
Neues aus dem Reich der Neuronen
Die Fortschritte in den klinischen Neurowissenschaften der vergangenen Jahre sind immens. Moderne bildgebende High-Tech-Verfahren ermöglichen es heute, die Strukturen und Prozesse des Gehirns immer besser sichtbar zu machen und zum Teil sogar buchstäblich „live und in Farbe“ verfolgen zu können. Das hat zu einer Vielzahl neuer Erkenntnisse geführt, beispielsweise im Hinblick auf die sogenannte Neuroplastizität, also die ganz erstaunliche Fähigkeit des Gehirns, sich strukturell und funktionell zu verändern. Auch lässt sich heute besser beobachten, wie das Gehirn auf einen Wirkstoff reagieren könnte, wodurch sehr viel gezielter Medikamente gegen Erkrankungen wie Alzheimer oder Multiple Sklerose entwickelt werden können. Und auch in vielen anderen Bereichen der Neurowissenschaften ebnen High-Tech, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz dem Fortschritt den Weg: Durch Gehirn-Computer-Schnittstellen und selbstlernende Neuroimplantate beispielsweise werden die Grenzen zwischen Biologie und Technologie immer fließender, während KI vor allem auch die Forschung und die Diagnostik revolutioniert.
Nah am Menschen
Mit dem Leitthema „Gehirn erforschen“ ist die Hertie-Stiftung ganz nah dran an diesen medizinischen und technologischen Entwicklungen – und auch immer: „Nah am Menschen. Das ist der Anspruch, der sich durch alle unsere Aktivitäten zieht,“ so die Geschäftsführerin des Bereichs, Dr. Astrid Proksch. „Das beginnt bei der Schaffung von institutionellen Strukturen, die eine enge Verbindung von Grundlagenforschung und klinischer Anwendung ermöglichen, also nah an den Patientinnen und Patienten sind, und reicht bis zur Identifizierung und Förderung junger Talente. Nah am Menschen sind wir vor allem auch mit unserer Unterstützung einer modernen Selbsthilfe, die Betroffenen zu einem möglichst selbstbestimmten Leben verhelfen soll, und wir sind das in unseren Veranstaltungen und Social-Media-Aktivitäten, mit denen wir allen Interessierten unser Wissen und unsere Faszination rund um das Gehirn vermitteln möchten.“ In all diesen Bereichen war 2024 ein sehr bewegtes und bewegendes Jahr, das auch einige besondere Highlights in petto hatte: So hat das im Vorjahr gegründete Hertie Institute for AI in Brain Health 2024 sein Eröffnungssymposium mit internationalen Expertinnen und Experten gehalten. Ein Meilenstein wurde im interdisziplinären und hochaktuellen Feld der Neuroethik gesetzt, während im fernen Los Angeles mit viel Hollywood-Glamour der höchstdotierte Wissenschaftspreis der Welt über die Bühne ging. And the winner is …?
»Wir können damit irgendwann ins Innerste des Menschen, quasi in sein Ich hineinschauen, und das hat noch mal eine ganz andere Informationsqualität, als wenn wir beispielsweise beobachten, wie ein Herz schlägt – aber eben auch eine ganz andere ethische Dimension.«
Dr. Astrid Proksch, Geschäftsführerin Gehirn erforschen

