertie-Stiftung
Mona Mann
Kommunikation
Tel. +49 69 660 756 – 157
E-Mail: MannM@ghst.de
*Zugunsten des Leseflusses wird in dieser Mitteilung im Folgenden das generische Maskulinum verwendet; es sind alle Geschlechtsidentitäten mitgemeint.