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Foto: Miss Germany Studios
Interview mit Dr. Valentina Busik, Juli 2025

In der START-Familie hat mich niemand ausgelacht – es ist ein Safe Space

Dr. Valentina Busik ist Ärztin, Miss Germany 2025 und ein Vorbild für junge Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Im Interview erzählt sie von ihrem Weg, ihrer Motivation und der Kraft der START-Community.
Demokratie stärken

Quick Read: Worum es geht

Dr. Valentina Busik, Ärztin und KI-Gründerin, spricht über ihren Weg von Selbstzweifeln zur Miss Germany 2025 – unterstützt durch ein prägendes START-Stipendium. Sie erzählt, wie Bildungsförderung ihr Selbstvertrauen stärkte, sie ihr KI-Projekt entwickelte und mit einem Avatar zur Wahl antrat. Besonders berührend: Der Gewinn wurde für sie zum Familienmoment. Ihre Botschaft: Netzwerke wie START verändern Biografien – durch Vertrauen, Räume zum Wachsen und gemeinsames Dranbleiben.

Von START zu Miss Germany: Mit fünf Jahren kam Dr. Valentina Busik (28) mit ihrer Familie aus Kasachstan nach Deutschland, erhielt als Schülerin ein Stipendium der START-Stiftung, die Jugendliche mit Migrationsbezug in ihrer Bildungs- und Engagementbiografie fördert. Heute ist Valentina Busik Ärztin in Weiterbildung zur Dermatologin, Enthusiastin für Künstliche Intelligenz (KI), START-Mentorin – und frisch gekürte Miss Germany 2025. Wie es zu diesem beeindruckenden Karriereweg kam, was Valentina jungen Menschen mit Einwanderungsgeschichte rät – und mit wem sie am liebsten einen Kaffee trinken würde, erzählt sie in diesem Interview:   

Herzlichen Glückwunsch zum Titel „Miss Germany 2025“! Du bist Ärztin und KI-Expertin – biegst Du jetzt von der Medizin auf den Laufsteg ab?

Nein (lacht), das ist nicht mein Ziel. Miss Germany ist seit 2020 kein Schönheitswettbewerb mehr, und die Frauen müssen dort auch nicht im Bikini posieren. Das wäre überhaupt nicht meins, da hätte ich mich auch nicht beworben. Heute geht es bei Miss Germany darum, Frauen auszuzeichnen, die Verantwortung übernehmen, und ihnen für ihre Mission eine Plattform zu geben, damit sie ihr Thema vorantreiben können. Es geht darum, Frauen mit zukunftsweisenden Projekten zu fördern, wie zum Beispiel meine Idee einer verständlichen Patientenaufklärung mithilfe künstlicher Intelligenz. Dass ich als Ärztin und KI-Enthusiastin Miss Germany 2025 bin, freut mich also sehr – und ohne START wäre ich sicher nicht da, wo ich heute stehe. 

Okay, fangen wir von vorn an. Wie bist Du zu START gekommen?

Mein Mathelehrer hat mich damals ermutigt, mich bei START zu bewerben. Ich hatte sehr gute Noten, gab Nachhilfe für Fünftklässler, dachte aber: „Das schaffe ich nicht. Ein Stipendium – das bekommen doch nur die deutschen Kinder, ich doch nicht.“ Dabei war mein Deutsch sehr gut: Ich war mit fünf Jahren mit meiner Familie aus Kasachstan nach Eisenach gekommen, lernte die Sprache im Kindergarten und in der Schule. Trotzdem zweifelte ich oft an mir – obwohl ich in Deutsch eine Eins hatte und gerne Aufsätze schrieb. Das Wort „Stipendium“ klang einfach zu weit weg, als würde es mir nicht zustehen. Mein Lehrer blieb dran: „Du schaffst das!“ Ich habe mich dann beworben und fleißig Unterstützung von Mama und Papa bekommen. Papa hat mich nach Erfurt gefahren zu dem Bewerbungsgespräch. Da sind wir auf dem Weg alle Punkte durchgegangen, und meine Eltern meinten: „Sei so, wie du bist. Aber gib richtig Gas.“ Ich glaube, ich habe der Jury sogar erzählt, dass ich mal einen Diddl-Maus-Wettbewerb gewonnen habe – obwohl ich vorher auch nicht an mich geglaubt hatte, aber es einfach versucht habe. Irgendwie konnte ich wohl überzeugen und habe das Stipendium bekommen.

