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Foto: privat
Jubiläums-Interview mit Melodie Parva, Dezember 2024

Durch Jugend debattiert habe ich mich selbst besser kennengelernt

Die Staatsanwältin Melodie Parva spricht über ihre prägenden Erfahrungen bei Jugend debattiert, die Relevanz von Demokratiearbeit und die Herausforderungen der Hertie-Stiftung in einer komplexen Welt.
Demokratie stärken

Quick Read: Worum es geht

Als ehemalige Bundesfinalistin, Moderatorin und langjährige Wegbegleiterin von   Jugend debattiert, ist Meldodie Parva der Hertie-Stiftung eng verbunden. In diesem Jubiläums-Interview erzählt sie, wie sie zu Jugend debattiert kam, warum sie für das Projekt brennt und welche Impulse sie für ihre Tätigkeit als Staatsanwältin mitgenommen hat.   Außerdem spricht sie über die Herausforderungen, denen sich die Demokratie und Gesellschaft stellen müssen, und darüber, welche Wünsche  sie für die Zukunft der Hertie-Stiftung hat.

Weil ihre Lehrerin sie im Unterricht für „unterfordert“ hielt, ihr aber gleichzeitig ein großes Mitteilungsbedürfnis attestierte, nahm sie die damalige Abiturientin Melodie mit zu einer Jugend debattiert-Veranstaltung. „Am liebsten hätte ich gleich selbst das Mikro in die Hand genommen“, sagt Melodie Parva (33), Staatsanwältin aus Berlin, heute. Sie erreichte 2012 auf Anhieb die Bundesebene, es folgten viele weitere Stationen im Dienst von Jugend debattiert sowie als Moderatorin von Hertie-Veranstaltungen. Warum Melodie Parva so sehr für Jugend debattiert „brennt“, wie ihr das gekonnte Debattieren bei der Arbeit am Gericht hilft – und was sie der Hertie-Stiftung für die nächsten 50 Jahre wünscht, erzählt sie in diesem Jubiläums-Interview.  

Sie waren Jugend debattiert-Bundesfinalistin, später Lehrkräfte-Trainerin, langjähriges Vorstandsmitglied des Jugend debattiert Alumni e.V., Moderatorin zahlreicher Final-Debatten – warum sind Sie Jugend debattiert und damit der Hertie-Stiftung so verbunden?

Es ist diese ganz besondere Energie der Hertie-Stiftung, die mich antreibt. Diese Energie, die ich bei all diesen Treffen, Tagungen und Fortbildungen mitnehme, und die mir das Gefühl gibt, dass wir morgen alle gemeinsam die Welt verändern können. Das ist einer der Gründe, warum ich immer weiter dabeigeblieben bin. Als Teilnehmerin damals fand ich es besonders reizvoll, über den Tellerrand zu schauen und meinen Horizont zu erweitern. Ich habe mich mit Themen befasst, die in meinem Alltag sonst nicht die Relevanz hatten und stand mit jungen Menschen im Austausch, die genauso neugierig, motiviert und inspiriert waren wie ich. Heute im Berufsleben wird mir immer wieder bewusst, dass es nicht selbstverständlich ist, auf Menschen zu treffen, die alle in der Sache miteinander verbunden sind und mit Tatkraft etwas verändern und sich dafür einsetzen wollen. Dieses persönliche Wachstum und die Weiterentwicklung unter Gleichgesinnten verbinde ich ganz stark mit Jugend debattiert und der Hertie-Stiftung. 

Sie haben 2023 den Demokratiekongress der Hertie-Stiftung moderiert. Wie relevant sind solche Veranstaltungen Ihrer Ansicht nach? Was haben Sie vielleicht auch persönlich für sich erfahren?

Mit Blick auf die aktuelle Entwicklung in unserer Gesellschaft muss ich sagen: Demokratie ist nicht selbstverständlich und eine Situation des Friedens auch nicht. Ich bin als Kind der 90er in der sehr komfortablen Position groß geworden, dass wir die Generation sind, die Europa wertschätzen durfte und sich daran erinnern konnte, wie lange es gedauert hat, für diesen Frieden einzustehen. Wenn man sich jetzt anschaut, mit welchen Krisen die neue Jugend heranwächst, hat man umso mehr das Gefühl, dass das Aufwachsen, wie ich es noch kenne, keine Selbstverständlichkeit ist. Wir müssen uns für Demokratie und Frieden einsetzen und im Gespräch miteinander bleiben. Ich habe meine Moderation auf dem Demokratiekongress mit den Worten eingeleitet: „Liebe Freundinnen und Freunde der Demokratie...“, weil „Demokratie stärken“ eben der Kern von allem ist. Egal ob bei Jugend debattiert oder auch bei der START-Stiftung, bei deren Mentoren-Programm ich mitgemacht habe. Der Kern ist: Wir setzen uns für den Erhalt der Demokratie und für deren Förderung ein, egal mit welchem Projekt und wie dieses eingebettet wird. In der Sache sind wir alle der Demokratie verbunden. Dafür steht die Hertie-Stiftung. Wo findet man schon so ein Netzwerk, wo man sich unabhängig und gelöst von irgendwelchen parteipolitischen Interessen für dieses Thema so stark einsetzen kann?