Spitzenforschung goes to Hollywood
Dass er für seine Forschung irgendwann auf der Bühne des Academy Museum of Motion Pictures in Los Angeles von einer Schar US-amerikanischer Celebrities beklatscht werden würde, hatte er sich wohl nicht in seinen abwegigsten Träumen ausgemalt. Doch genau das geschah am 13. April 2024, als Prof. Dr. Thomas Gasser, Vorstandsvorsitzender des Hertie-Zentrum für Neurologie in Tübingen, das aus dem Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und der Neurologischen Universitätsklinik besteht, den „Breakthrough Prize in Life Sciences“ entgegennehmen durfte. Der Preis wurde ihm – sowie zwei weiteren Spitzenwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen – für die bahnbrechende Entdeckung genetischer Parkinson-Risikofaktoren verliehen, die das Verständnis über die Ursachen dieser neurodegenerativen Erkrankung vorangebracht und neue Ansätze für Diagnose und Therapie eröffnet hat. Mit einem Preisgeld von 3 Mio. US-Dollar handelt es sich um den höchstdotierten Wissenschaftspreis der Welt. Gestiftet wurde er von Silicon-Valley-Größen wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Die unabhängige Jury rekrutiert sich aus den hochkarätigen Preisträgerinnen und Preisträgern der Vorjahre. Dem Beinamen „Oscar der Wissenschaft“ wurde die Preisverleihung voll und ganz gerecht – von den aufwendig produzierten Film-Trailern über das Star-Aufgebot bei den Laudatoren bis hin zum handverlesenen Publikum. Hinter all dem Glamour verbirgt sich jedoch eine international hoch angesehene Würdigung wissenschaftlicher Spitzenleistungen und eine große Ehre für Prof. Dr. Gasser.
Die ethische Dimension des Fortschritts
Bis heute verstehen wir nur einen Bruchteil der hochkomplexen Funktionen und Fähigkeiten des Gehirns. Jedoch kommen Forschende mithilfe bildgebender Verfahren den Prozessen immer stärker auf die Spur, bis hin zu Erkenntnissen, ob jemand ein A oder ein O denkt. Werden zukünftig auch ganze Worte, Sätze oder längere Sinnzusammenhänge direkt im Gehirn lesbar sein? Wir stehen am Beginn einer echten Revolution – aber auch vor einer völlig neuartigen ethischen Herausforderung. „Wir können damit irgendwann ins Innerste des Menschen, quasi in sein Ich hineinschauen, und das hat noch mal eine ganz andere Informationsqualität, als wenn wir beispielsweise beobachten, wie ein Herz schlägt – aber eben auch eine ganz andere ethische Dimension,“ so Dr. Astrid Proksch. Diese Dimension muss ausgelotet und verhandelt werden, bevor entsprechende Technologien zur breiten Anwendung kommen. Zu diesem Zweck hat die Hertie-Stiftung 2024 die Förderung einer Stiftungsprofessur im noch jungen Gebiet der Angewandten Neuroethik beschlossen.
Ein Sprinter im KI-Rennen
Künstliche Intelligenz ist aus den klinischen Neurowissenschaften kaum noch wegzudenken und ihre praktischen Anwendungsmöglichkeiten wachsen in atemberaubendem Tempo. Mit dem an der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen gegründeten Hertie Institute for AI in Brain Health wurde eine bundesweit einzigartige Einrichtung aus der Taufe gehoben, die sich der Prävention und frühen Diagnose von Erkrankungen des Nervensystems widmet. Das junge Institut hat 2024 seinen Aufbau weiter vorangetrieben und bereits eine enorme Dynamik entwickelt. Dr. Astrid Proksch ist begeistert: „Ohne die Leistungen anderer Projekte und Institute in den Schatten stellen zu wollen, muss ich schon sagen, dass es eine wahre Freude ist, zu sehen, was hier in so kurzer Zeit schon alles entwickelt und publiziert wurde.“ Was den Tätigkeitsbereich „Gehirn erforschen“ in diesem Jahr noch beschäftigt hat und wie das Engagement der Hertie-Stiftung dazu beitrug, ein tieferes Verständnis für das faszinierende Organ zu vermitteln, erfahren Sie in den jeweiligen Projektsteckbriefen.
Projekte

Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) gehört zu den größten und modernsten Zentren für Neurologie, das medizinische Versorgung ...

Stiftung für Hirnforschung am HIH
Die Stiftung für Hirnforschung am HIH hat sich der Erforschung des Gehirns und der Bekämpfung seiner Erkrankungen verschrieben. Unser Ziel ist, dass Menschen ...

Hertie AI
Das Hertie Institute for AI in Brain Health verbindet die Forschungsfelder Künstliche Intelligenz und Hirnforschung...

Hertie Network of Excellence in Clinical Neuroscience
Das Hertie Network ist ein Forschungsnetzwerk und Nachwuchsförderprogramm (die Hertie Academy) für ...

MS-Forschung
Die Hertie-Stiftung fördert die Multiple-Sklerose-Forschung durch den regelmäßigen Austausch von Forschenden beim Hertie MS Symposium und ...

FENS Kooperationen
Die Hertie-Stiftung arbeitet mit der Federation of European Neuroscience Societies (FENS) auf vielfältige Weise zusammen ...

MS-Projekte und Preise
Das Engagement für Menschen, die mit Multiple Sklerose leben, ist eines der ältesten der Hertie-Stiftung. Der Hertie-Preis zeichnet Menschen aus, die sich für andere einsetzen...

Neurowissenschaftliche Veranstaltungen
Mit verschiedenen Veranstaltungsformaten macht die Hertie-Stiftung neue Entdeckungen und Fortschritte in der Hirnforschung einem breiten Publikum zugänglich ...

Einzelfallhilfe mit dem Caritas-Verband
Seit 2009 arbeitet die Hertie-Stiftung mit dem Caritasverband zusammen, der seit vielen Jahren Erfahrung in der Vergabe von Mitteln an hilfsbedürftige Einzelpersonen hat...

Digitale Kommunikationsformate
Mit digitalen Formaten schafft der Bereich Gehirn erforschen zusammen mit der Abteilung Kommunikation ein vielfältiges Angebot ...