Kannst Du Dich noch erinnern, auf welche Weise Du von START gefördert worden bist?

Ja, das werde ich nie vergessen. Ich war 15 Jahre alt, hatte zwei kleine Brüder – und plötzlich bekam ich 100  Euro Bildungsgeld im Monat. Für uns war das etwas ganz Großes. Auf einmal durfte ich mir Stabilo-Stifte leisten – nicht mehr nur die günstigen von Aldi oder Lidl. Das hat etwas mit mir gemacht, mit meinem Selbstwertgefühl. Natürlich wollten meine Brüder die Markenstifte auch gleich mitbenutzen, fragten ständig danach. Und dann der Laptop! Ich weiß noch, wie Mama und ich in der Küche standen, als das große Paket kam. Ich dachte: Sicher für die Nachbarn. Aber es war für mich. Laptop, Drucker – ich war völlig überwältigt. Diesen Laptop hatte ich bis ins zweite Semester meines Medizinstudiums. Ich habe ihn gehütet und gepflegt wie einen Schatz. Dass ich durch START die digitalen Medien nutzen konnte oder auch Vorträge vorbereiten, das war schon einmalig. Aber am meisten Spaß gemacht haben mir die Bildungsseminare.

"Es bleibt die START-Familie, die mich bis heute begleitet – sogar bis zur Wahl zur Miss Germany."

Inwiefern?

Ich war oft unterwegs – in Halle, Leipzig, auf dem Brocken oder bei der Sommerakademie in St. Peter-Ording. Was mich aber besonders motiviert hat, war der Austausch mit jungen Gleichgesinnten, die auch einen Migrationshintergrund hatten. Dort habe ich mich eher getraut, „dumme Fragen“ zu stellen, zum Beispiel zur Seminarfacharbeit. Ich habe mich für nichts geschämt. Das war so ein Safe Space, in dem ich mich sehr gerne aufgehalten habe. Wenn ich an START zurückdenke, muss ich einfach lächeln. Es hat richtig Spaß gemacht. Es bleibt die START-Familie, die mich bis heute begleitet – sogar bis zur Wahl zur Miss Germany.

Du hast sogar Deinen Freund bei START kennengelernt.

Ja, das war 2016 beim Alumni-Jahrestreffen in Wiesbaden, ein Jahr nach dem Abi. START-Alumnus Dmitry hat dort einen Politik-Kurs gehalten. Ich wollte erst gar nicht hin, kein Interesse. Eine Freundin meinte: „Komm mit, das ist super interessant.“ Ich saß dann im Kurs – und konnte vor Aufregung gar nicht richtig mitarbeiten. Seitdem sind Dmitry und ich unzertrennlich. Das zeigt, bei START kann man super gute Leute kennenlernen.

Von welcher START-Erfahrung profitierst Du heute auf Deinem Karriereweg ganz besonders?

Ich bin selbst Mentorin bei START und habe neulich in einem Power Talk gesagt: START hat mich besser aufs Studium und Berufsleben vorbereitet als die Schule. Dort gab es passgenaue Kurse – für angehende Mediziner, zu Bewerbungsgesprächen oder ein dreitägiges Assessment Center in Berlin. Das hat mir enorm geholfen, zum Beispiel als ich mich um ein Stipendium bei der Studienstiftung beworben habe: Dort war das Auswahlverfahren auch ein Assessment Center und ich wusste schon, was mich erwartet. Für mich war es damals auch neu, Vorträge zu halten. Ich hatte keine Ahnung, wie das geht. Da war es hilfreich, dass ich mich in einem Safe Space austauschen konnte und nicht vor den eigenen Klassenkameraden, die dann anfangen zu kichern oder so. Bei START wurde niemand ausgelacht, man hat sich immer gegenseitig unterstützt. Ich konnte in dieser Umgebung sehr gut wachsen. Ich erinnere mich zum Beispiel noch an mein erstes Bildungsseminar in Leipzig. Ich war wahnsinnig aufgeregt: meine erste Zugfahrt allein, den Weg finden. Und dann waren da so herzliche Menschen. Das Thema war „Vorträge halten“ – wieder etwas, vor dem ich Angst hatte. Am Ende hat es jeder geschafft. Das war ein starkes Gefühl. Und genau davon profitiere ich bis heute.