"Wir müssen uns für Demokratie und Frieden einsetzen und im Gespräch miteinander bleiben."

Wie sind Sie damals zu Jugend debattiert gekommen?

Man muss tatsächlich sagen, es hat sofort gefunkt und funktioniert. Das war 2012, als ich im Bundesfinale den sechsten Platz belegt habe. Dazu sollte man wissen: Ich bin in der Oberschule zweimal sitzen geblieben. Das lag vermutlich daran, dass ich mich unterfordert gefühlt habe und mir meine Zeit mit anderen Dingen vertrieben habe. Ich hatte eine Politiklehrerin, die das erahnt hat und mein doch sehr ausgeprägtes Kommunikationsbedürfnis mit ihrer eigenen Vorliebe für das Projekt Jugend debattiert zusammengebracht hat. Sie hat mich dann einfach mal zu einer Debatte mitgenommen, und als ich im Publikum saß, war ich bereits kurz davor, mich selber ans Mikro zu stellen und die Dinge geradezuziehen. Meine Lehrerin schmunzelte mich an, so nach dem Motto: „Ich weiß schon, warum ich dich hierhergeschleppt habe.“ Ab dann lief es. Ich habe im darauffolgenden Jahr – und das war mein letztes Schuljahr – mitgemacht und ja, das hat ganz gut geklappt. Ich glaube, diese Zeit war für mich auch ein bisschen richtungsweisend, dass ich mich später für das juristische Studium entschieden habe. Das war jedenfalls eine sehr interessante Zeit damals, auch wenn ich ohne diese motivierte Lehrerin, die mich irgendwie erkannt hat, selbst nicht bei Jugend debattiert reingestolpert wäre.

Was ist eine der Erkenntnisse, die Sie durch Jugend debattiert für Ihren eigenen Weg gezogen haben?

Dass Einsatz sich lohnt. Man kennt es ja oft aus der Schule: Da bekommt man irgendwas vorgesetzt und muss es lernen. Oft fragt man sich auch: „Warum zur Hölle soll ich jetzt diese unsichtbare Linie im Raum berechnen können, wenn es mir überhaupt nichts bringt?“ Wenn man aber merkt - vor allem im Zuge dieser gesellschaftspolitischen Fragen - dass so viel mehr hinter dem steht, was man im ersten Moment vielleicht nicht versteht, dann lohnt sich der Einsatz doch. Wenn man sich zum Beispiel in einer Debatte die Frage genau anschaut und im Gespräch mit anderen Menschen in den Austausch kommt, sich weiterentwickelt, einen neuen Erfahrungsschatz sammelt, aber auch andere inspirieren kann. Das ist immer ein Gewinn für beide Seiten. Man wächst persönlich, aber bereichert auch andere. Das habe ich durch Jugend debattiert immer wieder erfahren. Man entdeckt vielleicht sogar neue eigene Interessen, lernt sich selbst besser kennen, weil es in den Debatten zwangsläufig dazu gehört, sich zu positionieren.

Sie arbeiten heute als Staatsanwältin in Berlin. Helfen Ihnen Kenntnisse über die Debatte und das Debattieren bei Gericht?

Absolut! Es gibt verschiedene Bereiche: Einerseits, wenn ich im Verhandlungssaal stehe und dort mit präzisen, relativ kurzen und auf den Punkt gebrachten Wortbeiträgen meine Position vertrete. Niemand möchte eine Staatsanwaltschaft erleben, die eine Viertelstunde dramatische Aufrufe macht. Es geht um die Sache. Es ist zudem eine objektive Position, in der ich mich befinde, und ich muss natürlich auch adressatengerecht sprechen. Das variiert von Verfahren zu Verfahren. Es ist anders, ob ich da einen Geschäftsmann sitzen habe oder jemanden, der sich von der Gesellschaft ohnehin nicht abgeholt fühlt und sich auch in seinen kognitiven Fähigkeiten ganz anders darstellt. Insofern: adressatengerechtes Sprechen, präzise Wortbeiträge, Verständlichkeit, aber immer ein Gespräch auf Augenhöhe, auch wenn ein Überunterordnungsverhältnis da ist. Es ist elementar, jemandem das Gefühl zu geben, gehört und gesehen zu werden. Aber es gibt noch einen sehr wichtigen Punkt, den ich bei Jugend debattiert gelernt habe…

"Kommunizieren und einen Diskurs zu führen, ist nicht möglich, ohne dem Gegenüber zuzuhören."