"Wir entwickeln eine KI-basierte Lösung, die Patienten laienverständlich aufklärt und gleichzeitig Notaufnahmen sowie die ambulante Versorgung entlastet."

Du bist Ärztin und KI-Enthusiastin. Worum geht es bei Deiner Arbeit?

Ich war fast zweieinhalb Jahre in der Uniklinik in Gießen, und jetzt arbeite ich in einer Praxis. Der Grund für den Wechsel: In einer Uniklinik habe ich für einen Patienten 15 Minuten Zeit, egal ob er Krebs oder Fußpilz hat. In der Praxis kann ich mich den Patienten mit mehr Zeit widmen. Der Kern meiner Arbeit ist aber zweigeteilt: Einerseits bin ich Ärztin, andererseits gründe ich gerade ein Unternehmen. Wir entwickeln eine KI-basierte Lösung, die Patienten laienverständlich aufklärt und gleichzeitig Notaufnahmen sowie die ambulante Versorgung entlastet – eine Art „KI-Box“ für den klinischen Alltag. Ich bin also bald nicht nur Ärztin, sondern auch Gründerin und Geschäftsführerin. Wir stehen in den Startlöchern.

Du hast Dich auch mit einem KI-Avatar für die Miss Germany Wahl beworben…

Ich habe zufällig bei LinkedIn entdeckt, dass man sich dort bewerben kann und fühlte mich von dem Konzept angesprochen. Ich hatte allerdings nur noch zwei Tage bis zur Bewerbungsfrist und weil die Zeit so knapp war, habe ich im Vorstellungsvideo einen Avatar für mich sprechen lassen. Mein digitaler Doppelgänger hat mich also vorgestellt und gesagt: „Wenn Interesse besteht, dann lade doch die echte Valentina ein.“ Ich wurde genommen und kam dann immer eine Runde weiter. START hat mich dabei riesig unterstützt, vor allem in der letzten Final-Runde, da wurde in der digitalen Publikumsabstimmung nochmal online richtig für mich getrommelt, nach dem Motto: „Guckt mal, eine START-Alumna ist so weit gekommen. Wir brauchen jetzt eure Stimmen!“. Es war so toll, dass ich mich wieder auf die START-Familie verlassen konnte.

Was war das für ein Gefühl, als klar war, dass Du Miss Germany 2025 bist?

Das war das krasseste Gefühl, das ich je erlebt habe. Ich musste die Augen schließen – aus Angst vor dem Aufprall. Ich war so nervös, als es hieß: „Welche Frau, wessen Leben verändert sich?“ Dann zog sich alles, es wurde immer wieder gesagt: „Miss Germany 2025 ist…“ Und ich dachte nur: „Komm schon, sag einfach einen der drei Namen – irgendeinen!“ Dann hat die Moderatorin plötzlich den Tonfall geändert und wiederholt: „Miss Germany 2025 ist…“ – und dann kam mein Name. Ich habe es erst wirklich begriffen, als meine Familie – sie saß direkt links von mir – völlig ausgerastet ist. Sie sind aufgesprungen, ich habe die Schreie meiner Brüder gehört. In dem Moment wusste ich: Wir haben gewonnen. Nicht ich – wir. Ich bin ein totaler Familienmensch, und dieses Gefühl, das gemeinsam geschafft zu haben, war einfach überwältigend. Ich würde es am liebsten noch einmal erleben.

Woher nimmst Du diesen Ehrgeiz, die Begeisterung, das Dranbleiben?