Ich bin gespannt…

Wir können alle gut reden, und es hat einen Grund, warum wir ausgerechnet bei Jugend debattiert mitmachen, quasi einem Kommunikationsverein mit ausgeprägten Mitteilungsbedürfnissen. Aber das Zuhören ist in dieser Gruppe meistens schwierig. Deshalb ist für mich bei Jugend debattiert ein wichtiger Moment gewesen zu verstehen: Kommunizieren und einen Diskurs zu führen, ist nicht möglich, ohne dem Gegenüber zuzuhören. Oft erlebe ich es so, dass Menschen sich hinstellen und sagen: „Pah, die Justiz! Wir sind doch nur so kleine Teile für die und die bösen Leute in der Justiz, die machen über unseren Kopf hinweg, was sie für richtig halten.“ Nein! Ich habe das Bedürfnis, dass jeder meiner Angeklagten zumindest das Gefühl vermittelt bekommt, gehört zu werden oder gehört werden zu können. Ich möchte Möglichkeiten schaffen, im Austausch zu stehen. Auf der anderen Seite muss man natürlich sagen: Ich arbeite in der Behörde, und dort bringt es durchaus mal Herausforderungen mit sich, wenn es um die Kommunikation geht. Jugend debattiert hat mein Bedürfnis nach transparenter Kommunikation geschärft, vor allem an Stellen, wo vielleicht andere Leute sagen: „Haben wir schon immer so gemacht, warum sollen wir uns da jetzt noch mal extra bemühen?“. Ich komme eben aus dieser idealistischen Jugend debattiert-Welt, wo in meiner Vorstellung jeder Lust darauf hat, sich auszutauschen und einzusetzen. Und dann landet man irgendwann in der Realität und merkt: „Ach, verdammt, das ist ja wirklich was Besonderes bei Jugend debattiert und im Netzwerk der Hertie-Stiftung.“

Wir erleben eine Zeit des Umbruchs, die Demokratie steht unter Druck. Vor welchen großen Herausforderungen steht die Hertie-Stiftung Ihrer Ansicht nach?

Eine der großen Herausforderungen ist sicher, in einer Welt voller Desinformationen weiterhin einen guten Informationsaustausch leisten zu können. Vor gut 12 Jahren, als ich selbst bei Jugend debattiert teilgenommen habe, gab es eine ganz andere Informationsdichte. Heutzutage brennt es eigentlich überall. Ob wir uns die Klimapolitik ansehen oder uns Trends in der Ausrichtung unserer Parlamente deutschlandweit anschauen - es gibt so viele verschiedene Orte und Medien, die mittlerweile auf mannigfaltige Art berichten. Da wach und aufmerksam zu bleiben und gleichzeitig den politischen Diskurs weiter verfolgen zu können, der sich ja mittlerweile in alle Bereiche verlagert hat und auch viel durcheinanderbringt, erscheint mir sehr herausfordernd. Für die Hertie-Stiftung gilt es, weiterhin einen „kühlen Kopf“ zu bewahren und immer wieder zu prüfen: Was sind die für uns wichtigen Bereiche und wo und wie können wir uns für diese einsetzen? Die Schwerpunkt-Setzung ist meiner Ansicht nach in diesen Zeiten, in denen es überall brennt, noch mal von besonderer Relevanz.

Meinen Sie, der Schwerpunkt „Demokratie stärken“, zu dem auch Jugend debattiert gehört, müsste sich verändern?

Nein, aber ich glaube eben auch, dass es viele Tausende Arten und Weisen gibt, wie man die Demokratie stärken könnte. Aber wo lohnt es sich, reinzugehen, und wo lohnt es sich, Zeit, Kapazität, finanzielle und personelle Ressourcen aufzuwenden, wenn es dauernd irgendwo brennt? Diese Fragen und auch Entscheidungen werden meiner Ansicht nach immer wichtiger.

Gibt es für Sie ein Alleinstellungsmerkmal der Hertie-Stiftung?

Für mich ist es diese besondere Form der Verbundenheit zu den Akteuren, aber auch zu den Ehemaligen über viele Jahre hinweg, die ich bei der Hertie-Stiftung erlebe. Wir sprechen ja immer von „unserer kleinen Jugend debattiert Familie“, aber ich würde mittlerweile sagen, dass es doch eher einen sehr großen Hertie-Verbund gibt. Wir sind in diesem Netzwerk auf jeden Fall immer miteinander im Austausch, und der Kontakt wird durch die Stiftung stets gefördert. Ich persönlich habe ein solch großes und vor allem aktives Miteinander zumindest noch nie woanders erlebt.

Was wünschen Sie der Hertie-Stiftung für die nächsten 50 Jahre?

Durchhaltevermögen und weitere inspirierende Köpfe, die Teil des Verbundes werden. Was wünsche ich der Hertie-Stiftung noch? An sich etwas, was in unserer heutigen Gesellschaft gar nicht mehr so sicher ist, nämlich, dass einfach alles so bleibt und wir mit diesem starken Verbund und Netzwerk weitermachen können im Auftrag der Demokratie. Kurz gesagt: Erhalt dessen, was wir haben. Denn was heute noch selbstverständlich erscheint, kann morgen wieder wegfallen. Der Einsatz lohnt sich!

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung

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