Ich bin mit viel Ehrgeiz aufgewachsen. Mein Vater war früher Sportler – sehr diszipliniert und zielstrebig. Sportlich konnte ich selbst wegen einer inzwischen kurierten Nierenerkrankung oft nicht mithalten. Aber schon damals habe ich für mich entschieden: „Ich werde Ärztin.“ Mein Vater hat das sofort unterstützt, aber auch klar gesagt: „Dann musst du in der Schule richtig Gas geben.“ Das habe ich getan. Zu Hause gab es ein Belohnungssystem: Für eine Zwei im Zeugnis gab es fünf Euro, für eine Eins zehn. Aber – sobald eine Drei dabei war, gab es gar nichts. Auch nicht für die guten Noten daneben. Das hat mich geprägt. Ich habe früh gelernt, dranzubleiben und mein Bestes zu geben.

Okay, das spornt natürlich an – war aber schon hart, oder?

Ja, das stimmt. Aber unsere ganze Familie ist sehr ehrgeizig. Aus meinen Brüdern sind echte Leistungssportler geworden. Wenn ich etwas unfair fand und weinend zum Telefon gegriffen habe, waren sie diejenigen, die sagten: „Heul nicht rum.“ Und ich so: „Okay, dann eben nicht.“ Das war direkt, aber immer liebevoll. Meine Mama ist außerdem ein sehr positiver Mensch, sie hat immer gesagt: „Das schaffst Du“, egal, was ich mir vorgestellt habe. Auch zur Bewerbung bei Miss Germany hat sie von Anfang an gesagt: „Bewirb dich!“ Ich hatte Zweifel, vor allem wegen der 99 Euro Bewerbungsgebühr, dachte: „Lohnt sich das?“ Meine Mama hat mich überzeugt. Zum Glück! Ich telefoniere jeden Tag mit ihr, sie ist meine Quelle für positive Energie. Klar habe ich auch mal Tage, an denen ich keine Lust habe, aber am nächsten Tag geht’s weiter.

Was würdest Du jungen Menschen mit Einwanderungsgeschichte heute raten?

Die Einwanderung definiert uns nicht, das müssen wir uns immer wieder bewusst machen. Wir sind deswegen nicht weniger wert. Klar, es macht vieles schwieriger, aber dadurch wachsen wir. Mit zwei Sprachen aufzuwachsen ist ein großer Luxus. Das wird leider immer noch unterschätzt, aber sicher irgendwann als ein großer Vorteil erkannt werden. Ein anderes Thema ist das Mobbing, das viele von uns kennen: Bei mir ging es noch vergleichsweise mild zu – ich wurde in der Grundschule mit Steinen beworfen und auch ins Gesicht geschlagen. Bei meinen Brüdern war es noch schlimmer. Mit diesen Erfahrungen müssen wir als Erwachsene oft noch umgehen. Es hilft sehr, sich mit Menschen zu umgeben, die einen positiv sehen und unterstützen – sei es über Freundschaften, Netzwerke oder Förderprogramme wie START. Das Wichtigste ist: Du bist nicht allein.

START-Stiftung

 Mit START  unterstützt die Hertie-Stiftung motivierte Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte bei der Gestaltung ihrer Bildungsbiografie – für eine demokratische, pluralistische und inklusive Gesellschaft.

Website der START-Stiftung

Apropos: Bist Du eigentlich Team Kaffee oder Team Matcha?

Ich habe tatsächlich noch nie Matcha getrunken, aber schon oft auf Instagram gesehen. Das ist dieser grüne Tee, oder? Ich trinke am liebsten schwarzen Kaffee.

Mit wem würdest Du gern mal einen Kaffee trinken, wenn Du die Wahl hättest? Egal wer.

Muss die Person noch am Leben sein?

Nö.

Dann ist es Prinzessin Diana! Ich bin ein sehr großer Fan von ihr, schaue mir sehr gern Dokus über sie an und hätte sie gern persönlich kennengelernt. Sie hat dieses Herzliche, sie bewertet nicht. Ohne Scheu hat sie einem HIV-Patienten die Hand gegeben – so wie ich es auch tue, weil die Krankheit sich auf diesem Weg nicht überträgt. Mich fasziniert das Warmherzige und das Positive, das Prinzessin Diana bis heute umgibt, obwohl sie so viel Schlechtes erlebt hat. Aber dann diese Stärke, die sie zeigt: dieses „Aufmüpfige“, das Revolutionäre, das typische Frauenbild herauszufordern. Einfach zu sagen: „Warum nicht?“

INFO Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung

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